Auf Distanz
Welche Art Mensch bist Du?
Bist Du gerne alleine, vielleicht auch lieber „zu zweit alleine“? Also zusammen mit Deinem Partner oder Deiner Partnerin? Oder gehörst Du zu den Menschen, die am liebsten ständig andere um sich herum haben, kontaktfreudig und allem aufgeschlossen sind? Gerne immer wieder neue Leute kennenlernen?
Beispiel: Schau Dir mal das Foto oben im Restaurant an. Sieht aus, als hätten die Meisten an den Tischen Spaß, oder?
Ich würde dort ehrlich gesagt nicht wirklich gerne einen Tisch reservieren. Denn die Tische stehen mir viel zu nah zusammen. Bin ich nun deshalb kontaktscheu, vielleicht durch diese Meinung sogar „kauzig“ oder unsympathisch?
Durch Corona haben viele Menschen den näheren Umgang mit anderen Menschen verlernt. Oder gelernt, wie es auch mit weniger engen Kontakten funktionieren kann. Das muss ja aber nicht bedeuten, dass man sich nicht gerne mit seiner Familie, seinen Freunden oder Bekannten trifft und zusammen Zeit verbringt. Und es muss auch keine Rede von Vereinsamung sein.
Oder liegt es am Standort? Man sagt, die im Norden, besonders auch die in Schleswig-Holstein, sind Eigenbrötler und scheuen den Kontakt zu anderen. Ganz im Gegensatz zu den Süddeutschen. In Bayern soll man sich ja grundsätzlich an den Tisch zu anderen, wildfremden Personen setzen. Nicht, weil es sein muss, sondern, weil man es möchte.
Wir waren gerade ein paar Tage im Harz. Als wir im wunderschönen Quedlinburg das schöne Wetter, die schöne Umgebung und den angeblich besten Käsekuchen überhaupt genießen wollten, fanden wir einen freien Tisch, der anscheinend auf uns gewartet hatte und herrlich in der Sonne stand. Die Plätze draußen schienen in allen Cafés und Restaurants sehr begehrt zu sein, um so mehr freuten wir uns über unsere Plätze und stöberten in der Karte.
Als wir nach einer Servicekraft Ausschau hielten, bemerkte ich aus dem Augenwinkel ein älteres Ehepaar, wie es nach einem Tisch suchte. Einige Tische waren, genau wie unserer, „halb frei“, also ein oder zwei Stühle unbenutzt. „Lass uns irgendwo dazu setzen“, hörte ich den Herren zu seiner Frau sagen, als wäre es das Normalste der Welt. In ihrer Welt mag das auch so sein, aber in unserer eher nicht.
Innerlich zuckte ich kurz zusammen und schon blieben die beiden auch vor unserem Tisch stehen, und fragten, ob sie sich dazu setzten dürften. Ich schaute meine Frau an, die ehrlich gesagt, ein etwas, wie soll ich es beschreiben, bedecktes Gesicht machte und mich anschaute. Mir war die Situation sofort unangenehm und ich reagierte dann, um die peinliche Stille zu unterbrechen, mit „natürlich“, rutschte automatisch ein Stück zurück und schob unsere beiden Karten in die Richtung des Ehepaares.
Die hatten die Stille und unsere Gesichter natürlich bemerkt und setzten sich dann zu uns. Innerlich war ich tatsächlich, ich muss es zugeben, leicht genervt. Schließlich hat man ja auch nicht so oft die Gelegenheit, mit seiner Partnerin freie Zeit zu verbringen und möchte diese gerne nutzen, um sich zu unterhalten. Schließlich gehören wir zum Glück nicht zu den Menschen, die sich schweigend gegenüber sitzen und mit dem Handy beschäftigen. Wir reden miteinander.
Klar kann man das auch, wenn Fremde am Tisch sitzen. Aber doch nicht so ungezwungen. Und ich würde mich auch irgendwie verpflichtet fühlen, ein Gespräch zu viert anzufangen. Noch bevor wir unseren Kuchen bestellen konnten, wurde gegenüber ein Tisch frei. Zumindest hatten die zwei Personen bereits bezahlt und machten, wenn auch langsam, Anstalten zu gehen. Das bemerkte auch der Herr an unserem Tisch und forderte seine Frau höflich auf, an den frei werdenden Tisch zu wechseln, dann hätten wir unsere Ruhe, bemerkte er noch.
Ich lächelte freundlich und bestätigte das Ganze nur mit einem „ok, wie sie meinen“. Es war mir auf der einen Seite sehr unangenehm, auf der anderen Seite war ich aber auch froh und konnte mich wieder ungestört mit meiner besseren Hälfte unterhalten.
Wir waren ja nicht wirklich unfreundlich. Aber auch nicht gerade besonders freundlich. Ich glaube allerdings auch nicht, dass das Ehepaar verärgert war.
Fremden Menschen gegenüber war ich immer schon etwas distanziert. Heute würde ich die Beschreibung auch noch um das Wort vorsichtig oder skeptisch ergänzen.
Als ich mich vor kurzem mit einer neuen Kollegin unterhielt, die bei uns in der Firma Telefon-Marketing betreibt, fragte ich sie nach ihren ersten Erfahrungen. Durchgehend nett und positiv berichtete sie mir zu meinem Erstaunen. Auch in diesen Situationen bin ich mittlerweile sehr zurückhaltend und überaus misstrauisch.
Schon sobald das Telefon klingelt und ich die Nummer nicht sehen kann oder sie nicht kenne, bin ich erst einmal im Abwehrmodus. Eigentlich habe ich auch generell schon eine Ausrede parat, ohne dass ich überhaupt weiß, worum es geht. Zu neunundneunzig Prozent will mir ja immer einer oder eine etwas verkaufen. Und egal, was es ist, und selbst, wenn ich es gerne hätte, möchte ich es nicht über das Telefon. Meistens bleibe ich natürlich, wenn möglich, freundlich, verneine das Angebot und lege dann auf.
Noch schlimmer, wenn es an der Tür klingelt und jemand etwas möchte. In den meisten Fällen schaue ich durch den Spion und wenn ich die Person vor der Tür, bei der ich mich frage, wie sie überhaupt ins Haus gekommen ist, nicht kenne, öffne ich erst gar nicht.
Als wir am Ende unseres Urlaubs wieder Richtung Heimat fahren wollten, hatten wir einen sehr geringen Ladezustand des Akkus unseres Autos. Also direkt auf die Autobahn und zur nächsten Ladestation war der Plan. Gerade als wir losfahren wollten, sprach uns ein älterer Herr an und fragte uns, ob wir ihn vielleicht zum Bahnhof fahren könnten. Wie ein Igel rollte ich mich, schon bevor er ausgesprochen hatte, ein. Da wir aber gar nicht am Bahnhof vorbeikommen würden und wir tatsächlich lieber auf direkten Weg zur Ladestation wollten, erklärte ich ihm das freundlich genauso und er verstand das auch. Aber hätte ich gerne einen wildfremden Menschen mitgenommen, auch wenn es gepasst hätte?
Nicht wirklich, aber ich hätte es ganz sicher gemacht. Angst oder Bedenken musste man bei diesem Herren sicherlich nicht haben. Und trotzdem. Ich mag lieber eine gewisse Distanz.
Vorsicht ist sicherlich generell geboten. Dafür passieren einfach zu viele schlimme Dinge. Menschlichkeit sollte aber selbstverständlich erhalten bleiben. Es gibt ja auch genug Menschen, die in allen möglichen Situationen andere Menschen kennenlernen. Im Urlaub Bekanntschaften oder gar Freundschaften schließen. Durch das Land fahren und sich anschließend wieder treffen.
Zu diesen Menschen gehöre ich nicht, gehörte ich noch nie. Ich mag andere Menschen, unterhalte mich gerne mit anderen. Ich quatsche auch gerne mal den Taxifahrer, die Apothekerin, den Arzt oder den Fremden an der Kasse vor mir voll. Bin schon recht kommunikativ, doch alles mit etwas Zurückhaltung.
Oftmals möchte ich die wertvolle Zeit, die ich mit den Menschen verbringen kann, die mir besonders wichtig sind, einfach nicht mit Fremden teilen. Vielleicht ist das ein Fehler? Ich werde es wohl nicht mehr herausfinden.
Und darüber nachgedacht, möchte ich es auch gar nicht.