
Seit Corona waren wir in unserem Urlaub nicht mehr wie üblich in den USA. Ich habe es ja bereits ein paarmal erwähnt. Stattdessen fahren wir durch Deutschland, bis nach Österreich oder sogar bis nach Italien. Das Weiteste, was wir mit unserem Wagen bisher erreicht haben, war Venedig. Ein wirklich unvergessliches Erlebnis.
Aber man muss gar nicht so weit wegfahren, um etwas zu erleben. Wenn man aus dem hohen Norden, aus Kiel zum Beispiel, Richtung Süden fährt, wundert man sich über so einige Unterschiede zur Heimat.
Man hat das Gefühl: je kleiner der Ort, desto freundlicher die Menschen. Jeder grüßt hier fast jeden. Es sei denn, ein Norddeutscher trifft auf einen Norddeutschen. Das hört sich jetzt so an, als würde man hier unfreundlich sein. Das ist natürlich nicht der Fall. Auch hier gibt es regionale Unterschiede und jeder tickt anders. Auch wenn wir durch Schleswig-Holstein wandern, fällt uns schon oft auf, wer ein freundliches Gesicht macht und grüßt, und wer eher muffelig an einem vorbeizieht. In Glücksburg, das war immer auffällig, wurde fast immer sehr nett gegrüßt, meistens sogar mit einem Lächeln im Gesicht.
Und je weiter wir in den Süden fahren, desto günstiger sind zum Beispiel die Restaurants. In Kiel zahlt man, ich mag ja gerne mal ein Hefeweizen, auf der Durchfahrt natürlich alkoholfrei, mittlerweile bereits über fünf Euro. Meistens egal, ob frisch gezapft oder aus der Flasche. Auch das Essen in Restaurants ist in den letzten Jahren viel teurer geworden. Klar, man kann nicht jedes Restaurant vergleichen. Aber unverhältnismäßig viel für richtig teure Lokale auszugeben, dafür ist mir, oder eher gesagt uns, das Geld zu schade.
Wir waren gerade eingeladen, Schwiegervaters Geburtstag. Ja, ich esse gerne mal Fleisch. Bei einem Italiener aber nicht immer ganz so einfach, denn mein geliebtes Schnitzel wurde hier ausschließlich als Kalbsschnitzel angeboten. Aber 28,90 Euro, nur mit Parmaschinken (wahrscheinlich eine Scheibe), Salbeiblättern und Weißwein-Sahne-Soße, ohne Beilagen, war mir einfach zu teuer, auch wenn es für das Geburtstagskind okay gewesen wäre. Hätte man dann noch Kartoffeln, Pommes und eine Salatbeilage dazu bestellt, wäre man locker auf 38 Euro gekommen. Das Bier dazu noch einmal 5,50 Euro.
In Bayern können wir die Preise oft kaum glauben. Teilweise bezahlen wir dort für ein Essen, das man kaum schafft, etwa fünfzehn Euro und für einen halben Liter Bier unter vier Euro. Besonders erinnere ich mich da an ein typisches fränkisches Gericht, das „Schäufele“ heißt. Ein deftiger Krustenbraten vom Schwein, genauer gesagt von der Schulter, gewürzt mit Kümmel, Salz und Pfeffer, langsam im Ofen gegart, bis die Schwarte kross ist. Dazu ein Kartoffelkloß, dunkle Bratensoße und ein dunkles Kellerbier. Mir läuft jetzt noch das Wasser im Munde zusammen.
Als ich den Mitarbeiter, ich würde mal vermuten, es war der Chef höchstpersönlich, fragte, wie er mit den Preisen zurechtkommt, verstand er zunächst meine Frage nicht. Als ich ihm erzählte, dass man bei uns teilweise schon Ende fünf oder sogar sechs Euro für einen halben Liter Bier bezahlt, wollte er es gar nicht glauben. Bei den Preisen könnte er wohl zumachen, war seine Antwort.
Was wir auch sehr befremdlich fanden, war, dass Baumärkte und Blumenläden ihre angebotene Blumenerde über Nacht draußen lassen. Da kommt nichts weg, meinten sie zu uns. Und als wir an einem anderen Blumenladen nach Feierabend vorbeigingen, konnten wir sogar sehen, dass das gesamte Angebot, das vor dem Laden aufgebaut war, also Blumen, Pflanzen, Vasen etc., über Nacht nicht reingeholt wurde. Auch die Stühle und Tische vor den Restaurants werden nicht festgebunden. Verrückt, oder?
Getoppt wurde das Ganze in unserem Urlaub in Österreich. Als wir durch unseren kleinen Ort Schruns schlenderten, schaute sich meine Frau bei einem kleinen Laden um. Er war nicht groß, bot ein kleines Sortiment an Kleidung an, etwas Schmuck und ein paar Geschenkartikel. Als wir gerade in den Laden gehen wollten, schloss eine Dame die Tür ab. Ein Schild mit „Mittagspause“ erklärte warum.
Als sie uns sah, wies sie freundlich auf die Pause hin, die etwa eine Stunde dauern sollte. Dann stieg sie in ihr Auto. Meine Frau und ich schauten uns an, die gesamte Ware vor dem Laden stand ja noch da. Als sie unsere verblüfften Gesichter sah, lächelte sie und wartete auf unsere Frage, die sie offensichtlich nicht zum ersten Mal gehört hatte. „Bleibt das alles draußen, wenn Sie jetzt zur Pause sind?“, fragten wir ungläubig. „Ja“, antwortete sie ganz selbstverständlich. „Das bleibt alles draußen.“ – „Und wird nicht geklaut? In Deutschland, in unserem Heimatort, wäre das undenkbar!“
„Ich weiß, das erzählen mir viele Touristen aus Deutschland und schauen immer ungläubig. Aber hier ist das überhaupt kein Problem. Es ist noch nie etwas weggekommen. Wenn Sie in etwa einer Stunde noch einmal wiederkommen mögen, würde ich mich sehr freuen“, antwortete sie und fuhr davon. Als sie weg war, mochte ich nichts mehr anfassen. Nicht, dass zum ersten Mal doch etwas fehlt und ich hatte es in der Hand.
Läden, die ihre Ware über Nacht draußen stehen lassen und Restaurants, die ihre Möbel nicht anschließen müssen, gehören hier komplett zum normalen Stadtbild.
Bei uns im hohen Norden ist das leider ganz anders. Als wir nach Kiel kamen, fiel mir als Allererstes etwas auf, das ebenfalls seit ein paar Jahren zum normalen Stadtbild gehört. Heute startet auf den Tag genau die 131. Kieler Woche. Und als wir durch einige Straßen der Innenstadt fuhren, sahen wir sie wieder. Sie standen da wie selbstverständlich, als wären sie von Anfang an dabei gewesen: riesige Sandsäcke mit Kiel-Motiven. Daraus soll aber kein Strandbild modelliert werden, sondern sie sollen die Besucher vor irgendwelchen Irren schützen, die gezielt feiernde Menschen mit Autos oder, um möglichst noch mehr Tote zu verursachen, mit LKWs überfahren wollen.
Tatsächlich hat man sich (fast) an diese Sandsäcke gewöhnt. Nicht, dass diese in Bayern oder anderswo bei Großveranstaltungen nicht eingesetzt würden. Aber eigentlich wünscht man sich Segelschiffe, Buden mit Spezialitäten, ein Riesenrad, feiernde, lachende Menschen, aber keine Maßnahmen, um Menschen vor dem Überfahren zu schützen.
Da behalte ich doch lieber das Bild von einem völlig verwaisten Ladengeschäft mit unbeaufsichtigter Ware in Erinnerung.