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Fachkräfte

Ich kann mich noch sehr gut an meine Karriere als Fußballspieler erinnern. Ich habe schließlich 10 Jahre beim Postsportverein gespielt und hatte auf meinem Trikot die Rückennummer, genau wie Günter Netzer, Rudi Völler, Lothar Matthäus zeitweise, um nur einige zu nennen, die 10 getragen. 

Das mag aber eher daran gelegen haben, dass ich und meine Kameraden in der Buben-Mannschaft gar nicht wussten, was das bedeutet. Ich meine mich daran erinnern zu können, dass wir uns eine Zahl aussuchen konnten. Und da ich ein gutes Verhältnis zum Trainer hatte, konnte ich bestimmt ziemlich am Anfang meinen Wunsch äußern. OK, der Trainer war mein Vater, aber sicherlich hatte er mit seinem Expertenverstand meine Qualität frühzeitig erkannt und mir die Nummer empfohlen. 

Das Trikot besitze ich übrigens immer noch. Aber wie so oft schweife ich vom Thema ab. Ich habe sehr schöne Erinnerungen an diese 10 Jahre, allerdings auch ein paar nicht so schöne. Im Laufe der Jahre war es für uns Spieler oftmals sehr traurig, wenn wir in unserer zweiten Mannschaft Spieler hatten, die von unserem Trainer sehr gut ausgebildet wurden und diese sich sehr gut entwickelten und dann von der ersten Mannschaft abgezogen wurden. In unserem Team wurden sie oftmals über Jahre trainiert, und dann, wenn wir mit ihnen Erfolg hatten, waren sie wieder weg. 

Klar, das nennt man Kariere und wenn man sich weiterentwickelt, muss man auf der Karriereleiter ja auch aufsteigen können. Aber unser Erfolg war dann oft ganz schnell wieder vorbei und das hat sehr frustriert. Im Kindes- und Jugendalter empfand man das einfach als ungerecht. Ob der Spieler sich bei uns wohlfühlte oder nicht, Talent gehörte in die erste Mannschaft. 

Genauso wie in unserer Mannschaft damals Talente abgeworben wurden, ergeht es heute auch dem globalen Arbeitsmarkt. Doch die Folgen sind weitreichender als nur der Verlust eines Mitspielers.

Heute, Jahrzehnte später, denke ich oft über das omnipräsente Thema Fachkräftemangel nach. Jede Partei versucht die andere zu übertrumpfen, um eine Möglichkeit zu finden, Fachkräfte anzuwerben. 

Seit 2020 gibt es sogar das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Es erleichtert die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und ermöglicht die Einreise zur Arbeitsplatzsuche für bis zu sechs Monaten. Und es verzichtet auf Vorrangprüfung in vielen Fällen (kein Nachweis, dass keine deutsche Arbeitskraft verfügbar ist).

Unser Land bietet den zukünftigen Fachkräften aber auch noch eine Menge mehr an. Zum Beispiel finanzielle Anreize und Weiterbildungsmöglichkeiten. Bestimmte Visumsregelungen ermöglichen es Fachkräften, ihre Familien nach Deutschland zu holen.

Ohne eine gewisse Anzahl an Zuwanderung werden wir es wohl nicht schaffen. 

Und welche Art Fachkräfte werden am dringlichsten bei uns benötigt? Pflegekräfte, Ärzte, Hebammen und Entbindungspfleger, Softwareentwickler, IT-Sicherheitsexperten, Ingenieure, Naturwissenschaftler, Elektriker, Heiz – und Klimatechnik, Dachdecker, Maurer, Lehrer und Erzieher, Lokführer, Sozialarbeiter. Die Liste ist lang.

Viele Einwanderer kommen aus Indien, China, Vietnam, den Philippinen, Syrien, Iran und den Westbalkan-Staaten. 

Was ich merkwürdig finde ist, dass niemand auch nur ansatzweise moralische Bedenken äußert. Wir werben diese Menschen an, obwohl wir wissen, dass sie in ihren eigenen Ländern dringend benötigt werden. In vielen armen Ländern ist es sicherlich wesentlich schwerer, überhaupt Fachkräfte auszubilden, zu finden und sie zu behalten. Dann kommen die reichen Länder und nehmen ihnen die wenigen Spezialisten auch noch weg. Ich finde das oft beschämend, aber niemand sagt etwas. 

Ein großer Teil unsere Babyboomer-Generation (in Deutschland typischerweise als die zwischen 1955 und 1969 Geborenen definiert) wird bis etwa 2030 in Rente gehen. Das sind eine Menge Fachkräfte, die dann auf dem Arbeitsmarkt fehlen werden. Das hinterlässt eine sehr große Lücke.

Ich kenne viele Menschen in meinem Umfeld, auf die das zutrifft. Jetzt sollte man eigentlich denken, dass die Arbeitgeber diese Mitarbeiter besonders zu schätzen wissen. Dass ihnen bewusst ist, dass diese Kompetenzen, diese geballte Erfahrung, die in wenigen Jahren wegbricht, einen besonderen Wert für ihre Unternehmen haben. 

Und genau wie die Regierung jetzt überlegt, welche Anreize man diesen Menschen anbieten kann, damit sie vielleicht über das Renteneintrittsalter hinaus weiter arbeiten, sollte man vermuten, dass die Firmen besonderes Interesse an diesen Spezialisten haben. 

Das Unverständliche ist aber, dass kein einziger, mit dem ich mich über dieses Thema unterhalte, das bestätigt. Ganz im Gegenteil. Alle berichten mir, dass sie mindestens drei Kreuze machen, wenn sie endlich das Rentenalter erreicht haben. Der Grund ist, dass sie sich überhaupt nicht mehr wertgeschätzt, sich teilweise nur noch geduldet fühlen und man sie aufgrund ihres Alters gefühlt sogar belächelt und anscheinend nur noch auf die jungen Nachwuchskräfte setzt. 

Ich finde das sehr befremdlich und absolut nicht nachvollziehbar. 

In unserer Jugendmannschaft haben wir versucht unsere Talente zu halten. Mal mit einer Spezi oder einer Portion Pommes nach dem Spiel, aber selbst auch in jungen Jahren mit Wertschätzung und Bewunderung. 

Das scheint sich in der heutigen Zeit komplett geändert zu haben. Traurig eigentlich!