Das „der Lack ab ist“, ist mir ja bereits bekannt. Mal zieht es hier, mal zwickt es dort. Aber hey, was soll´s, so merkt man wenigstens, dass man noch lebt!
So kam der Tag, als es plötzlich in der linken Gesäßhälfte stach, runter über den Innenschenkel, über die Kniekehle, bis hin in den Fuß. Was soll das denn nun wieder, dachte ich genervt und vermutete, eine Zerrung oder einfach nur verlegen. Nach ein paar Tagen wurde es aber leider nicht besser, also einen Termin beim Orthopäden vereinbart. Nach ausgiebiger Untersuchung kam dieser zum vorläufigen Ergebnis, Verdacht auf Bandscheibenvorfall. Na, mal wieder was Neues, es soll ja auch nicht langweilig werden, scherzte ich sarkastisch. Um das genau feststellen zu können, gibt es bekanntlich nur eine Methode, MRT. Oder anders gesagt, Magnetresonanztomographie.
Meistens dauert es einige Wochen, bis man dort einen Termin bekommt. Bei mir waren es genau vier Tage. Man muss ja auch mal Glück haben. Bevor es also dorthin ging, mussten mühsam meine beiden Ringe abgenommen werden. Ich trage immer noch meinen Verlobungsring und meinen Ehering. Einen links, einen rechts. Mochte den Verlobungsring nicht irgendwo in einer Schublade verstauben lassen, schließlich habe ich ihn für meinen Antrag aufs Empire State Building „geschmuggelt“. Aber das ist eine andere Geschichte. Also mit Wasser und Seife beide mühsam abbekommen und los ging’s.
MRT Ort angekommen, einige Zeit gewartet und schon sollte es losgehen. Auch wenn ich eigentlich nicht wirklich an Platzangst leide, so ist der Aufenthalt in der Röhre immer mehr als unangenehm. Zum Glück muss ich für diese Art Untersuchung nicht mit dem Kopf zuerst rein.
Als der wieder mal besonders freundliche Mitarbeiter, mittlerweile erinnerte ich mich bereits an ihn, die Kabinentür öffnete und mir eine Reihe an Fragen stellte, ging mein Puls schon wieder in die Höhe. Aber mit seiner beruhigenden Art und seiner kompetenten Ausstrahlung fühlt man sich immer gleich etwas entspannter. Das sollte sich ändern, als ich meinen ersten Blick auf die Röhre warf.
„Wie, mit dem Kopf dieses Mal zuerst“, fragte ich erschrocken. Ja, bekam ich zu hören, es sind neue Geräte, aber dadurch würde es auch etwas schneller gehen. Mir blieb ja nichts anderes übrig, als mich auf die fahrbare Liege zu legen, Kopf also Richtung Röhre. Tipp, sollte man etwas an Beklemmung leiden, immer eine Schlafmaske mitnehmen, dann kann man, selbst wenn man wollte, nicht „versehentlich“ die Augen öffnen. Mit Papier eingewickelt wie eine Mumie, die Arme eng am Körper, den Kopf etwas fixiert, Ohrstöpsel und Augenmaske, fuhr ich also langsam immer tiefer ins Innere der Röhre. Meine einzige Waffe, der Knopf in meiner Hand, den ich hätte im Notfall drücken können.
Als dann die bekannten Geräusche losgingen, „tack-tack-tack-tack“, „rrrrrrrrrrrrrrrrr“, wurde mir irgendwie schlecht. Einfach übel. Hier drin übergeben, das wäre es doch noch, dachte ich angespannt. Also fing ich an, mir selber Geschichten zu erzählen, um mich abzulenken.
Zwischendurch bekam ich dann immer mal wieder die beruhigende Stimme des freundlichen Mitarbeiters zu hören, die es tatsächlich schaffte, dass ich mich wieder etwas entspannen konnte. Nach etwa 15 oder 20 Minuten wurde ich dann wieder erlöst und herausgefahren. Ich atmete tief durch und konnte nach kurzer Zeit des erneuten Wartens meine CD nehmen und die Praxis verlassen. Man, war ich wieder froh, das erledigt zu haben. Im Vergleich zu anderen Diagnosen ist eine Untersuchung wegen des Verdachts auf einen Bandscheibenvorfall an diesem Ort allerdings das geringste Übel!
Gegen 16:45 Uhr erblickte ich dann meine Ringe wieder. Ich fühlte mich auch ohne irgendwie „nackt“. Rechts der Verlobungsring, links der Ehering, dachte ich, was natürlich kompletter Blödsinn ist. Spätestens, als ich den Verlobungsring trotz erhöhtem Druckaufwand nicht auf den Ringfinger meiner rechten Hand schieben konnte, hätte ich eigentlich skeptisch werden müssen. Oder ein Blick auf das Foto (siehe oben) hätte auch geholfen! Stattdessen dachte ich, der Finger wäre einfach geschwollen und schob mit Gewalt weiter. Irgendwann war es dann geschafft, fühlte sich aber irgendwie unangenehm an. Als ich dann den Ehering auf den linken Finger schob und dieser wieder, fast von alleine, runterrutschte, wurde ich leicht nervös.
Die Finger meiner Hände sind also sehr unterschiedlich dick. Google gefragt und das Ergebnis angeschaut: Man trägt zwar unter anderem in den USA den Ehering links, nicht aber so in Deutschland. Ok, dann also wieder runter damit. Am Anfang zog ich noch vorsichtig, dann etwas fester. Keine Chance. Der hatte gar nicht die Absicht, über meinen Finger zu schlüpfen. Je fester ich zog, umso dicker und roter wurde mein Finger. Also aus dem Eisfach einen Eiswürfel geholt und gekühlt. Eine Weile später versuchte ich es erneut, nichts, rührte sich gar nicht. Seife, Öl, kaltes, warmes Wasser, nichts half. Wieder Google gefragt. Mit einem Faden kann man einen Ring ganz einfach runtergehen.
Langsam wurde ich etwas panisch, der Ring grinste mich an und schien immer enger zu werden. Mein Finger hingegen immer dicker. Sämtliche Schubladen aufgerissen auf der Suche nach Nadel und Faden. Faden dann durchgezogen und wie beschrieben abgewickelt und versucht, den Ring mit runter zu drehen. Keine Chance. Statt des dünnen Fadens einen dünnen Schnürsenkel versucht. Außer, dass ich langsam das Gefühl hatte, mein Finger würde taub werden, kein Erfolg. Ich riss mir mein Hemd und mein T-Shirt darunter über den Kopf, wurde immer unruhiger. Dann rief ich meinen alten Freund Dirk an, schließlich hat der einen Juwelierladen ganz in der Nähe. „Der hat gerade Kundschaft, das wird auch noch dauern, kann er zurückrufen?“, fragte seine nette Mitarbeiterin. Ich schilderte ihr kurz das Problem. „Wir können ihn aufsägen“, schlug sie vor. Ok, ich versuche es noch mal, aber ein Rückruf wäre toll, lehnte ich das erst einmal ab.
Ich legte mich auf den Boden, packte mit Daumen und Zeigefinger den Ring und fing an ihn mit purer Gewalt langsam runter zu drehen. Zwischendurch fluchte ich laut und stöhnte immer wieder vor Schmerzen. Aber zumindest hatte ich ihn schon bis an die geschwollene Stelle gedreht bekommen. Da kann der gar nicht rüber passen, dachte ich bei dem Anblick des immer dicker werdenden Fingers. Ich schwitze, als würde ich Hochleistungssport machen, drehte immer fester und riss immer fester. Die Spitze meines Daumens wurde langsam taub. Als es nur noch weniger Millimeter bis „über den Berg“ waren, klingelte das Telefon.
Es war Dirk. „Bleib bitte mal kurz dran“, bat ich ihn. Ich hatte Angst, dass der Ring wieder runter rutschen könnte und drehte noch ein paarmal weiter. Wie ein Zehnkämpfer beim Kugelstoßen stöhnte ich, als ich ihn endlich vom Finger ziehen, nein, eher reißen konnte. Was für ein Kraftakt. Der Finger war dick geschwollen, rot, schmerzte. Der Daumen der anderen Hand, mit dem ich den Ring „runtergedreht“ hatte, war nun an der Spitze komplett taub. Aber hey, er ist ab und das ohne zersägt zu werden, das war doch das Wichtigste.
„Hat sich erledigt“, konnte ich meinen Kumpel am Telefon mitteilen und ich atmete erleichtert durch.
Das ist nun etwa 14 Tage her. Der obere Teil meines Daumens ist übrigens immer noch taub. Aber das wird bestimmt wieder. Was habe ich also an diesem Tag gelernt? Zwei Dinge:
Erstens: In die Röhre gucken kann sehr unangenehm sein, aber es ist zu überstehen. Nicht vorher schon verrückt machen. Schlafmaske dabei haben und sich sagen, es könnte viel, viel schlimmere Gründe geben, warum du hier drin liegst und untersucht wirst. Das sollte einen schon beruhigen.
Zweitens, der Kommentar meiner Frau, als sie nach Hause kam und ich ihr die Geschichte erzählt hatte. „Man darf den Jungen auch nicht alleine lassen“! Und da hat sie recht. Heißt, das Leben ist zu zweit ist immer einfacher. Und wenn man nicht mit einem/r Partner/in gesegnet ist, dann hoffentlich mit einem Freund bzw. einer Freundin oder der Familie. Denn nur geteiltes Leid, ist nun einmal halbes Leid!