Lärmbelästigung
Ich habe oft das Gefühl, mit zunehmendem Alter wird man empfindlicher. Ganz besonders, wenn es um Geräusche geht. Irgendwann wird das vielleicht auch wieder abnehmen, ganz einfach aus dem Grund, weil man eventuell dann schlechter hört. Aber so weit ist es bei mir ja noch lange nicht, zum Glück.
Es fängt bereits am frühen Morgen an. Haben wir, wie so oft, über Nacht das Fenster im Schlafzimmer auf, nerven mich die Vögel. Nichts gegen ein schönes Vogelkonzert, das liebe ich, aber doch bitte nicht in aller Früh, wenn ich noch schlafen möchte.
Geht der Frühling langsam zu Ende, werden die Vögel dann irgendwann von nervigen Möwen abgelöst werden. Als würden sie sich abklatschen und sich freuen, dass sie ja noch viel mehr Lärm machen können. Geht dann schon wieder der Sommer zuneige, stehen bereits die Krähen vor der Tür. Das heisere „Krra“ oder „Korr“ nervt total. Ich habe auch schon mal im Halbschlaf aus der Küche Kartoffeln geholt und in den Baum geworfen, hat aber auch nichts geändert. Meistens ist es noch zu dunkel, um auch nur den richtigen Baum zu erwischen.
Wenn man in der Stadt in einem Mehrfamilienhaus lebt, sind nun einmal eine Menge Geräusche zu hören. Fahrzeuge jeglicher Art, die in der 30er-Zone viel zu schnell fahren, Bauarbeiten für ständige Straßenarbeiten. Ist die Baustelle endlich verschwunden, wird kurze Zeit später etwas weiter eine neue eröffnet oder vielleicht sogar an derselben noch einmal.
Geschäfte werden beliefert, man hört deutlich das Abladen des LKW, Menschen, die aus den Lokalen und Bars angeheitert lautstark den Abend nicht ausklingen lassen wollen, die Müllabfuhr am frühen Morgen.
Ein Klassiker unserer Zeit, als wäre der Rasenmäher oder die elektrische Heckenschere noch nicht genug, ist der Laubbläser. Den kannte ich noch vor ein paar Jahren nur aus den USA, bis diese Errungenschaft natürlich auch unser Land flutete.
Bei dem Teil frage ich mich oft nach dem Sinn. Einer läuft mit Ohrenschützern stundenlang über den Gehweg und pustet das Laub von A nach B. Bei B werden aber die tausenden Blätter nicht aufgesammelt, sie werden weiter nach C und D gepustet, bloß weg vom Grundstück, für das man für diese Gartenpflege bezahlt wird.
Kurze Zeit später taucht dann ein anderer Arbeiter auf, ebenfalls mit Ohrenschützern und einem Laubbläser bewaffnet und bläst dann die Blätter von D und C zurück nach B und A, so hat man zumindest den Eindruck.
Der Wind pustet dann, völlig ohne Strom, sämtliche Blätter auf die Straße. Dort kommt dann irgendwann jemand von der Straßenreinigung und kehrt alles in kleinen, lange Schlangen zusammen. Wenn man Glück hat, hört man dann den Lärm der Straßenkehrmaschine und sämtliche Blätter sind weg, oder, habe ich auch schon erlebt, die Kehrmaschine hat anscheinend Urlaub und die Blätter verteilen sich erneut nach A,B,C und D. Muss man nicht verstehen.
Ein ganz besonderes Geräusch holt mich sehr oft aus dem Schlaf, egal, ob ich Tief in der Nacht ganz entspannt schlafe und mir am liebsten die Bettdecke über den Kopf ziehen möchte, was aber auch nichts helfen würde, oder ob ich am Wochenende in der Sonne liege und versuche mal einen Moment abzuschalten.
Das Geräusch nähert sich recht langsam, ist dann oft direkt über mir, bevor es seitlich immer lauter wird und anscheinend näher kommt. Dieses Geräusch tritt an manchen Tagen mehrmals am Tag und in der Nacht auf. An manchen Tagen nervt es mich wirklich, aber immer nur solange, bis ich wieder weiß, um welches Geräusch es sich handelt.
Vor meinem geistigen Auge zieht sich dann oftmals alles in mir zusammen. Ich frage mich in dem Moment dann, warum gerade jetzt, wer ist betroffen und wer wartet bereits? Wie viel Leid, wie viel Freude, wie viel Hoffnung mag es genau in diesem Moment geben?
In manchen Nächten im Halbschlaf verselbstständigt sich meine Fantasie und ich sehe Gesichter und Menschen vor mir, die auf das Geräusch dringend warten. Andere, von denen es sich immer weiter entfernt, bis es dann verschwindet, sind unendlich traurig. Für diejenigen, die für das Geräusch verantwortlich sind, ist es Routine. Trotzdem fühlen sie immer wieder mal mit, können das nicht vollständig abstellen. Ich höre Weinen, Tränen der Trauer und der Freude.
Das Leben und der Tod, Hoffnung und Trauer liegen oft dicht beieinander.
Wenn der Rettungshubschrauber zur Landung ansetzt, stelle ich mir oft die Frage, wer oder was sich wohl dieses Mal an Bord befindet. Ein Verletzter, der dringend versorgt werden muss oder ein Organ auf dem Weg zu seinem Empfänger. Egal von welcher Seite man es betrachtet, es ist sicherlich auf irgendeiner Seite mit Leid verbunden.
Dann drehe ich mich wieder um, schicke meine Gedanken, meine Hoffnung, meine Zuversicht in Richtung aller Betroffenen und bin mir wieder einmal bewusst, wie gut ich es gerade habe.