Kritikfähig

Unfassbar! Heute ist doch tatsächlich schon wieder der letzte Tag des Monats in diesem neuen Jahr und wir haben nur noch 11 weitere Monate vor uns. Ich habe wirklich manchmal das Gefühl, die Zeit rinnt uns durch die Hände wie der Sand in einer Sanduhr. Kommt das nur mir so vor? 

Wie schaut es bei Dir aus? Hast Du in diesen 31 Tagen Kritik einstecken müssen? Gehörst Du zu den, ich behaupte mal wenigen Menschen, die kritikfähig sind? Doch was genau verstehen wir unter kritikfähig?

Das Wort kritikfähig beschreibt die Fähigkeit einer Person, Kritik anzunehmen, zu reflektieren und konstruktiv damit umzugehen. Eine kritikfähige Person ist in der Lage, zwischen gerechtfertigter und ungerechtfertigter Kritik zu unterscheiden und sich nicht persönlich angegriffen zu fühlen, wenn Rückmeldungen oder Verbesserungsvorschläge geäußert werden.

Aber mal ganz ehrlich, wer steckt schon gerne Kritik ein? Also ich ganz sicherlich nicht. Ich denke auch, dass in dem Moment, in dem man kritisiert wird, man automatisch bereits in eine Art Schutzhaltung eintaucht, so wie ein Igel sich bei Gefahr zusammenrollt und sie gar nicht mehr offen wahrnimmt, sondern bereits in Kampfstellung geht. Meistens ohne sich die Zeit zu nehmen, darüber nachzudenken, feuert man oft gleich dagegen. Wir reagieren sofort emotional darauf.

Man soll Kritik nicht persönlich nehmen, aber oft fühlt es sich genau so an. In dieser Situation fällt es einem schwer, ruhig und sachlich zu bleiben. Man reagiert impulsiv und beleidigt. Wir empfinden es schnell als unbegründet und nicht als konstruktiv und hilfreich. Es wird sofort in die Defensive gegangen. 

Das eigene Verhalten oder unsere Leistung anzupassen kommt erst einmal spontan nicht infrage. Sind viele Menschen einfach zu dünnhäutig geworden, haben es verlernt, Kritik anzunehmen? Wird einem das heutzutage überhaupt noch beigebracht?

Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, wurden Schüler noch getadelt. Ich habe überlegt, ob das Wort überhaupt noch benutzt wird. Es schwingt so ein altmodischer, negativer Klang mit. Dieses Wort wird meistens in der hierarchischen Beziehung verwendet, als Lehrer gegenüber dem Schüler oder Chef gegenüber dem Angestellten. Wenn ich mal einen Tadel bekommen habe, haben meine Eltern mit mir darüber gesprochen und mir erklärt, wie ich es beim nächsten Mal besser machen kann. 

Früher hatten Lehrer oft mehr Autorität und wurden von Eltern unterstützt, wenn es um Disziplin und Kritik ging. Heute hinterfragen Eltern diese Autorität häufiger und haben das Verhältnis zwischen Lehrern, Eltern und Schülern dadurch stark verändert.

Ich höre immer wieder, das viele Eltern dazu neigen, ihre Kinder vor jeglicher Art von negativer Erfahrung zu schützen, sei es durch Kritik, Rückschläge oder Konflikte. Diese überbehütende Haltung vermittelt Kindern oft unbewusst, dass Kritik etwas Gefährliches oder Schlechtes ist, anstatt eine Chance zu sehen, daraus zu lernen.

Ich erinnere mich an ein Gespräch vor einigen Jahren mit einem Kollegen, der mir erzählte, sein Sohn spielte Fußball, dass am Wochenende ein Turnier ausgetragen wurde, an dem er teilgenommen hat. Als ich ihn fragte, wie sein Sprössling abgeschnitten hat, berichtete er, dass jedes Spiel bei Kindern bis zu einem bestimmten Alter am Ende mit 5:5 gewertet wurde, egal, wie es wirklich ausgegangen ist. Das sollte die Kinder vor negativen Gefühlen wie Enttäuschung oder Frustration schützen. Kritik am Spielverhalten wird so, wenn überhaupt, auf ein Minimum gehalten. 

Ich konnte das gar nicht glauben. Kinder werden früher oder später in ihrem Leben auf Konkurrenzsituationen stoßen und immer mal wieder Kritik einstecken müssen,  sei es in der Schule, im Beruf oder im sozialen Umfeld. Das ist ein unvermeidlicher Teil des Lebens, und der Umgang damit sollte früh gelernt werden. Die Idee, alle Spiele „gleich“ enden zu lassen, vermittelt meiner Meinung nach eine verzerrte Wahrnehmung der Realität.

Wie man das Thema Kritik auch dreht, wir empfinden es einfach oft als negativ, fahren sofort unsere Krallen aus. Alleine der Klang des Wortes löst bei vielen schon eine kleine Gänsehaut aus.

Wird man im Laufe des Lebens kritikfähiger? Mit zunehmendem Alter wächst oft die Sicherheit in die eigene Person. Man weiß besser, wer man ist, was man kann und wo man steht. Dadurch wird Kritik nicht so leicht als Angriff auf das Selbstwertgefühl empfunden. Viele können irgendwann besser unterscheiden, ob Kritik konstruktiv oder destruktiv ist. Sie wissen, wann es sinnvoll ist, darauf einzugehen, und wann es besser ist, Kritik einfach abzulehnen. 

Mit der Zeit lernen viele, dass es unmöglich ist, es jedem recht zu machen. Diese Erkenntnis macht es leichter, mit Kritik umzugehen, ohne sich ständig rechtfertigen zu müssen.

Andere entwickeln mit dem Alter eher eine starrere Denkweise und sind weniger bereit, Kritik zu akzeptieren, besonders wenn sie ihre langjährigen Überzeugungen oder Gewohnheiten infrage stellt.

Ich denke, im Idealfall wird man mit zunehmendem Alter kritisierbarer und gelassener, weil man aus Erfahrungen gelernt hat und sicherer in sich selbst ist. Allerdings ist das keine automatische Entwicklung. Es kommt darauf an, ob man offen für Selbstreflexion bleibt.

Kritik ist selbstverständlich auch oft ein heikles Thema in einer Beziehung. Da ist es oft empfehlenswert, einen kühlen Kopf zu behalten. Je länger die Beziehung besteht, weiß (M)man(n) wann es besser ist, seine Kritik nur rein gedanklich zu äußern. Gerade, wenn man wert auf einen angenehmen Abend oder ein entspanntes Wochenende legt. 

Man soll Kritik nicht persönlich nehmen, aber oft fühlt es sich genau so an. Wie ist es bei Dir, bist Du kritikfähig?