Nachrichtensperre

Vor kurzem las ich ein Zitat von Marcus Aurelius, der bereits im Jahr 121 n.Chr. geboren wurde und römischer Kaiser und Philosoph war. 

Anscheinend war es ein Mensch mit Weitblick. Das Zitat geht folgendermaßen: „Schimpflich ist, wenn im Leben, in dem dir der Körper nicht versagt, die Seele vorher versagt“. Als ich darüber nachdachte, fiel mir ein Gespräch mit einem lieben Menschen ein. Die Aussage war, dass in letzter Zeit kaum Fernsehen geschaut und auch kaum Radio gehört wird. Dass lieber fröhliche Musik, Lieder, die glücklich machen, abgespielt werden.

Ist es möglich, auf Nachrichten aus Funk und Fernsehen einfach mal eine Weile zu verzichten, wenn die Seele, wie in dem Zitat von Aurelius, angeschlagen ist oder gar versagt? 

Wenn man ehrlich ist, nimmt man doch zu fast jeder Tages- und Nachtzeit irgendwelche Informationen auf, die oft unserer Seele nicht guttun. Viele, ich schließe mich ein, stehen auf und machen als Erstes das Radio an. Und auch, wenn man oft nur mit einem Ohr hinhört, schlechte Nachrichten kommen eher an als gute, oder?

Ist man tagsüber in Gange, vibriert das Telefon oder die Smartwatch, und schon wieder ist eine da, oft eher negative Nachricht. Die Wirtschaft bricht ein, Tote durch Bombeneinschlag, die Vogelgrippe wurde bei Menschen nachgewiesen, Corona ist zurück, auf Trump wurde ein Anschlag verübt, der erfolglos blieb (natürlich zum Glück). 

Wie schön wären doch Nachrichten wie Zucker macht doch nicht krank, die Renten sind sicher oder der Sommer ist endlich da. Solche Meldungen sind eher die Ausnahme, leider. Oder hören wir vielleicht gar nicht mehr richtig hin, konzentrieren uns viel mehr auf die schlechten Nachrichten? Einfach aus Gewohnheit. Schließlich leben wir nach wie vor im Krisenmodus.

Ich habe mir dann die Frage gestellt, ob man es überhaupt schaffen würde, eine Zeit lang komplett auf Nachrichten zu verzichten? Push-Benachrichtigungen im Smartphone und in der Uhr ausschalten, im Radio nur heitere Musik spielen und im Fernsehen ausschließlich Filme und Serien schauen, die einen zum Lachen bringen oder zumindest das Herz erfreuen.

Wichtig wäre dann natürlich, während wir in der Nachrichtensperre leben, auch am Telefon aufzulegen, zumindest das Gespräch vorzeitig zu beenden, wenn die beste Freundin anruft, um irgendwelche unangenehmen Neuigkeiten loszuwerden. Das muss dann eben mal warten.   

Auf der Straße die Seite zu wechseln, wenn die Nachbarin, die meistens nichts Gutes zu berichten hat,  auf einen zukommt.  Aber wie geht man in der Firma mit dieser Nachrichtensperre um? Vielleicht ein kleines Schild ans Revers oder Shirt heften, bitte keine schlechten Nachrichten verbreiten. Das könnte auf jeden Fall eine Herausforderung sein.

Ich könnte mir vorstellen, dass die Umsetzung sehr schwierig ist. Die Frage ist aber auch, ob wir uns bei diesem Entzug überhaupt wohlfühlen, unsere Seele sich tatsächlich erholen kann? Brauchen wir nach einer gewissen Zeit schlechte Nachrichten, um uns wohler zu fühlen, wenn wir nicht betroffen sind. Oder um Empathie zu zeigen, um jemanden trösten zu können? 

Wenn unsere Seele erkrankt ist, ist das anders, als wenn wir uns zum Beispiel den Arm gebrochen haben. Der Heilungsprozess dauert oft erheblich länger. Manchmal ist auch unser Herz gebrochen, aber weder ein trauriges Herz noch eine angeschlagene Seele sind auf den ersten Blick zu erkennen. 

Früher war es so, dass wenn man krankgeschrieben war, auf keinen Fall rausgehen mochte, um nicht gesehen zu werden. Wenn man krank war, hatte man gefälligst im Bett zu liegen. So kenne ich das noch aus meiner Kindheit und Jugend. Aber immer mehr Krankheiten lassen einen im Bett nicht genesen. Ganz im Gegenteil.

Raus an die frische Luft, der Sonne (wenn sie denn zufällig mal zu sehen ist) und Wärme entgegen. Menschen auf der Straße begegnen, sie beobachten, das ist oft besser, als Medizin.

Die Zahl derjenigen, bei denen eine negative Entwicklung des psychischen Gesundheitszustandes in Deutschland festgestellt werden kann, steigt immer weiter. Angstsymptome sind keine Seltenheit mehr, ganz im Gegenteil. 

2022 überschritten etwa 20 Prozent der Bevölkerung den Schwellenwert einer auffälligen Belastung durch depressive Symptome, womit sich die Zahl somit zu 2019 fast verdoppelt hat.

Mich wundert das alles nicht, ehrlich gesagt. Die Zeiten sind sehr anspruchsvoll, äußerst herausfordernd. 

Um so wichtiger ist es, auf uns selber aufzupassen und immer gut mit uns umzugehen. Und uns natürlich auch um andere zu kümmern, denen es vielleicht gerade nicht so gut geht.

Wenn wir das nächste Mal jemanden auf der Straße treffen, der unserer Meinung nach kerngesund aussieht, sollten wir uns kein Urteil darüber erlauben, wenn er vielleicht gerade arbeitsunfähig ist. Wir sollten ihn dann auch von doofen Fragen und schlechten Nachrichten verschonen. Und wir sollten versuchen, ein offenes Ohr und ein wachsames Auge für ihn zu haben. Vielleicht können wir ja einen heimlichen Hilferuf entdecken.

Ich muss ganz ehrlich sagen, ich kann mir hier und heute nicht vorstellen, auf Nachrichten zu verzichten. Irgendwie bin ich viel zu neugierig, möchte gerne mitreden können. Genau, wie es mir auch nicht gelingt, auf Zucker zu verzichten, geht es mir mit Nachrichten auch nicht anders. 

Aber der Gedanke, eine Zeit lang mal nur Positives zuzulassen, klingt schon sehr verlockend und wäre ganz sicherlich Balsam für jede Seele. 

Ich wünsche allen, denen es im Moment nicht so gut geht, schnelle Genesung und Menschen um sich herum, die auch bei der schlechteste Nachricht für einen da sind.