Klobrille

Auch mein heutiger Blogbeitrag schaut zunächst einige Jahre, oder besser gesagt Jahrzehnte, zurück in die Vergangenheit.

Früher, ein Wort, das ich gern verwende, gab es noch die Zeit, in der der Vater mit einer Tageszeitung auf der Toilette verschwand. Ich kann mich noch genau daran erinnern: Wenn die Zeit da war, vielleicht an einem Samstagnachmittag, nahmen viele Väter ihre geliebte Tageszeitung und verschwanden ins Bad. Endlich mal Zeit für sich haben, endlich mal in Ruhe Zeitung lesen, ohne gestört zu werden, das war das Motto.

Es raschelte dann immer beim Umblättern, und irgendwie habe ich heute noch manchmal dieses Geräusch im Ohr.

Für die Tageszeitung interessierte ich mich als Kind überhaupt nicht. Es gab Spannenderes: Ich bevorzugte meine Micky-Mouse-Hefte und die Geschichten aus Entenhausen. Stundenlang konnte ich mich darin verlieren. Es war teilweise ja eine ganz eigene Sprache. Begriffe wie „Peng, Zack, Bumm, Klirr, Ratsch, Wusch, Plopp, Puff, Knall und Brumm“ gehörten zu meinen Favoriten.

Irgendwann gewöhnte ich mir auch an, diese Hefte mit auf die Toilette zu nehmen. Gar nicht unbedingt immer nur dann, wenn es auch nötig war, eher aus dem Gedanken heraus, dort tatsächlich einmal in Ruhe zu sein. Klar, diese Ruhe hätte ich auch in meinem Zimmer genießen können, wenn ich gewollt hätte, aber eine Toilette ist eben so ein angenehmer Rückzugsort, an dem man ungestört ist. Im Normalfall wird man hier nicht einfach unterbrochen.

Mit der Zeit reichten mir die Comics nicht mehr, ich brauchte Abwechslung. Und so entdeckte ich eine ganz neue Form der Toilettenlektüre: Kataloge.

Erinnert ihr euch noch an die Zeit, als das Herz höherschlug, wenn der neue Otto-Katalog vor der Tür lag? In den Briefkasten passte er natürlich nicht, also wurde er einfach davorgelegt. Rund 1.000 Seiten hatte so ein Katalog im besten Fall. Klamotten, Spielsachen, Elektronik, alles war drin. Meistens schaute meine Mutter als Erste hinein. Bei meinem Bruder weiß ich es gar nicht mehr, ich glaube, ihn hat es nicht so interessiert, und auch mein Vater war eher kein Fan.

Ich hingegen habe ihn geliebt. Ich konnte stundenlang darin blättern und fand auch nach Tagen immer wieder etwas Neues. Otto war das Original. Neckermann und Co. waren bei uns zu Hause nie so beliebt, warum auch immer.

Auch der Brinkmann-Katalog war ein echtes Highlight. Manchmal verschwand ich gefühlt stundenlang mit diesen Schinken auf dem stillen Örtchen. Den Satz „Bist du ins Klo gefallen?“ kenne ich nur zu gut, er hat mich immer genervt.

Die Zeit verging, und auch meine Interessen veränderten sich.

Irgendwann, ich glaube, es begann in meiner Realschulzeit, wurde eine andere Lektüre für mich interessant: die Bravo. Die Zeitung gab es bereits seit meiner Kindheit, und als ich sie das erste Mal für mich entdeckte, war sie längst Kult. Die erste Ausgabe erschien schon 1956. Jahrzehnte später hielt ich dann meine eigene in den Händen.

Die Bravo war das angesagte Jugendmagazin in Deutschland und deckte eine breite Palette an Themen ab, die nicht nur für mich als Teenager spannend waren. Jede Woche berichtete sie über Popstars, Filme, Mode, Liebes- und Sexualthemen im berühmten Dr.-Sommer-Team, bot Comics, Rätsel und Gewinnspiele. Sie war der prägende Begleiter einer ganzen Jugendgeneration zwischen Popkultur, Aufklärung und Alltag.

Am meisten erinnere ich mich an zwei Highlights: das Dr.-Sommer-Team und den Starschnitt. Der Starschnitt war ein riesiges Poster, das sich über viele Ausgaben hinweg zusammensetzte. In jeder Ausgabe gab es ein Teilstück des Posters, das man ausschneiden und Stück für Stück zu einem lebensgroßen Star zusammenkleben konnte.

Gut, der Starschnitt war natürlich nichts für die Toilette, die Dr.-Sommer-Geschichten allerdings schon. Den „Dr. Sommer“ selbst gab es übrigens nie. Der Name war erfunden und sollte für Vertrauen, Offenheit und Wärme stehen. Tatsächlich steckte ein ganzes Redaktionsteam dahinter: Psychologen, Pädagogen und Redakteure beantworteten unter diesem Pseudonym die Fragen der Jugendlichen.

Fragen wie: „Kann ich vom Küssen schwanger werden?“, „Können Spermien durch eine Jeans schwimmen?“ oder „Geht der Penis ab, wenn ich zu oft onaniere?“ wirken aus heutiger Sicht natürlich skurril, aber damals waren sie für viele unfassbar wichtig.

Auch diese Phase habe ich überstanden. Und obwohl all das schon Jahrzehnte zurückliegt, muss ich zugeben: Die Toilette, allerdings nur zu Hause, ist nach wie vor ein beliebter Rückzugsort für mich geblieben.

Nur die Lektüre hat sich verändert. Kataloge und Zeitschriften sind dort heute eher selten. Das einzige Papier, das nach wie vor wichtig ist, ist das Toilettenpapier. Der oft ausgedehnte Besuch ist inzwischen digital geworden. Ob iPad oder iPhon, irgendwas nehme ich bei längeren Aufenthalten fast immer mit. Mal kurz den Kontostand checken, bei Instagram reinschauen oder eine WhatsApp verschicken, irgendwas gibt’s ja immer zu tun.

Und falls ich doch Lust bekäme, könnte ich mir die Bravo heute auch digital anschauen. Ob es das Dr.-Sommer-Team noch gibt? Keine Ahnung. Was ich allerdings sicher weiß: Im Laufe der Jahre sind meine Augen schlechter geworden, und damit ich auf dem Handy noch alles gut lesen kann, habe ich mir extra eine zweite Brille fürs Badezimmer zugelegt, sozusagen meine eigene Klo-Brille.

Der Begriff hat für mich also heute eine ganz neue Bedeutung.
Man wird älter!