Bus oder Kirchen-Toilette? Welcher Druck war größer?

Die treuen Leser und Leserinnen unter Euch wissen von unserer Leidenschaft, dem Wandern. Auch wenn Wandern in unserer flachen Heimat wunderbar ist, zieht es uns doch in den letzten Jahren immer wieder in die Berge.

Wer schon einmal den höchsten Berg in Schleswig-Holstein erklommen hat, oder sollte ich sagen, auf den Gipfel spaziert ist, der weiß, dass weder ein Kompass, Wanderschuhe noch Wasser für den Weg benötig wird. Und wenn man oben angekommen ist, kann man kaum runterschauen. Denn mit einer Höhe von 167,4 Metern ist das nicht wirklich hoch.

Anders war es in unseren letzten Urlauben, zum Beispiel in Südtirol. In Tirol waren wir sogar auf über 3.000 Metern. Da sind wir allerdings mit der Bergbahn auf die 3.048 Meter gefahren. Das schafft man, also zumindest wir, nicht zu Fuß.

Meine Höhenangst ist nach wie vor vorhanden, mal mehr, mal weniger. Als wir unseren letzten Urlaub vor ein paar Wochen in Montafon in Vorarlberg in Österreich verbrachten, war ich wieder einmal begeistert von der einmaligen Kulisse. Rundherum Berge, teilweise schneebedeckt. Ein echter Traum. Näheres über diese Reise werde ich, falls ich mal etwas Zeit habe, auf meiner Seite Erlebnisreicher.de veröffentlichen.

Meine Frau ist bei uns für die Tourenplanung verantwortlich. Und das ist kein einfacher Job. Stundenlang recherchiert sie im Internet, bei Komoot, der Wander-App. Denn die Tour sollte nicht zu weit weg von unserem Hotel sein, keine zu große Strecke oder zu viele Höhenmeter  beinhalten, trotzdem eine Herausforderung sein, gerne mit einer Alm zum Einkehren, die auch geöffnet hat, mit einem Kaiserschmarrn oder Apfelstrudel im Angebot. Und wenn der Start der Tour am besten mit der Bergbahn zu erreichen ist, muss diese auch bereits in Betrieb sein.

Es ist also anspruchsvoll, eine passende Tour zu finden. Vor allem, und das ist leider nicht immer zu ermitteln, sollte sie keine dreißig Zentimeter schmalen Pfade enthalten, auf denen man mit einem falschen Tritt in die Tiefe stürzen könnte. Das hatten wir bereits einige Male, und ich war danach immer völlig fertig.

Als wir bereits zwei wunderschöne Touren hinter uns hatten, eine mit über 800 Höhenmeter, war der Vorschlag, die dritte von einer Kirche aus in unserem Dorf zu beginnen. Die lag aber einige hundert Meter höher als unser Hotel, sodass es Sinn machte, mit dem Auto hochzufahren und die Wanderung direkt an dem Parkplatz bei dieser Kirche zu starten.

Gesagt, getan. Unser E-Auto zeigte an: 5,4 Kilometer Fahrt, etwa 10 Minuten. Natürlich hätte ich vorher besser darüber nachdenken können. Denn wie es in den Bergen so üblich ist, sind das natürlich keine normalen 10 Minuten Fahrzeit, sondern steil bergauf und sehr kurvenreich. Ich hasse es, auf diesen Straßen zu fahren. Unser Auto ist ja nicht gerade klein und recht breit. 

Die Straße wurde bereits nach ein paar Metern so schmal, dass nur noch ein Fahrzeug darauf Platz fand. Leitplanken waren die meiste Zeit auch nur Wunschdenken. Sie wurden durch Leitpfosten ersetzt. Die geben einem natürlich keine Sicherheit, falls man mal zu weit außen fahren muss.

Mein Puls stieg genauso an wie der Berg. Statt unserer Autoscheibe hätte ich bereits nach kurzer Zeit einen Scheibenwischer für meine Stirn benötigt. Ich sagte keinen Ton mehr. Meine Frau wusste genau, was in mir vorging. Höhenangst pur.

Immer wenn wir um eine Ecke fuhren und kurze freie Sicht auf die kommenden Meter und freie Bahn hatten, gab ich Vollgas. An einer Kurve kam uns plötzlich ein riesiger LKW entgegen. Ich hätte nie gedacht, dass solche Viecher überhaupt auf dieser schmalen Straße fahren. Zum Glück konnte ich in diesem Moment genau auf ein kleines Privatgrundstück ausweichen. Selbst ein Bus fährt diese Strecke, unfassbar.

Weiter ging es. Wieder Vollgas, vorsichtig um die Ecke und erneut durchdrücken. Diese gerade einmal fünf Kilometer kamen mir vor wie fünfzig. Schweißgebadet kamen wir, also ich, oben an der Kirche an. Ein E-Auto ist nicht unbedingt für Berge gemacht, zumindest unser Mustang Mach-E nicht. Er verbraucht ein Vielfaches mehr, wenn man bergauf fährt. Vor allem, wenn man das, wie gerade geschehen, schnell oder sogar sehr schnell macht. Wenn ich es in meiner Anspannung richtig verfolgt habe, hatten wir oben statt der fünf Kilometer über fünfzig verbraten. Aber das war mir egal. Dass wir nach unserer Wandertour prima rekuperieren können, also beim Bergabfahren Energie zurückgewinnen, war mir völlig gleich. Der Gedanke, dass uns beim Herunterfahren ein Auto oder sogar ein Bus entgegenkommen könnte, verdarb mir zunächst die Freude auf die kommende Bergwanderung.

Doch ich habe gelernt, man soll sich nicht mit Problemen beschäftigen, die vielleicht niemals eintreten.

Die Wanderung war wirklich wunderschön, einfach atemberaubend. Als wir oben angekommen waren, machte der Anblick die Fahrt schon fast wieder ungeschehen. Die Almhütte war geöffnet, die Sonne lachte, der fantastische Ausblick konnte genossen werden. Tipp: Wenn Ihr noch nie auf einem Berg in einer Almhütte eingekehrt seid, um dort einen Kaiserschmarrn zu essen, macht es. Aber teilt euch unbedingt eine Portion. Die ist nämlich immer riesig. So auch in unserem Fall. Dazu hatte ich ein leckeres, kühles Hefeweizen, was für ein Moment.

Wenn Euch die wirklich wunderschönen Bilder interessieren, schaut demnächst einmal auf meinem Instagram-Account nach.

Doch auch die schönste Pause muss einmal zu Ende gehen, und so machten wir uns auf den Weg zurück zur Kirche. Runter geht es ja meistens schneller als rauf, ist aber, wenn auch konditionell einfacher, oft schwieriger. Die Wege sind manchmal schmal und voller Schotter. Man muss also aufpassen, nicht auszurutschen. Zum Glück haben wir unsere ausklappbaren Carbon-Wanderstöcke. Danke noch einmal dafür an meine Mama, die sie uns geschenkt hat.

Als wir etwa 30 Minuten wieder unterwegs waren, bekam ich plötzlich Bauchschmerzen. Wer einen halben Kaiserschmarrn mit einer Menge Zucker und Rosinen isst, dazu ein Hefeweizen, und an einer Laktose- und Fruktoseintoleranz leidet, sollte sich eigentlich nicht wundern.

Das Problem wurde schlimmer mit jedem Schritt. Um es zu beseitigen, musste eine Toilette her. Dass die mitten in den Bergen nicht auf einen wartet, ist natürlich klar. Unsere Schritte wurden schneller und schneller. Meine Frau kramte in ihrem Rucksack und hielt mir eine Packung Taschentücher hin. Niemals, erwiderte ich, mache ich solche Geschäfte in der Natur. Das geht gar nicht. Ich schaute auf meine Toiletten-App. Direkt an der Kirche sollte eine sein. Bis dahin halte ich das irgendwie aus, redete ich mir ein. Und wenn das Problem erledigt ist, steht die Fahrt ins Tal an. Ein Problem nach dem anderen.

Der Druck wurde größer und größer, unser Abstieg schneller und schneller. Und dann sah ich sie in der Ferne, die Kirchturmspitze. Die letzten Meter bin ich dann fast schon gelaufen. Von weitem konnte ich bereits sehen, dass anscheinend tatsächlich Toiletten vorhanden waren.

Auf dem Parkplatz gegenüber hielt ein Bus, und ein kleiner Junge rief uns aufgeregt entgegen: „Da Bus is scho do.“

Ich sprintete an ihm vorbei auf die Toilette. Meine Frau schaute mir erleichtert nach. Doch nach wenigen Sekunden kam ich bereits wieder herausgestürmt. „Geschlossen?“, rief meine Frau erschrocken.

„Schnell“, erwiderte ich und rannte Richtung Auto. Sie wusste gar nicht so schnell, was los war. „Schneller!“, rief ich. „Schneller!“

Wir sprangen geradezu ins Auto, die Wanderstöcke noch ausgeklappt auf die Rücksitze geworfen.

„Wir fahren dem Bus hinterher, dann kann uns niemand entgegenkommen“, rief ich lautstark. Der war aber bereits losgefahren und nicht mehr zu sehen. „Ich glaube, der ist in die andere Richtung gefahren“, meinte meine Frau resignierend.

Na, der is obi ins Tal g’fahrn, i bin ma fast sicha“, antwortete ich in einem nahezu perfekten Dialekt, den ich zumindest gefühlt plötzlich sprechen konnte. Und tatsächlich, ein paar Meter später tauchte er vor mir auf. Was für eine Freude und Erleichterung. Die Bauchschmerzen waren für einen kurzen Moment vergessen.

Und genau wie befürchtet, kamen uns einige Fahrzeuge entgegen. Und auch wenn es heißt, wer runterfährt, muss dem Hochfahrenden Platz machen und zurückfahren, gilt das natürlich nicht für einen Bus und diejenigen, die direkt dahinter fahren. Also mussten die eine Weile rückwärts fahren, und wir konnten gemütlich hinterher und bedankten uns jedes Mal freundlich.

Der entgegenkommende Bus wartete auf halber Strecke nach Fahrplan. Dem hätten wir dann wahrscheinlich Platz machen müssen, was für ein Albtraum.

Ich erinnerte mich an einen anderen Almbesuch, bei dem ich dieses Problem mit dem Fahren auf so engen Straßen mit der Eigentümerin besprach. „Man muss nur Auto fahren können, dann ist auch mal ein Kilometer rückwärts fahren in 2.000 Metern Höhe ohne Leitplanken kein Problem“, meinte sie. 

Aber vielleicht nicht, wenn der höchste Berg am Heimatort 167,4 Meter hoch ist, dachte ich schon damals.

Im Hotel angekommen konnte ich mich dann endlich entspannt anderen Geschäften zuwenden, was für eine Erleichterung.

Was habe ich an diesem Tag gelernt? Erstens, möglichst auf Zucker außer Reichweite von Toiletten verzichten. Und zweitens, statt des Autos auch mal einen Bus benutzen.