Früher war man früher älter
Ich weiß, meine Beiträge beginnen oft mit dem Wort früher. Das liegt jetzt aber nicht daran, dass ich der ewig Gestrige bin oder immer nur in der Vergangenheit lebe. Ich weiß das Heute natürlich zu schätzen, erinnere mich aber auch gerne an die Jahre zurück. Man kann ja froh sein, dass man sich gerne an die damalige Zeit erinnert und vor allem auch erinnern kann.
Das ist nicht selbstverständlich. Viele denken an ihre Kindheit sicherlich mit Graus zurück und andere können gar nicht mehr zurückdenken. Krankheiten wie Alzheimer trifft ja auch jüngere Menschen. Aber wollen wir nicht über Krankheiten nachdenken.
Nichtsdestotrotz, ich erinnere mich zum Beispiel gerne an meine Oma, meine Tante und meinen Onkel. Leider haben mich viele nach meiner Kindheit nur bis zu meiner Jugend begleitet. Manchmal schaue ich mir gerne alte Fotos an, einige noch in schwarzweiß.
Nehmen wir als Beispiel mal meine Oma. Ich habe sie natürlich immer noch vor Augen und kann mich auch ohne Fotos an ihr Aussehen erinnern. Sie hat damals, als ich klein war, noch eine ganze Weile gearbeitet. So alt war sie also noch nicht. In meiner Erinnerung war sie aber niemals jung. Sie war zwar fit, wenn man das Wort fit überhaupt verwenden kann. Sie hätte keinen Sprint machen können, zumindest nicht so weit ich mich erinnern kann.
Genauso erinnere ich mich an einen Nachbarn von uns, der damals in unserem Haus unter uns wohnte. Er hatte ein schickes Auto, wollte aber selber nicht fahren. Korrektur meiner Mama: Er hatte nicht mal einen Führerschein, kaufte sich trotzdem das Auto, damit zunächst ein anderer Nachbar und dann mein Vater es, bzw. ihn, fahren sollten. Verrückt!
Also nachdem der andere Nachbar nicht mehr wollte oder konnte, fragte er meinen Vater, ob er nicht Lust hätte, mit seinem Wagen zu fahren. Also mehr oder weniger etwas den Chauffeur spielen, um am Wochenende mit ihm über die Dörfer zu fahren und für eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen irgendwo in einem netten Land-Café einzukehren. Selbstverständlich zusammen mit mir und meiner Mutter. Manchmal nahm er auch seine Bekannte mit oder mein Bruder war dabei. Dieser nette Nachbar war ebenfalls in meiner Erinnerung nie wirklich jung.
Ob nun von der Haut her, der Motorik, der Kleidung, den Hobbys, wenn er überhaupt welche hatte, der Redensart. Irgendwie waren viele Menschen damals anscheinend immer schon älter. Wenn ich mir heute die Fotos anschaue, kann ich mir nicht vorstellen, dass meine Oma zum Beispiel mal Tennis gespielt oder Yoga gemacht hatte. Oder das der Nachbar irgendwelche Technik beherrschte. Klar, das war eine andere Zeit, aber hätte ich damals bereits ein Smartphone gehabt, hätte meine Oma oder der Nachbar wahrscheinlich nie gewusst, wie rum sie es hätten halten müssen. Ja, es war wirklich eine komplett andere Zeit.
Eine Generation später ist jetzt auch nicht mehr so jung, sondern älter oder alt geworden. Aber wenn ich mir diese Junggebliebenen heute anschaue, liegen Welten dazwischen. Wenn einer mich heute fragt, wie alt ich ihn oder sie schätzen würde, kann ich es nicht einmal ansatzweise sagen. Wie viele ich kenne, die bereits seit einer Weile eine acht als erste Ziffer vor Ihrem Alter stehenhaben, die regelmäßig Sport machen, zum Yoga gehen, alleine in den Urlaub fliegen, ihr Smartphone bedienen und Instagram-Videos schauen und mit ihrer Smartwatch an der Kasse bezahlen, es ist unglaublich.
Die meisten wohnen nach wie vor in ihren Wohnungen, versorgen sich mit ihren Einkäufen selber und gehen in Konzerte. Natürlich gibt es auch nach wie vor das Gegenteil. Es haben ja nicht alle Menschen so ein Glück, von schlimmen Krankheiten und Einschränkungen verschont zu bleiben. Aber es sind eben eine Menge, die sich ihr Leben lang fit gehalten haben, mental und physisch. Ich finde das fantastisch. Eine Freundin von meiner Mutter wird dieses Jahr 103 und sah das letzte Mal, als ich sie auf einem Foto gesehen habe, locker 20 Jahre jünger aus.
Die Zeiten haben sich geändert, ganz besonders was das Alter angeht. Wenn man manchmal im Fernsehen das Alter eines Mannes oder einer Frau eingeblendet bekommt, denkt man, der oder die sieht ja 10 Jahre älter aus, das gibt es natürlich auch. Aber meistens ist es umgekehrt. Der 70-Jährige könnte auch knapp 60 sein, alles verschwimmt. Sicherlich auch eine Frage, wie man mit sich selber umgeht.
Natürlich geht es einem möglichst auch nicht anders. Fühlst Du Dich so alt, wie es in Deinem Ausweis steht? Ich auf jeden Fall nicht. Ehrlich gesagt muss ich öfter überlegen und tatsächlich auch schon einmal nachrechnen, wann ich geboren wurde und wie alt ich wirklich bin. Wenn ich es ausspreche, finde ich das einfach nur lächerlich und grotesk.
Man wird ja eher selten gefragt, wie alt man ist. Wahrscheinlich geht es einem deshalb schwer über die Lippen, es zu sagen. Nicht, dass man sich schämt, nein, man kann es einfach nicht glauben. Wenn ich mich mit Kollegen unterhalte, die halb so alt sind wie ich, habe ich nicht das Gefühl, ich könnte der Vater sein. Natürlich auch nicht, dass ich im gleichen Alter bin. Irgendwie etwas dazwischen vielleicht.
Die Oma meiner Frau hat immer zu mir gesagt, sie kann es gar nicht glauben, dass sie schon so alt ist. Sie konnte es einfach nicht fassen. Jetzt weiß ich genau, was sie gefühlt hat, mir geht es nicht anders. Und sie meinte bis zuletzt immer, ich würde wie 28 aussehen. Das hat mich immer sehr gefreut, muss aber zugegebenermaßen an ihren Augen gelegen haben. Für sie wurde ich irgendwie nie älter.
Wenn unsere Eltern und viele Freunde und Bekannte in dem Alter noch sportlich und auch geistig so fit sind, ist das doch ein Ansporn für jeden, der nachkommt.
Ich finde diese Entwicklung fantastisch und freue mich schon darauf, meinem achtzigsten Geburtstag, nachdem ich morgens eine Runde joggen gewesen bin, im Hansa-Park mit meinen Freunden zu verbringen. Vielleicht traue ich mich mit 80 dann ja auch mal, einen Fallschirmsprung zu machen.
Was für ein schöner Gedanke. Jung sein im Alter. Drücken wir uns alle mal die Daumen.