
Geschäfts-Freunde
Nach meiner Ausbildung war ich bei uns in der Firma für das Thema Technik zuständig.
Technik damals war natürlich etwas ganz anderes als heute. Sie hatte mich aber auch zu dieser Zeit bereits fasziniert. Im Laufe der Jahre übernahm ich die Verantwortung für das Thema Bürotechnik, konnte also auch das Sortiment bestimmen, war für den Einkauf zuständig.
Dazu führte ich immer wieder Gespräche mit Lieferanten und versuchte die besten Preise herauszuholen. Das war eine verantwortungsvolle Zeit, die mir sehr viel Freude machte.
Freude machte es mir meistens auch mit den Lieferanten. Natürlich gab es auch welche, die einem nicht so sympathisch waren, zu anderen hatte man nach einer Weile ein partnerschaftliches Verhältnis, das teilweise auch über die Geschäftsbeziehung hinaus ging.
Es gibt so einige Handelsvertreter, die mir im Gedächtnis geblieben sind. Unsere Taschenrechner bezogen wir damals noch direkt bei der Firma Sharp. Der Vertreter des Unternehmens kam, wenn ich mich richtig erinnere, etwa alle vier Wochen. Ein echter Vollblut- Verkäufer, wie er im Buche steht. Er hatte bei seinen Besuchen auch immer ein paar „Nebenbei-Angebote“ im Kofferraum. Mal verkaufte er Krawatten, mal Uhren teurer Marken als Nachbau. Es war immer ein Erlebnis, wenn er zu Besuch kam.
Damals sponserte Sharp noch den HSV und so bekam ich als zuständiger Mitarbeiter Karten zu den Heimspielen. Da die anderen Kollegen in meiner Abteilung keine Fußballfans waren, konnte ich sie fast immer in Anspruch nehmen. Ich erinnere mich noch genau, einmal hatte er zwei Karten, niemand wollte mitkommen. Da nahm ich meinen Vater mit. Es waren Karten für die VIP-Lounge. Da liefen eine Menge Prominente herum. Ein Herr an unserem Stehtisch fragte uns nach einem Kugelschreiber, dem ich ihm dann auslieh. Mein Vater sagte, das ist Henning Voscherau, der Bürgermeister von Hamburg. Ich hatte ihn gar nicht erkannt. Am nächsten Tag fragten mich mehrere Kollegen, wie das Spiel in Hamburg war. Ich war erstaunt, hatte es ja nicht überall herumerzählt. Aber ich war im Fernsehen zu sehen, die Kameras hatten meinen Vater und mich in dem VIP-Bereich mit aufgenommen. Witzig, das hatten wir gar nicht bemerkt.
Dieser Sharp Vertreter war 1994 genau wie ich in den USA zur Fußball-WM. Ich kann mich noch genau daran erinnern, habe ihn im Hotel in Chicago angerufen, wollte mich mit ihm verabreden. Er war allerdings schon anders verplant.
Irgendwann war die Zeit gekommen und große Hersteller wie Sharp wollten kein Direktgeschäft mehr machen, sondern alles über sogenannte Distributoren abwickeln.
Distributoren sind Firmen, die Produkte von einem Hersteller kaufen und sie dann an andere weiterverkaufen, z. B. an unser Unternehmen. Sie helfen also dabei, Waren vom Hersteller zum Käufer zu bringen.
Von dieser Zeit an kam ein junger Mitarbeiter aus der Richtung von Niedersachsen zu uns. Am Anfang noch etwas zurückhaltend, mit der Zeit wurde der Kontakt dann immer herzlicher. Es kam im Laufe der Jahre so weit, dass er meine Frau und mich zu seiner Hochzeit einlud. Ich nahm die Einladung samt Übernachtung natürlich an. Ich erinnere mich noch genau, es war der 19. Mail 2001.
Unterwegs zum Hotel hörten wir im Radio das dramatische Saisonfinale der Bundesliga 2000/2001. FC Schalke 04 spielte zu Hause gegen die SpVgg Unterhaching und gewann mit 5:3. Durch dieses Ergebnis und das gleichzeitige 1:0 des Hamburger SV gegen den FC Bayern München in der 90. Minute sah es so aus, als würde Schalke die Meisterschaft gewinnen.
Die Fans im Parkstadion feierten bereits, und es herrschte große Euphorie. Schalke war für 4 Minuten und 38 Sekunden virtuell Deutscher Meister.
Doch in der Nachspielzeit des Spiels zwischen dem FC Bayern München und dem Hamburger SV erhielt Bayern nach einem Rückpass, den der HSV-Torwart mit der Hand aufnahm, einen indirekten Freistoß im Strafraum. Patrik Andersson verwandelte diesen in der 94. Minute zum 1:1-Ausgleich. Dieser Treffer sicherte dem FC Bayern die Meisterschaft aufgrund des besseren Torverhältnisses.
Verrückt, dass man sich daran erinnert, verrückt, dass man aus einer Geschäftsbeziehung eine Freundschaft machen kann.
Im Laufe der Jahre habe ich viele Vertreter kommen und gehen sehen. Mit einem, dem lieben Ulrick, mit dem ich 2001 zusammen in Japan auf einer Veranstaltungsreise war, bin ich bis heute in Kontakt.
Ein anderer, der liebe Welf, der uns jahrelang zum Thema Aktenvernichter etc. auf dem Laufenden gehalten hat, ebenfalls. Wir waren zusammen auf Malta. Genau wie Japan, unvergessen.
Mit beiden bin ich nach wie vor per WhatsApp verbunden, wir schreiben und telefonieren immer mal wieder miteinander. Beide sind bereits in Rente.
Andere, mit denen ich über viele Jahre auch privat Kontakt hatte, haben sich nach meinem Wechsel in eine andere Abteilung von heute auf morgen nie wieder gemeldet. Das hat mich damals sehr traurig gemacht.
Der Mitarbeiter aus Niedersachsen, auf dessen Hochzeit ich war, wechselte irgendwann zu einem Hersteller. Daher kam als Ersatz ein Partner der Firma zu mir.
Auch wir verstanden uns genauso gut, es war wie mit seinem Vorgänger. Immer wenn er kam rief ich unseren Lageristen an und fragte nach den aktuellen Beständen. Oftmals gab es „eigentlich“ nicht wirklich etwas zu bestellen. Aber ich konnte ihn doch nicht ohne Auftrag verabschieden.
Also suchte ich mir ein paar Produkte, die ich auf jeden Fall verkaufen würde und bei denen ein gewisser Vorrat bis zu seinem nächsten Besuch garantiert abgekauft sein würde. Ich musste mir nur eine kleine Werbeaktion einfallen lassen und schon lief das.
Er war älter als ich, sodass ich nie auf die Idee gekommen wäre, ihm das Du anzubieten. Und falls Du meinen letzten Bogbeitrag „#gernperdu“ (wenn Du hier rauf klickst, kommst Du zu ihm) gelesen hast, weißt Du, dass ich auch gar nicht so ein Freund der Duzerei bin.
Ich nenne ihn mal Herrn S. Immer, wenn Herr S. kam, bereitete ich einen Kaffee für uns vor und freute mich auf ihn. Erst wurde immer das Geschäftliche abgearbeitet. Er hatte auch immer einen ganzen Stapel an Produkten dabei, schleppte sich damit ab um mir diese Neuheiten vorzustellen. Das war jedes Mal hochinteressant. Wenn dieser Teil erledigt war, er meine Bestellung notiert hatte, kamen wir zum Highlight seines Besuches, dem privaten Austausch.
Er hatte immer Interesse an meinen Reisen. Ernsthaftes, nicht gespieltes Interesse. Ich zeigte ihm dann manchmal ein paar Fotos auf meinem Handy. Genau wie er hatte ich auch Interesse an seinem Leben. Er zeigte mir dann Fotos von seinen Enkeln, den Zwillingen. Er war stolz wie Oskar und strahle bei seinen Erzählungen. Eine Zeit lang konnte ich also an seinem und am Leben dieser beiden Kinder teilhaben, sah, wie sie größer wurden. Es war jedes Mal ein herzlicher Austausch, wir verstanden uns prima.
Irgendwann war die Zeit gekommen und auch er ging in den wohlverdienten Ruhestand. Aber auch mit ihm blieb ich in Kontakt. Per WhatsApp schrieben wir uns, tauschten Bilder aus, telefonierten unregelmäßig, waren weiterhin miteinander verbunden.
Als er mir von seiner schweren Krankheit erzählte war ich sehr betroffen. Ich war sehr froh als er diese Herausforderung überwand. Aber wenn einen erst einmal so ein Schicksalsschlag trifft, dann leider oft erneut. Und so kam es dann auch. Ich bewunderte immer seine Einstellung. Er ging auch mit seiner zweiten schweren Erkrankung offen um, kämpfte erneut. Er erinnerte mich an meinen lieben Kollegen Manfred, den das gleiche Schicksal heimsuchte und der es genauso annahm. Ihn vermisse ich auch heute noch sehr oft, denke oft an ihn. Ihm habe ich einen Blogbeitrag gewidmet mit dem Namen Völkerball, hier zu finden, falls Du ihn nicht kennst. „Völkerball“.
Die Nachricht des Kollegen, die mich vor ein paar Wochen erreichte, dass es Herrn S. sehr schlecht geht und in ein Hospiz verlegt wurde, traf mich schwer.
Noch schwerer sein nächster Anruf, dass Herr S. sich bereits bei ihm verabschiedet hatte und jetzt seine letzte Reise angetreten hat.
Lieber Herr S., es ist die Zeit gekommen, dass ich lieber Horst sage. Ich hoffe sehr, dass Du nach den vielen Kilometern, die Du auf dieser schönen Erde zurückgelegt hast, auch die unbekannte Entfernung gut gemeistert hast. Dass es Dir dort, wo Du jetzt angekommen bist, gut geht. Du bist Richtung Horizont aufgebrochen und hast viele traurige Menschen zurückgelassen. Aber hinter dem Horizont haben andere, die bereits vorgegangen sind, schon sehnsüchtig auf Deine Ankunft gewartet.
Vielleicht sehen wir uns eines Tages an diesem Ort wieder. Dann werden materielle Dinge, über die wir uns gerne ausgetauscht haben, bedeutungslos sein. Dann können wir uns ausschließlich über persönliche Angelegenheiten austauschen. Danke für die jahrelange gute Betreuung. Es war mir immer eine große Freude, wenn wir uns privat ausgetauscht haben.
Ich werde unsere Gespräche sehr vermissen.