Der gelbe Ball

Unser Leben besteht meistens aus Routinen. Wir haben einen bestimmen Rhythmus, versuchen möglichst gut durch den Alltag zu kommen. Aufstehen, frühstücken, arbeiten, Freizeitaktivitäten, Abendessen, schlafen gehen. 

OK, das ist jetzt sehr stark abgekürzt, aber im Prinzip ist es ja so. Wir haben oft oder sogar meistens gar keine Zeit mehr, unsere Aufmerksamkeit den besonders schönen Dingen des Alltages zu widmen. Damit meine ich keine materiellen Dinge, sondern die, die für uns selbstverständlich geworden sind, weil sie einfach immer da sind.

Doch selbstverständlich ist im Leben so gut wie gar nichts. Gerade vor ein paar Tagen machte ich in meiner Pause wieder einmal einen kleinen Spaziergang. Bei dem Wetter würde ich an manchen Tagen am liebsten gar keinen Schritt vor die Tür machen. 

Doch ich habe vor einer Weile eine Studie gelesen. Dänische Forscher ermittelten anhand von Biodatenbanken von 78.430 britischen Erwachsenen im Alter zwischen 40 und 79 Jahren, dass zügiges Spazierengehen das Demenzrisiko um bis zu unglaublichen 62 Prozent reduzieren kann. Das klingt unglaublich, oder?

Wer täglich nur 30 Minuten, wichtig, in einem zügigen Tempo von 112 Schritten pro Minute spazieren geht, kommt auf diesen Wert von 62 Prozent. Klingt eigentlich nicht schwer. Laut meiner Smartwatch gehe ich bei meinen Spaziergängen meistens locker diese nötigen 112 Schritt pro Minute. Wenn ich mir da andere anschaue, die schaffen wahrscheinlich den ganzen Tag nicht einmal 112 Schritte.

Wie auch immer, zurück zu meinem Spaziergang. Ich schaue mich dabei gerne um und nehme nicht nur die Menschen wahr, die mir begegnen, sondern achte auch auf die Natur und insbesondere auf die Sonne. 

Mal versteckt sie sich vor mir, mal begrüßt sie mich und lugt hinter einem Baum hervor und schaut nach mir und manchmal strahlt sie mir auch die ganze Zeit ins Gesicht. Es gibt ja kaum etwas schöneres als Sonnenstrahlen, die einen frierenden Körper wärmen. OK, wenn ein Mensch das macht, ist es noch Schöner. Aber die Sonne mit all ihren Annehmlichkeiten ist schon etwas ganz Besonderes. Ich dachte einmal mehr darüber nach, dass ich immer noch nicht genau erklären kann, wie die Sonne um die Erde kreist oder umgekehrt und wie weit sie weg ist und wie das alles eigentlich funktioniert. So in etwa, aber nicht wirklich detailliert. 

Am Wochenende habe ich mir die Sonne einmal mehr genauer angeschaut. Dieses Mal aber nicht mit den Augen, sondern mithilfe von Google. Die Daten der Sonne sind wirklich spektakulär: Der Kern der Sonne ist etwa 15 Millionen Grad, die Oberfläche etwa 5.500 Grad und außen ist sie etwa ein bis drei Millionen Grad heiß. Ihr Durchmesser ist etwa 109 Mal so groß wie unsere Erde und 330.000 Mal schwerer. Ohne diesen gelben Ball wäre die Temperatur auf der Erde minus 270 Grad, was in etwa der Temperatur des Weltraums entspricht. 

Sie ist etwa 4,6 Milliarden Jahre alt und wird etwa noch 5 Milliarden Jahre weiter scheinen und ihr Leben dann wahrscheinlich als weißer Zwerg beenden. Unfassbar, oder?

Wenn ich mir das Bild oben anschaue, danke dafür an die NASA, so richtig gelb ist der Ball eigentlich gar nicht. 

Apropos Sonne:

Vielleicht mag es am Alter liegen, oder eher gesagt, an der Reife, die man (also zumindest die meisten Menschen) im Laufe eines Lebens erreichen kann. Aber in den letzten Jahren lieben wir ganz besonders Sonnenaufgänge und auch Untergänge. 

Wobei, wir scheinen nicht die Einzigen zu sein. Je nachdem, wo man einen Auf- oder Untergang bewundert, finden sich gefühlt immer mehr Menschen ein, um es zu bewundern. 

Am schönsten finden wir es, wenn man einen Sonnenaufgang am Meer erleben darf. Als wir vor kurzem am Strand waren, schauten mehrere Frühaufsteher bereits auf die Uhr und anschließend gen Himmel, genau wie wir. Noch eine Minute, dann sollte sie am wolkenlosen Himmel am Horizont langsam aufsteigen. Und so war es dann auch, wie immer war sie pünktlich. 

Es war einfach atemberaubend, wie sie, als würde sie gerade aus dem Wasser nach einem erfrischenden Bad, auftauchten. Ich setzte meine Sonnenbrille auf und beobachtete, wie viele andere an diesem Tag beeindruckt die magische Atmosphäre genossen. Die Farben, das Licht, die Wärme, die sofort zu spüren war, war wieder ein ganz besonderer, ein einzigartiger Moment. Der Himmel verfärbte sich in sanften Tönen von Rosa, Orange, Gold und Blau. 

Alles erschien so friedlich und still, ein neuer Anfang, ein neuer Tag, neue Möglichkeiten lagen vor uns. Die ästhetische Schönheit des Lichts zog uns in den Bann. Es gab uns ein Gefühl der Verbundenheit mit den Fremden um uns herum, die ebenfalls jeden Moment zu genießen schienen. 

Meine Frau kuschelte sich an mich und ich schlang meine Arme fest um sie, um diesen Anblick noch intensiver erleben zu können. Unsere nackten Füße wurden vom Wasser umspült, es war Genuss pur. 

Ich fragte mich, angesichts dessen, dass die Sonne recht schnell immer höher steigt, warum es so lange dauert, bis sie wieder untergeht. Gefühlt könnte sie in wenigen Stunden ihre Bahn hinter dem Horizont beendet haben. Der Eindruck scheint zum Glück zu trügen. 

Als wir dann abends, wieder in Gesellschaft vieler Gleichgesinnter, genau das Gegenteil bewundern durften, beobachten konnten, wie die Sonne langsam ins Meer tauchte und dann verschwand, war die Stimmung anders, aber erneut magisch. 

Ich dachte, nachdem der Himmel sich immer mehr mit intensiven Farbnuancen verfärbte, über das Erlebte nach. Es erinnerte mich an das Leben. Bei einem Neuanfang, der Geburt eines Kindes, sind meistens auch viele Menschen erst einmal sprachlos, wollen teilhaben am Wunder der Natur. Heißen den neuen Erdenbürger willkommen. 

Im Laufe des Lebens schenken Menschen anderen Menschen oft nicht mehr so viel Aufmerksamkeit. Das Dasein wird für selbstverständlich gehalten. Genau wie bei der Sonne. Erst, wenn die Sonne wieder untergeht, ein Leben sich dem Ende nähert, finden sich erneut andere ein, um an diesem Moment teilzuhaben. 

Genau wie beim Anblick des Sonnenuntergangs, der zumindest das Ende des Tages einläutet, ist eine Abschiedsstimmung, eine gewisse Melancholie, eine Schwere, spürbar. Und wer weiß, vielleicht ist es im Leben genauso wie mit der Sonne. Nach einem erfüllten Tag, nach einem erfüllten Leben, wartet auf der anderen Seite ein neuer Anfang.