Eine Legende
Keine Angst, ich leide nicht an einem Höhenflug, nur weil ich zusammen mit meiner Frau den 1.778 Meter hohen Lahngang bis zum Gipfelkreuz gemeistert habe und wir uns dort im Gipfelbuch verewigt haben. Mit der Legende meine ich natürlich nicht mich.
Ich habe es in dem einen oder anderen Blogbeitrag bereits erwähnt, seit Corona sind wir unter die Wanderer gegangen. Und zum Wandern gehört es natürlich auch, den einen oder anderen Berg zu bezwingen.
Wenn man in einem Land geboren wurde und auch immer noch dort lebt, das genau FÜNF Meter über dem Meeresspiegel liegt, erscheint einem alles, was jenseits von 50 Metern liegt, als hoch. Wenn dann noch Höhenangst mit im Spiel ist, können auch 50 Meter zu einer echten Herausforderung werden.
Dieses Jahr hatte ich mit zwei besonderen Herausforderungen dieser Art zu tun. Es fing an einem sonnigen Tag am frühen Morgen an, als ich zum ersten Mal eine Klamm durchqueren sollte. Für alle, die nicht wissen, was eine Klamm ist, hier eine kurze Erklärung:
Eine Klamm ist eine enge, oft tiefe Schlucht, die von einem fließenden Gewässer, wie einem Fluss oder Bach, in den Fels gegraben wurde. Klammen entstehen in der Regel in geologisch festem Gestein, wie Kalk- oder Sandstein, durch die Erosionskraft des Wassers. Sie sind oft spektakuläre Landschaftsformen mit steilen Felswänden, die sich manchmal fast senkrecht über dem Flussbett erheben.
Hörte sich für mich erst einmal unheimlich an. Unsere Klamm war die Wörschachklamm in der Steiermark in Österreich. Als ich die ersten hölzernen Stege und Treppen sah, fragte ich mich, warum ich dafür auch noch Eintritt bezahlt hatte. Aber klar, diesen Weg zu bauen war echte Pionierarbeit und ganz sicher nicht einfach und kostet viel Mut und einiges an Geld. Dass vor 130 Jahren hier noch Händler mit Holzgespannen durchfuhren, ist unglaublich.
Apropos Mut, es ging Trepp auf, Trepp ab. Vorbei an Wasserfällen, mein Blick immer geradeaus. Der Weg war in drei verschiedene Zonen aufgeteilt und markiert. Grün bedeutet, man darf verweilen und Fotos machen, Gelb bedeutet gehen nicht stehen und rot bedeutet tot. Nein, ganz so schlimm nicht. Die roten Zonen muss man zügig durchschreiten, da Steinschläge möglich sind. Lebendig und ohne Beulen durchquerten wir die Klamm und setzten unsere Wanderung fort.
Der übrige Weg verlief etwas ruhiger, auch ich konnte die Natur genießen. Da es sich bei dieser Wanderung um einen Rundweg handelt, wir aber nicht über die Klamm zurückkonnten, da diese auf dem Rückweg bereits geschlossen hatte, was mir ZUNÄCHST ganz recht war, mussten wir einen anderen Weg nehmen. Als ich nach einer Weile, in der wir meistens bergauf gehen mussten, das Schild entdeckte, „Panoramablick“, schwante mir nichts Gutes. Was einem in keiner App und in keiner Beschreibung angekündigt wurde, war, dass der Abstieg äußerst steil und felsig ist. Das wurde dann zwar mit einer roten Leine direkt am Wegesrand am Abhang markiert, doch diese Leine in Wadenhöhe bot natürlich keinen Schutz. Mit zittrigen Beinen, einen Fuß nach dem anderen, auf unseren Wanderstöcken abgestützt, schlichen wir Flachländer den wirklich beängstigenden Weg nach unten.
Wieder unten angekommen machten wir beide, ich vier, meine Frau drei Kreuze.
Doch nach der Wanderung ist vor der Wanderung. Bereits am nächsten Tag führte unser Weg uns wesentlich höher als noch in der „lächerlichen“ Klamm. Genauer gesagt, wie bereits am Anfang erwähnt, auf 1.778 Meter. Also 355,6 Mal so hoch wie in unserer Heimat. Der Weg darauf war teilweise für uns recht steil, aber auch für mich machbar.
Oben angekommen waren wir beide stolz, es ohne Probleme hierauf geschafft zu haben. Die Augen immer nach vorne, nach oben gerichtet, machte mir diese Bergbesteigung wenig Angst. Beim Blick nach unten zog es dann aber wieder heftig in meiner Magengegend. Wir hätten uns ja schlecht mit einem Hubschrauber von oben abholen lassen können. Also hieß es wieder einmal, Vorsicht walten lassen, den Berg und uns mit Respekt und auch mit etwas Demut behandeln und wieder nach unten kraxeln.
Über 1.778 Meter würde der Mann, den ich am Anfang als Legende bezeichnet habe, wahrscheinlich vor dem Frühstück einbeinig erklimmen. Denn diese lebende Legende hat eine Menge Rekorde aufgestellt und ist einer der bekanntesten Bergsteiger der Welt. Zusammen mit seinem Bruder erreichte er 1978 als erster Mensch ohne Zuhilfenahme von Sauerstoffflaschen das Dach der Welt, den Mount Everest, auf unglaublichen 8.848 Metern.
Als erster Mensch stand er auf allen 14 Gipfeln der Achttausender, komplett ohne Flaschensauerstoff. Unter anderem durchquerte er die Antarktis, Grönland und die Wüste Gobi.
Diesem Mann standen wir am 04.08.2024 live, mehr oder weniger direkt, gegenüber. Zwar waren einige Sitzreichen mit genauso neugierigen Besuchern wie wir es waren dazwischen, aber da war er, stand da wie ein Berg.
Im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festival untermalte der Abenteurer anlässlich seines 80. Geburtstages mit eigenen Texten über seine Bergtouren das Werk „Alpensinfonie“ von Richard Strauss. Das Orchester, das wir bereits beim Konzert von Lang Lang kennenlernen durften, bestand wie zuvor wieder aus 120 jungen Musikern verschiedenster Nationen. Nur die Besten der Besten.
In einer Zeit, in der man sehr oft das Gefühl hat, von Inkompetenz umgeben zu sein, spürte man jetzt genau das Gegenteil. Geballte Kompetenz, absolute Konzentration, Liebe zum Beruf und der Berufung. Hingabe, Freude, absolute Professionalität. Teamgeist, man spürt, dass hier jeder für jeden einsteht. Eine absolute Freude das erleben zu dürfen.
Dann der Auftritt von Reinhold Messner, der mit seiner Aura sofort die Halle übernimmt und mit seiner kräftigen Stimme eindrucksvoll jede Ritze des Raumes beschallt. An über 20 verschiedenen Momenten erzählt er aus seinem Leben von Sonnenaufgängen, Irrwegen, Demut und vielen Momenten als Bergsteiger. Jeder Moment ein Gänsehaut-Moment. Ein perfektes Zusammenspiel von Messner, dem Dirigenten und dem gesamten Orchester.
Messner erzählt eindrucksvoll von seinem Überlebenskampf, dass er jedes Mal als ein anderer Mensch am Ende seiner Reise ist. Zusammen mit dem fantastischen Orchester ist es ein unvergessliches Erlebnis für uns.
Als ich am Ende zu meiner Frau herüberschiele, sehe ich, wie sie sich ein paar Tränen abwischt. Ich bin also nicht alleine in meiner Gefühlswelt, denn mir geht es genauso.
Danke an das Orchester, danke an Reinhold Messner, danke für dieses einzigartige Erlebnis, dass ich von nun an sicherlich bei allen kommenden Berührungen mit der Bergwelt in mir tragen werde.