Links oder rechts?

An diesem Morgen hatte sich die Luft so gar nicht abgekühlt. Zum Schlafen war es mal wieder viel zu warm. Wie gerädert stand ich auf, schaute auf die Uhr und benötigte eine Weile, um meine Augen scharfzustellen. 6:15 Uhr, verdammt. Eigentlich hätten wir ja noch eine Runde schlafen können, aber wir hatten uns angewöhnt, bei der Hitze vor der Arbeit baden zu gehen. Was für eine Idee, an einem Montagmorgen früher aufzustehen, als nötig. Verdammt, dachte ich erneut. Wo ist das Wochenende schon wieder geblieben?

Kurz ins Bad, frisch gemacht, Badehose an, Rucksack stand bereits gepackt an der Tür. Auch Becca war bereits fertig und so machten wir uns auf den Weg. 

Puh, stöhnte ich leise, ist das schwül. Kaum auszuhalten. Wir beide sprachen an diesem Morgen noch nicht allzu viel. Montagmorgen, ich hasse diesen Moment. 

Auf den Straßen war noch so rein gar nichts los. Mein Vater hat immer gesagt, so früh morgens fühlt er sich besonders wohl. Da ist die Luft noch nicht verbraucht. Und tatsächlich, als ich darüber nachdachte, fühlte sich die Luft tatsächlich irgendwie sauber an. 

Auf dem Weg zur Badestelle kommen wir an jeder Menge Kliniken vorbei. Hier herrschte schon ein wildes Treiben. Viele sehr junge Menschen, teilweise schon in ihrer Krankenhauskleidung, kamen uns entgegen. Einige lachten, einige waren in sich gekehrt, andere unterhielten sich eifrig mit Kollegen und wieder andere hatten es anscheinend besonders eilig, rannten an uns vorbei. 

An einer Stelle teilt sich dann die Straße. Links gehts Richtung Badestelle, rechts zu den Kliniken. Wie selbstverständlich gingen wir unseren Weg links herum, vorbei an der Onkologie, der Pathologie, der Psychiatrie und anderen Fachbereichen. Vor einigen Kliniken saßen immer schon einige Frühaufsteher, vermutlich Patienten, die eine rauchten oder sich, oft den Kopf gesenkt, mit anderen unterhielten oder auch nur stumm da saßen und ins Leere schauten.   

Von hier brauchten wir nicht mehr lange. Denn da war sie schon, die tiefblaue Förde. Die Sonne stand noch recht tief, verdeckt von einigen Wolken. Doch ganz langsam kam sie zum Vorschein. Was für ein Anblick. 

Ich schaute auf die Uhr, passt, dachte ich und zog mir das T-Shirt und meine Schuhe aus. Kurz etwas nass gemacht und rein ins kühle, angenehme Wasser. Die Temperatur lag an diesem Tag bei 20 Grad. Viel mehr geht ja kaum, dachte ich, als ich meine erste Runde drehte. Ist das herrlich. Blauer Himmel, klares Wasser, was für ein Genuss. Wie schön, den Tag so starten zu können. 

Dann dachte ich wieder an die Gabelung vor etwa 10 Minuten. Links oder rechts? Ich sah die Menschen, die vor den Kliniken saßen. Sah die Krankenhausmitarbeiter, die inzwischen vermutlich schon eine Weile im Dienst waren. Ich stellte mir vor, wie es sein muss, wenn man das Krankenhaus vielleicht am Freitag verlässt und sich am Montag fragt, hat mein neuer Lieblingspatient das Wochenende überstanden?

Ich dachte an die leeren Blicke, an die gesenkten Köpfe. Ich dachte, sie haben keine Wahl ob links oder rechts herum. Für viele wird sich diese Frage vermutlich auch nie wieder stellen. Wer entscheidet, welche Richtung man einschlägt? Die Ernährung, der Lebenswandel, die Gene, Gott? 

Bei dem Gedanken erschauderte ich, obwohl das Wasser nun wirklich nicht kalt war. Ich schämte mich plötzlich. Ich schämte mich über meine schlechte Laune am Morgen. Ich schämte mich, dass ich den Montag so hasste. Ich schämte mich ein wenig, dass ich hier schwimmen konnte und keine 500 Meter weiter andere sich nur eines wünschen, gesund zu werden. 

Auf dem Weg nach Hause dachte ich noch einmal darüber nach. Natürlich, man kann nicht immer gut drauf sein, jeder hat so seine Sorgen. Aber im Vergleich, sind das nicht Luxussorgen? 

Seit dem Tag versuche ich, auch den Montag zu meinen Freunden zu zählen. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, manchmal fällt es mir immer noch schwer.