Bürokratie
Eigentlich war ich gerade dabei, einen ganz anderen Blogbeitrag für heute zu schreiben. Aber manchmal macht mich irgendetwas so richtig wütend, dass ich hier erst einmal meinen Ärger mit Euch teilen möchte. Denn geteiltes Leid ist halbes Leid.
Als meine Mum mich heute darum bat, mir ihre Post anzuschauen, war ich schon leicht genervt, als ich sah, wer der Absender ist. Es geht um Rentenansprüche. Ob ich ihr das bitte mal erklären könne, war die Frage. Klar, ich bin ja Spezialist für Behördenangelegenheiten. Oder anders ausgedrückt, ich hasse fast nichts mehr, als diese Art Schreiben.
Wie auch immer, selbstverständlich lese ich mir das durch. Das Schreiben besteht aus sechs Seiten, teilweise doppelseitig bedruckt. Auf den ersten Blick scheint es sich um eine Rentenanpassung zu handeln, kann also nicht so schwer sein. Als Erstes suchten meine Augen einen in fett gedruckten Endbetrag, der das Ergebnis also ohne lange lesen zu müssen, erklärt. Allerdings kam ich nicht drumherum, mir das Schreiben komplett durchzulesen.
Nach der zweiten Seite hatte ich bereits vergessen, was auf der Ersten stand. Bei der Sechsten endlich angekommen, schaute ich sie verwirrt an. Keine Ahnung, was das soll, war mein erster Kommentar. Wenn ich das schon nicht verstehe, wie soll sie dann?
Also Brille aufgesetzt und von vorne angefangen. Das Problem, das unter anderem zu Irritationen bei mir führte, waren die vielen verschiedenen Zahlen. Und die waren alle so unterschiedlich, man kann sie einfach gar nicht nachvollziehen. Sie könnten auch hunderte von Euro höher oder niedriger sein, man würde es nicht merken. Nachdem ich mir das Schreiben mehrfach durchgelesen hatte, musste ich mir erst einmal die vorherigen Schreiben dieser Art anschauen. Gelesen und gelesen, innerlich wurde ich immer kribbeliger, versuchte es aber mir nicht anmerken zu lassen.
Gefühlt nach Stunden hatte ich dann endlich das Ergebnis. Die Rente hatte sich um knapp einen Euro erhöht.
17,6 Millionen Menschen bezogen 2021 Rente. Falls es sich bei dem Schreiben noch um ein Standardschreiben handelt, Thomschi, Du könntest diese Frage sicherlich beantworten, liegen die Gebühren bei genau 0,85 Euro. Ansonsten sogar ein Euro glatt. Das heißt also tatsächlich, für diese Rentenanpassung würden alleine die Benachrichtigung 17,6 Millionen Euro kosten. Unfassbar. Natürlich beträgt bei den meisten Rentnern, viele haben ja mehrere, die Rentenanpassung nicht unbedingt nur einen Euro. Aber 17,6 Millionen mehr Rente auszuschütten wäre ja auch eine schöne Sache, oder?
Das Problem ist aber nicht „nur“ das viele Geld. Fast noch schlimmer finde ich es, dass man diese Schreiben einfach nicht versteht und erst recht nicht, nachvollziehen kann. Aber das ist bei Behördenschreiben ja völlig normal. Anstatt bei einem solchen Schreiben einfach nur zu schreiben, Ihre bisherige Rente war bisher Summe X, diese wurde um Y Prozent erhöht, die neue Rente beträgt daher Z. Das passt auf einen Bierdeckel (da war doch mal was). Aber nein, es muss immer kompliziert gemacht werden.
Aber das kenne ich noch von vielen anderen Stellen. Wenn ich mir zum Beispiel meinen Lohnstreifen anschaue, dann kontrolliere ich eigentlich auch immer nur den Endbetrag. Hat sich etwas geändert? Wenn ja, warum? Aber die vielen Angaben kann ich doch gar nicht nachkontrollieren. Stimmen die oder sind es 100,- Euro Steuern zu viel, oder 80,- Euro Krankenversicherung mehr, als es eigentlich sein sollen. Keine Ahnung. Ich weiß es einfach nicht und wüsste auch gar nicht, wie ich das kontrollieren sollte. Hat unsere Personalabteilung vielleicht einen Fehler gemacht, bekomme ich später statt einen Euro Rente mehr vielleicht 100,- Euro zu wenig? Ich weiß es einfach nicht, muss mich darauf verlassen.
Wenn man jetzt in der glücklichen Lage ist, Eigentum zu besitzen, ist man in der unglücklichen Lage, eine neue Grundsteuererklärung abgeben zu müssen. Da viele da nicht durchblicken, wurde der Abgabetermin verschoben. Welch Überraschung.
Behördenschreiben lesen und vor allem, auch noch verstehen zu müssen, ist schlimmer, als eine Anleitung von Ikea lesen zu müssen. OK, jeder regt sich darüber auf, geändert wird aber nichts. Wenn es so einfach wäre, würde man die vielen Mitarbeiter ja auch vielleicht gar nicht mehr benötigen. Ob das ein Grund ist, dass hier seit Jahrzehnten Stillstand herrscht?
Solange Schulausflüge „pädagogisch begleitete Außenaktivität“, Quarantäne „Häusliche Absonderung“ und Bewegungen zur Musik zum Beispiel in Clubs „Tanzlustbarkeiten“ bei Behörden heißt, da wundert mich auch dieser Rentenbescheid nicht mehr.
Armes Deutschland.