Als vor einiger Zeit der heute 63-Jährige Sänger der 1982 gegründeten Pop-Gruppe „A-ha“, Morton Harket, im Fernsehen angekündigt wurde, der seinen Hit „Take On Me“ singen sollte, war ich ziemlich gespannt. 

2010, 25 Jahre nach diesem Hit, hatte sich die Band aufgelöst und 2015 dann wieder vereint. Der Auftritt wurde in dieser Sendung mehrfach vor einer erneuten Werbepause angekündigt, Harket sollte das Lied „unplugged“, also „ohne Stecker“, darbieten, was dann aber bis zum Ende der Sendung dauerte. 

Als es dann endlich so weit war, hatte sich das Warten nicht gelohnt. Ganz im Gegenteil. Es war ein schreckliches „Gejaule“, leider ganz gruselig. Die Stimme war so dünn geworden, wenn er hoch singen musste, versagte sie fast komplett. Damit hatte er sich keinen Gefallen getan. Ich war schwer enttäuscht. Muss man, wenn die Stimme, genau wie man selber ja auch, älter wird, sich und seinen Fans so etwas noch antun? 

Becca war vor Jahren einmal in Berlin bei Madonna, das war wohl auch ganz schräg und gar nicht schön. Wenn es am schönsten ist, soll man ja bekanntlich aufhören. OK, diesen Komfort hat nun mal nicht jeder. Ich denke nicht, dass mein Chef damit einverstanden wäre, wenn ich nach einem großen Auftrag vorzeitig in Rente gehe, da eine noch bessere Leistung meinerseits unwahrscheinlich wäre. Aber gewisse Menschen sollten das doch besser einfach machen.

Umso skeptischer war ich, als ich 2021 Konzertkarten zu meinem Geburtstag geschenkt bekam. Es waren nicht irgendein Konzert. Der Tiger hatte sich angekündigt. Eine Legende. Tom Jones

OK, die jüngeren Leser werden jetzt sicherlich sagen, Tom wer? Nein, nicht Tom Kaulitz! Tom Jones! 

Tom Jones, oder besser gesagt, Thomas John Woodward, wie er mit richtigen Namen heißt. Der 1940 in der walisischen Stadt Pontypridd geborene Sohn eines Bergmanns arbeitete früher als Staubsaugervertreter und versuchte 1963 als Sänger mit seiner Band Karriere zu machen. Das funktionierte allerdings nicht wirklich. Unter dem Namen „Tiger Tom“ trat er in Arbeiterkneipen und Bars auf. Als er dann dem Manager Gordon Mills auffiel, der ihm den Namen Tom Jones gab, begann seine Kariere. 

Er wurde mit seinen engen Hosen und weit geöffneten Hemden, die seine üppigen Brusthaare zeigten, zum absoluten Frauenmagneten. Ob die Titelmusik zum James-Bond- Film Feuerball oder Hits wie What´s New, Pussycat, Sexbomb oder Delilah, Tom Jones wurde mit seiner Musik zum absoluten Superstar und wurde 2006 durch die Königin Elisabeth II zum Ritter geschlagen und darf sich seitdem Sir Thomas nennen. 

Einen solchen Superstar, den ich oft im Fernsehen bewundern durfte, das erste Mal, mit 82 Jahren, nun live auf der Bühne erleben zu dürfen, war für mich ein besonderes Ereignis, auf das ich mich sehr freute. Aber auch irgendwie eine emotionale Herausforderung. Wenn ich an den Auftritt von Morton Harket dachte, bekam ich ehrlich gesagt etwas Bauchschmerzen, bei dem Gedanken an die Stimme von Tom Jones. Ich konnte mich daran erinnern, dass ich ihn vor vielen Jahren zuletzt einmal live bei Thomas Gottschalk gesehen hatte. Damals noch mit schwarzen Haaren und einem gigantischen Auftritt. So eine kräftige und außergewöhnliche Stimme ist eine ganz besondere Gabe. Ein Mann mit einer ganz besonderen Ausstrahlung, Faszination und Energie.

Durch Corona wurde das Konzert also von 2021 auf 2022 verschoben. Doch nach einem Jahr warten war es am 6.8. endlich so weit. Ausverkaufte Halle. So richtig wohl fühlt man sich so dicht an dicht durch Corona auch nach wie vor nicht. Im Taxi zu zweit setzt man eine Maske auf, in einer Halle mit tausenden anderen nicht. Irgendwie schon schräg. Aber will man einen echten Tiger mit Maske erleben? Natürlich nicht!

20:00 Uhr. Mein Puls ist im oberen Bereich, als es dunkel in der Halle wird und die Zuschauer verstummen. Dann sieht man eine Person mit einer Taschenlampe, die jemanden eingehakt hat und diese zur Mitte der Bühne begleitet. Und Sekunden später ertönen auch schon die ersten Klänge. Als dann die Spots angehen und auf einen ergrauten, älteren Herrn leuchten, fängt dieser auch schon an zu singen. 

Von diesem Moment an ist es Gewissheit. Man kann auch noch mit 82 Jahren eine Stimme besitzen, die einem eine Gänsehaut bereitet. Voll, imposant, einzigartig, raumfüllend, jeden Ton treffend, einfach fantastisch. 

Schließt man die Augen, denkt man, die Zeit ist stehengeblieben. Öffnet man sie dann und erwartet einen Tiger voller Elan, Temperament und Energie, mag man zunächst vielleicht etwas enttäuscht sein. Der Tiger ist in die Jahre gekommen, scheint nicht mehr ganz so gut zu Fuß zu sein. Aber ein Tiger ist er nach wie vor. Er tänzelt nun auf der Stelle, lehnt sich zwischendurch auch mal auf einen Barhocker, schwingt dann aber nach wie vor mit den Armen im Rhythmus der Musik. 

Das Bühnenbild ist sehr wertig, professionell, gradlinig und eher schlicht. Genau wie das Outfit des Tigers. Von der ersten Sekunde an wird das Publikum in seinen Bann gezogen. Zwischen den Liedern erzählt Tom Jones aus seinem Leben. Dass er auch älter geworden ist, aber immer noch feste Zähne hat, wie er uns auch lachend beweist und an seinen Zähnen zieht. Man sieht, dass er nach wie vor Spaß daran hat, auf der Bühne sein Ausnahmetalent zu präsentieren. Immer wieder lacht er verschmitzt. Er ist ein echter Superstar und trotzdem scheint er vollkommen „normal“ geblieben zu sein. Keine Spur von Arroganz oder Starallüren. Er erinnert mich manchmal an Joe Cocker, den ich sehr vermisse. 

Als er seinen Hit Delilah zum Besten gibt, lacht er anschließend und erzählt mit verzogenem Gesicht, dass dieser Song von einem Österreicher übernommen und auf Deutsch gesungen wurde. Der Sänger hieß, sagt er dann süffisant, Peter Alexander, und verzieht erneut das Gesicht. Das schien ihm irgendwie nicht zu gefallen. 

So spielt Tom Jones etwa eine Stunde und vierzig Minuten ohne Pause. Viele große Hits, viele neue Songs. Keines davon auch nur im Entferntesten nicht fesselnd. Während ihm das Publikum stehend applaudiert, stellt er am Ende seine Band vor. Kurz darauf verschwindet er von der Bühne, während die Halle tobt und stehend Beifall bekundet. Was für ein Talent, was für eine besondere Stimme, was für ein toller Künstler.

Eine Zugabe gab er leider nicht. Angesicht seines Alters und nach diesem fantastischen Konzert aber auch völlig in Ordnung. 

Als das Licht angeht, weiß ich zunächst meine Gefühle nicht einzuordnen. Es war ein sensationeller Auftritt eines absoluten Ausnahmetalentes. Gerne hätte ich zwischendurch die Zeit einmal angehalten. Aber die Zeit ist gnadenlos und nicht überwindbar. Die Zeit macht auch bei einem Tiger keine Ausnahme. 

Der Tiger ist in die Jahre gekommen. Aber er macht immer noch, was ihm Spaß bringt. 

Als wir die Halle verlassen und draußen die restlichen Sonnenstrahlen meine Haut berühren, bin ich auch innerlich berührt. Man muss das Leben feiern und jeden Tag genießen. Nicht jedem ist es, wie dem Tiger vergönnt, seiner Leidenschaft bis ins hohe Alter nachzukommen. 

Darum, jeder Tag ist wertvoll. Jeder Tag ist einzigartig. Jeder Tag ist ein Geschenk!