Im Namen des Volkes!
Das Schreiben begann mit dem Hinweis, dass falls ich Einspruch gegen diesen Strafbefehl einlegen wolle, es zu einer Vorladung vor Gericht kommen würde. Gericht, Strafbefehl, mir schwante Böses. Und so kam es dann auch.
Auf der zweiten Seite stand es dann geschrieben: Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wird wegen unerlaubten Entfernen vom Unfallort eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen festgelegt. Die Höhe eines Tagessatzes beträgt 100,- Euro, die Geldstrafe mithin 3000,- Euro.
Weiter kam ich gar nicht mehr und das Schreiben fiel mir aus der Hand. 3.000,- Euro, Wahnsinn. Das mindestens genauso Schlimme, las ich zunächst gar nicht. Erst als ich Becca das Schreiben gab, wurde sie ebenfalls blass im Gesicht. Zusätzlich zu der Geldstrafe kam noch ein Fahrverbot von VIER Monaten hinzu. Das hatte ich glatt in meiner Schockstarre überlesen.
Vier Monate, ohne dass ich das neue Auto fahren darf und dann noch diese hohe Geldstrafe, das ist echt hart, dachte ich. Anfechten und vor Gericht gehen war aber auch keine sympathische Lösung. Genervt rief ich erneut bei meiner Rechtsschutzversicherung an und schilderte den Fall ein drittes Mal. Alle guten Dinge sind bekanntlich drei, als ich den nächsten Anwalt am Telefon hatte.
Der sagte mir gleich am Anfang, keine Angaben zu machen, sei auch der völlig falsche Weg. Wenn die Staatsanwaltschaft nichts zu meinen Einkünften erfährt und auch nicht, ob ich den Vorwurf abstreite oder nicht, was bleibt denen dann anderes übrig, als ein Standard-Strafbefehl zu erlassen. Im Nachhinein leuchtete mir das natürlich auch ein. Sein Plan war, als erstes Einspruch einzulegen und Akteneinsicht zu beantragen. Dem stimmte ich zu.
Akteneinsicht heißt, zumindest in Deutschland, nicht, dass ich nächste Woche etwas erfahre. Das dauert Monate. Unfassbar, und das bei so einem Bagatelldelikt. Wer das Auto eines anderen beschädigt und es nicht meldet, der wird hart bestraft in Deutschland. Schließlich ist dem Deutschen sein Auto wichtig. Das kann ich nur bestätigen. Das ist auch, wenn es bewusst gemacht wird, eine Sauerei! Wäre mir ein Schaden aufgefallen, hätte ich selbstverständlich anderes reagiert. Ich frage mich, ob diejenigen, die absichtlich andere Autos beschädigen, genüsslich Kratzer tief bis auf den Grund eingravieren oder Spiegel abtreten, genauso oder eher noch, härter bestraft werden? Ich konnte und kann es mir kaum vorstellen.
Irgendwann bekam ich dann auch Fotos von dem anderen Fahrzeug zu sehen. Darauf konnte man tatsächlich einen Lackschaden erkennen. Ziemlich weit unten an der Seite, richtig wie herausgeplatzt. Keine Spur vom schwarzen Lack unseres Wagens. Da fehlte an zwei kleinen runden Stellen komplett der Lack. Wie ich das hinbekommen haben soll, war mir schleierhaft. Der Schaden belief sich (angeblich) auf etwa 2.000 Euro.
Nach vielen Monaten schlafloser Nächte meldetet sich mein Anwalt. Keine guten Nachrichten, so begann er das Telefonat. Er war an einen Richter geraten, der anscheinend nicht seinen besten Tag hatte. Dieser meinte nur kurz, wenn ihr Mandant es möchte, können wir ihm den Führerschein auch für immer entziehen und die Strafe erhöhen! Ich war wieder geschockt und selbst mein Anwalt fast sprachlos. Allerdings wollte er versuchen, noch einen anderen Richter zu erwischen, der für den Fall eigentlich zuständig wäre und ihm den Fall komplett schildern. Eine Verhandlung vor Gericht sollten wir aber unbedingt vermeiden, mahnte er.
Ich hatte in der Zwischenzeit ein Schreiben aufgesetzt, in dem ich den ganzen Ablauf schilderte und bestätigte, den Wagen angefahren zu haben, aber auch, dass ich keinen Schaden feststellen konnte. Wieder einige Monate später rief der Anwalt erneut an. Dieses Mal hatte er Glück und die zuständige Richterin, der er den Vorfall schilderte, war sehr verständnisvoll und so kam es dann doch, dass ich eine Aussage vor Gericht machen sollte. Wieder etliche schlaflose Nächte.
Dann war es so weit. Vor der Verhandlung noch meinen Anwalt persönlich kennengelernt und kurz meine Aussage besprochen. Als er mir davon erzählte, dass bei seiner ersten Verhandlung eine komplette Schulklasse im Saal als Zuschauer teilnahm und ebenfalls gerade eine Schulklasse bei der Verhandlung teilnimmt, die noch lief, wurde ich kreidebleich. Auch das noch, dachte ich erschrocken.
Zum Glück verließen die aber mit dem anderen Fall den Gerichtssaal. Nun ging es also los. Ich war dran. Mit zittrigen Beinen betrat ich den Gerichtssaal, begrüße freundlich die sehr sympathisch wirkende Richterin und die Gerichtsschreiberin. Mir gegenüber saß noch ein Herr, ebenfalls wie mein Anwalt, mit einer Robe gekleidet und war noch mit seinem Handy beschäftigt. Hoffentlich geht der auch noch, dachte ich naiv. Das war aber der Staatsanwalt, also sozusagen mein Gegner. Ich hatte ja keine Ahnung, wie das abläuft, dachte, die Richterin entscheidet und gut.
Ich schilderte den Ablauf, bedauerte den Vorfall und gab zu bedenken, dass ich erstens nicht gemerkt habe, einen Schaden verursacht zu haben und zweitens auch nicht sicher bin, ob der Schaden, der auf den Fotos zu sehen war, überhaupt von mir war. Ein Gutachten gab es nicht, das eindeutig meine Schuld beweisen konnte. Die Richterin schaute sich alles genau an und kam zu dem Entschluss, auf das Fahrverbot zu verzichten. Ich war erleichtert. Der Staatsanwalt war jedoch anderer Meinung. Er schlug vor, das Fahrverbot auf zwei Monate zu reduzieren und bestand auf die geforderte Geldstrafe. Schließlich übersteigt der Schaden die 2.000 Euro Grenze.
Dann wurde ich, wie man es aus Filmen kennt, noch einmal gefragt, ob ich noch etwas zu sagen hätte. Schließlich hatte ich das letzte Wort. Wer so etwas zum ersten Mal durchlebt, möchte einfach nur noch weg. Also entschuldigte ich mich abermals, äußerte noch einmal meine Bedenken und hoffte, auf ein milderes Urteil.
„Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil“, sprach dann die Richterin, nachdem wir uns alle erhoben hatten. Ich wurde tatsächlich zu einer Geldstrafe von 3.000 Euro und einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt.
Nun könnte ich glatt einen dritten Teil schreiben, aber ich fasse mich mal kurz. Es ist, wie es ist, dachten wir uns und können es ja nicht mehr ändern. Ich fragte, wo ich meinen Führerschein abgeben muss und wie es mit der Bezahlung funktioniert. Bei jeder Polizeidienststelle und die Zahlungsmodalitäten bekäme ich mit dem schriftlichen Urteil, klärte mich mein Anwalt auf.
Da wir schon einiges an Urlaub geplant hatten, wollte ich das mit dem Führerschein so schnell wie möglich hinter mich bringen. Schließlich bin ich zugegebenermaßen ein schlechter Beifahrer, fahre am liebsten selbst. Ich rief bei der Polizeidienststelle um die Ecke an und wollte mich vergewissern, dass ich einfach so vorbei kommen kann. Natürlich war das ein Trugschluss. Die Zulassungsstelle ist dafür zuständig, erfuhr ich. Dieses lies ich mir dann noch einmal am Telefon bei der Behörden-Hotline 115 bestätigen.
Als in also in aller Frühe dorthin rollern wollte, Scooter darf man ja ohne Führerschein nutzen, war es eiskalt und spiegelglatt draußen. Also kurzfristig mit dem Taxi zur Zulassungsstelle, die mich verwundert anschauten. Die Bußgeldstelle ist dafür zuständig, wir nicht, bekam ich zur Antwort.
Genervt lief ich dann zu Fuß eine gute halbe Stunde zu dieser Behörde. Dort angekommen zeigte ich den Strafbefehl und die Dame schaute mich, wie ihre „Kollegin“ von der Zulassungsstelle zuvor auch schon, fragend an. Da der Strafbefehl in Hamburg ausgestellt wurde, wollte sie meinen Führerschein zunächst gar nicht annehmen. Es dauerte eine Weile und sie stellte dann doch ein Schreiben aus, dass bestätigte, ihn in Verwahrung genommen zu haben.
Ich war erleichtert, stellte mir einen Countdown auf dem Smartphone ein und zählte die Tage. Dann bekam ich einige Tage später ein Schreiben von der Staatsanwaltschaft Hamburg, warum ich meinen Führerschein nicht abgegeben hätte. Die Polizei würde in Kürze vorbeikommen und diesen beschlagnahmen. Sofort rief ich dort an und schilderte der Dame am Telefon, dass dieser längst in behördlicher Verwahrung liegt. Ich sollte ihr dann meine Bestätigung mailen, was ich auch sofort tat. Sicherheitshalber rief ich am nächsten Tag an, um zu fragen, ob die E-Mail angekommen sei. Anscheinend nicht, sie lag ihr nicht vor, hätte aber gerade zufällig ein Schreiben von der Bußgeldstelle erhalten, in dem die Verwahrung meiner Fahrerlaubnis bestätigt wurde. Ein Glück.
Endlich war der Tag gekommen, der Monat war herum. Zur Bußgeldstelle gerollert, um endlich meinen Führerschein wieder abzuholen. Aber der war nicht auffindbar. Dann erinnerte sich die Mitarbeiterin wieder. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat ihn angefordert, er musste per Post dorthin geschickt werden. Außerdem läge noch ein zweiter Strafbefehl vor, der meinen Führerschein entziehen würde. In Kiel. BITTE? Genervt kam ich zu Hause an, rief sofort die Staatsanwaltschaft an. Die nette Dame, zu der ich mich dann „durchkämpfte“, kannte den Fall zum Glück. Ihre Aussage machte mich allerdings erneut sprachlos. Der Führerschein sei weg. Er wäre nie in Hamburg angekommen und man versucht bereits nachzuvollziehen, wo er sich gerade befindet. Das mit dem zweiten Strafbefehl war ein Fehler. Einer von vielen, dachte ich. Dieser wurde aber auch an sämtliche Behörden und Polizeidienststellen weitergemeldet. Wenn ich also jetzt ohne Führerschein fahren würde und zufällig von der Polizei kontrolliert werden würde, hätten die in Ihrem System einen Führerscheinentzug in Hamburg und Kiel festgestellt. Das wäre unangenehm geworden. Also mailte mir die Mitarbeiterin ein beglaubigtes Schreiben, aus dem hervorging, dass ich eine Fahrberechtigung besitze, der Führerschein jedoch momentan nicht auffindbar wäre.
Nach knapp einer Woche bekam ich dann eine Benachrichtigung, der Führerschein sei in meinem Heimatort bei der Bußgeldstelle wieder aufgetaucht. Das Ende vom Lied war, dass der Umschlag bei irgendjemanden versehentlich gelandet war. Allerdings war dieser Umschlag noch nicht dran, geöffnet zu werden. Hätte man nicht danach gesucht, hätte er wahrscheinlich heute noch im verschlossenen Umschlag auf irgendeinem Schreibtisch gelegen. Unfassbar. Warum verschickt man einen Führerschein per Post, wenn er unter behördlichem Verschluss liegt. Ist doch egal, an welchem Ort. Behördenwahnsinn in Deutschland ist an der Tagesordnung. Wenn man allerdings glücklicherweise nie etwas damit zu tun hat, ist man geschockt, über so viel Dilettantismus.
Wenn man verfolgt, welche Strafmaßnahmen bei einigen Straftaten in Deutschland fällig werden und das ins Verhältnis setzt, ist das Ganze einfach unglaublich. Natürlich, wer absichtlich fremdes Eigentum beschädigt, sollte hart bestraft werden. Und auch, wenn ich mir bis heute nicht sicher bin, diesen Schaden verursacht zu haben, habe ich nun einmal das Fahrzeug berührt. Eine Strafe ist auch in Ordnung, aber in dieser Höhe?
Die Verhältnismäßigkeit passt einfach nicht. Wer also mal ein anderes Fahrzeug anfährt, auf jeden Fall einen eventuellen Schaden ganz genau prüfen und im Zweifel die Polizei hinzuziehen. Dann bleibt Dir dieses ganze Drama hoffentlich erspart!