Drei Jahre ein Blogbeitrag in der Woche und immer wieder taucht „die gute alte Zeit“ auf. Warum eigentlich?

Liegt es daran, weil die jetzigen Zeiten so besonders anspruchsvoll, oder sollte ich ehrlicherweise sagen, katastrophal sind? Waren die Zeiten früher besser, stecke ich in der Vergangenheit fest? Von allem ein bisschen ist wahrscheinlich die Antwort. 

Ich lebe gerne im Hier und Jetzt, trotzdem liebe ich es, ab und an mal zurückzuschauen. 

Besonders ist mir das heute vor einer Woche wieder bewusst geworden. Dazu muss ich die Zeit tatsächlich erst einmal viele, viele Jahre oder eher gesagt, Jahrzehnte zurückdrehen, daher die Einleitung. 

Denn ich kann mich noch wie heute daran erinnern, dass mein Vater mich auf meinen Wunsch als kleinen Burschen manchmal weckte, als fast noch alle schliefen. Es war zwischen 3 und 5 Uhr morgens. Der Grund war natürlich nicht, dass er nicht mehr schlafen konnte und einen Gesprächspartner brauchte. Der Grund war ein besonderes Ereignis im Fernsehen, das damals noch DREI Programme anbot. 

Es war die Zeit des „Cassius Marcellus Clay Jr.“ Dieser 1942 in Kentucky geborene Ausnahmeathlet begann seine Karriere bereits als 12-jähriger. Der Grund dafür soll angeblich der gewesen sein, dass ihm sein Fahrrad gestohlen wurde und er beschlossen haben soll, boxen zu lernen, um sich selbst verteidigen zu können. 

Mit seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten, seiner Schnelligkeit, Beweglichkeit und seiner Begabung, seine Gegner mit einer Mischung aus blitzschnellen Händen und gutem Bewegungsrepertoire zu überlisten, wurde er schnell berühmt. 

Die Meisten kennen ihn sicherlich unter dem Namen „Muhammad Ali“. Warum der Namenswechsel passierte, weiß ich ehrlich gesagt auch erst seit heute, nachdem ich es gegoogelt habe. Der Grund war, dass er im Alter von 22 Jahren in die Nation of Islam eintrat. Er erklärte, dass er nie wieder als Cassius Clay angesprochen werden wolle, da dies sein „Sklavenname“ sei. Der Name „Muhammad Ali“ wurde zu einem Symbol für seine politische und religiöse Überzeugung und seine Entschlossenheit, sich von der damaligen rassistischen Gesellschaft zu befreien. Wieder etwas dazu gelernt. 

Mein Vater und ich schauten uns also tatsächlich zu dieser frühen Stunde Boxkämpfe an. Die Anfänge von „Muhammad Ali“ habe ich noch nicht miterleben können, aber bis 1981 stand er ja im Ring. Danach musste er seine Karriere wegen seiner Parkinson-Krankheit leider beenden. 

Ich habe gerade ein Zitat von Salvador Dalí gelesen, das da heißt: ‚Am liebsten erinnere ich mich an die Zukunft‘. Finde ich klasse. 

Also zurück in die Zukunft, heute vor genau einer Woche:  Es gibt ja eine Menge berühmter Boxkämpfer. Einer, der auf jeden Fall dazu gehört, ist Mike Tyson.

Diese umstrittene Persönlichkeit wurde 1966 in Brooklyn , New York geboren. Er wuchs in Armut auf, sein Vater verließ die Familie, als er noch ein Kind war und seine Mutter starb, als er erst 16 Jahre alt war. Tyson hatte eine schwierige Kindheit, die von Kriminalität und Gewalt geprägt war. Im Alter von 12 Jahren wurde er von einem Boxer namens Cus D’Amato unter seine Fittiche genommen. Der wurde eine väterliche Figur für ihn und half ihm, sich zu disziplinieren und das Potenzial zu entfalten, das er im Boxen hatte.

1986, im Alter von nur 20 Jahren, wurde Tyson der jüngste Schwergewichts-Weltmeister aller Zeiten, als er den WBC-Titel gewann. Im selben Jahr erlangte er auch den WBA-Titel und später den IBF-Titel, was ihn zum unangefochtenen Schwergewichts-Weltmeister machte.

Den habe ich früher wirklich sehr gerne gesehen. Meistens gingen seine Kämpfe nur sehr kurz. Denn mit seiner Knockout-Power besiegte er seine Gegner oft schon nach wenigen Sekunden.

Nach 20 sollte er zurück in den Ring steigen. Im Alter von 58 Jahren stand ein Kampf gegen den 31 Jahre jüngeren Influencer Jake Paul an. So wie man Mike während seines Trainings sehen konnte, sah sein Körper kaum anders aus, als vor 20 Jahren. Top austrainiert und anscheinend bei sehr guter Kondition. Natürlich stand fest, dass ich den Kampf live sehen würde.

Zum ersten Mal übertrug Netflix ein solches Live-Spektakel. Da einige Vorkämpfe stattfinden sollten, hieß es in den Medien, es würde reichen, den Wecker gegen 5 Uhr zu stellen. Das tat ich natürlich auch. 

Als meine iWatch vibrierte, wusste ich zunächst gar nicht, was los war. Es war stockdunkel, meine Frau schlief tief und fest, doch dann fiel es mir wieder ein: Mike ist zurück. Ich stand auf, ging ins Wohnzimmer, kuschelte mich in eine Decke und schaltete den Fernseher und Netflix ein. 

Das AT&T Stadion in Dallas war bereits gut gefüllt, am Ende sollen es über 70.000 Zuschauer gewesen sein. Meine Augen waren noch sehr klein und ich war noch sehr müde. Am Samstag wollten wir zum Weihnachts-Shopping nach Dänemark fahren, hoffentlich dauert es nicht so lange, dachte ich.  

Aber was ich sah, war nicht Mike Tyson, der sich Richtung Ring aufmachte, sondern zwei andere Boxer, die ich nicht kannte. Ein Vorkampf also, der gerade erst beginnen sollte. Von wegen 5 Uhr dachte ich genervt, stellte meine Uhr auf 10 Minuten ein, drehte mich auf die Seite, und schlief wieder ein. 

Als nach 10 Minuten meine Uhr erneut vibrierte, blinzelte ich und schaute auf den Fernseher, der Kampf hatte gerade erst angefangen, also erneut 10 Minuten eingestellt. Das machte ich dann einige Male. Als ich wieder todmüde meine Augen öffnete, sah ich plötzlich zwei Frauen mit Boxhandschuhen, die sich für ihren Kampf bereit machten. Genervt stelle ich meine Uhr erneut ein und ließ mich wieder alle 10 Minuten wecken und schielte immer wieder auf den Fernseher. Richtig schlafen war das natürlich nicht, aber ich wollte ja das Haupt-Event auf keinen Fall verpassen. 

Als dann auch endlich der Frauenboxkampf zu Ende war, dachte ich zum ersten Mal wieder an die gute alte Zeit. Denn auf einem großen, hochauflösenden Fernseher war der Anblick einer der Boxerin, die einen riesigen Cut über dem Auge, also einen tiefen Riss hatte, kaum zu ertragen. Immer wieder zoomte die Kamera tiefer und tiefer in die blutende Wunde, und das so früh auf nüchternen Magen. Ekelhaft. 

Dann endlich wurde auch Tyson gezeigt, es konnte sich also nur noch um wenige Minuten handeln, bis der Kampf losgehen würde. Schnell eilte ich noch einmal auf die Toilette, um ja nichts zu verpassen. Als ich auf die Uhr schaute, rieb ich mir die Augen. Es war 4:58 Uhr. Wie konnte das sein, schließlich hatte ich meinen Wecker, der mich ja geweckt hatte, auf 5:00 Uhr gestellt? Als meine Uhr dann erneut vibrierte, staunte ich nicht schlecht. 5:00 Uhr, der Wecker ging pünktlich an. 

Dass meine Uhr aufgrund meiner niedrigen Herzfrequenz kurz vor DREI Uhr Alarm schlug und vibrierte, stelle ich erst am nächsten Tag fest. 

Genervt, aber trotzdem voller Vorfreude, saß ich nun kerzengerade vor dem Fernseher, machte den Ton etwas lauter und starrte auf den Bildschirm. Als das Bild dann plötzlich einfror, war ich zunächst geschockt. Kann ja mal passieren, beruhigte ich mich selber. Ich schaltete auf eine Netflix-Serie um, die flüssig lief und schaltete zurück auf den Boxkampf. Immer noch eingefroren. Ich wiederholte das Umschalten ein paar mal bis die Meldung erschien, ich solle meinen Router einmal neu starten, was ich auch tat. Ergebnis, eingefrorener Boxkampf. Alles andere funktionierte. Etwa eine halbe Stunde versuchte ich es immer wieder. Auf dem Smartphone, dem iPad und wieder auf dem Fernseher, überall eingefroren. 

Frustriert und übermüdet ging ich wieder ins Bett. Genau wie wahrscheinlich ein großer Teil der anderen 120 Millionen Zuschauer, die sich das Spektakel bei Netflix anschauen wollten und die Server teilweise zum Erliegen gebracht haben.  

Als ich am nächsten Tag den Kampf im Schnelldurchlauf sah, kamen mir Zweifel, ob der Kampf nicht gekauft war. Mike war zwar in der Lage, einem Gegner ein Ohr abzukauen, aber hier zog er in entscheidenden Momenten immer wieder zurück, völlig untypisch. Wie auch immer, ein Erlebnis, das ich so schnell nicht vergessen werde. 

Genau wie ich die Erinnerungen nie vergessen werde, als noch mein Vater neben mir saß, so früh am Morgen. An diesem Tag vermisste ich ihn wieder einmal ganz besonders. 

Besonders war dann auch unsere Fahrt nach Dänemark. Gut, dass wir eine Dose Red Bull dabei hatten, sonst wäre ich glatt eingepennt.