Stadt der Engel

Während die Mutter panisch ihre kleine Tochter im Arm hält und voller Sorgen auf das Fieberthermometer schaut, fängt sie an zu beten. Die Temperatur zeigt 40,6 Grad an. Sie beschließt, das kleine Mädchen in eine Wanne mit kaltem Wasser zu legen, um die Temperatur zu senken. Aber auch das hilft nicht. 

Der Mann, der eben noch am Bett des Mädchens saß, begleitet sie auch, als sie mit ihrer Mutter im Krankenhaus ankommt. Während die Kleine bereits auf der Liege behandelt wird, weicht er nicht von ihrer Seite. Ihre Mutter und auch niemand anders nehmen Notiz von ihm. 

Jede Behandlung schlägt fehl. Es dauert nicht lange, bis ihre Tochter auf der anderen Seite des OPs hinter einer Scheibe steht, neben dem Mann mit der beruhigenden, angenehmen Ausstrahlung. Sie beobachtet sich selber, wie sie auf der Liege behandelt wird und ihre Mutter weint.

Auf die Frage der Kleinen, wo sie denn hingehen, antwortet der Mann freundlich, „nach Hause“. Als die beiden sich dann auf den Weg machen, fragt der Mann das kleine Mädchen: „Was mochtest Du liebsten?“ „Schlafanzüge“, antwortet sie.

Diese Szene aus einem meiner absoluten Lieblingsfilme „Stadt der Engel“, der 1998 erschien, rührt mich immer wieder zu Tränen. Und jedes Mal, wenn ich in der richtigen Stimmung dafür bin, ihn mir anzuschauen, stelle ich mir dieselbe Frage. Was antworte ich eines Tages auf die Frage: Was mochtest Du am liebsten?

Nun kann ich nicht gerade behaupten, dass Schlafanzüge von allen Dingen auf dieser schönen Erde in diesem wunderbaren Leben meine erste Wahl wären.

Wie würde Deine Antwort lauten wird? 

Die Kleine aus dem Film hat noch nicht viel erlebt. Sie hat noch nicht erlebt, was es heißt, jemanden wirklich zu lieben. Natürlich liebt sie ihre Eltern, ihre Geschwister und ihre sonstige Familie bestimmt. Aber Liebe muss man auch erst einmal lernen. Das hört sich, jetzt, wo ich es schreibe, merkwürdig an. Kann man Liebe lernen? Ich denke schon. 

Liebe ist meiner Meinung nach das Wertvollste, was Dir auf dieser Erde zuteilwerden kann. Du kannst sie empfangen und Du kannst sie auch an andere weitergeben. Du kannst sie empfinden, Du kannst sie nähren, Du kannst sie vermehren, Du kannst davon zehren. 

Natürlich gibt es eine Menge, die ich mag und ich würde wahrscheinlich die Gegenfrage stellen, ob ich mehrere Dinge aufzählen kann und ob die Antwort eine gewisse Länge nicht überschreiten darf. Wie viel Zeit mir für diese Antwort bleibt und wie viel Zeit er sich denn für mich nehmen möchte. 

Vielleicht würde er mich dann doch noch eine Weile hier lassen und mich genervt zurückschicken und einfach weiterziehen und bei der nächsten Gelegenheit wiederkommen. Vielleicht ist er auch schon einmal da gewesen und wieder weitergegangen und ich weiß es gar nicht.

Was mochtest Du am liebsten?

Diese Frage ist wirklich schwer zu beantworten. Was ich am liebsten mochte, sind meine Eltern und alle meine Lieblingsmenschen. Die Menschen, mit denen ich gerne zusammen war, mit denen ich gerne Zeit verbracht habe, in die ich gerne Zeit investiert habe und die auch mir einen Teil ihrer kostbaren Zeit gewidmet haben. 

Lachen. Lachen und die Laute, die es erzeugt. Lachen hat mich immer glücklich gemacht. Aber manchmal mochte ich es auch, traurig zu sein. Alle Schleusen meiner Tränenkanäle zu öffnen, war in manchen Situationen auch befreiend.

Etwas zu berühren. Menschen zu berühren, Haut zu berühren, schöne Dinge zu berühren. Etwas zu riechen. Nie mehr einen besonderen Duft wahrzunehmen, würde mir sehr fehlen. Der  Geruch von Kaffee, Frühling, Regen nach einem warmen Tag, der auf die Erde fällt. Hören, der Klang von Musik, der Natur, der Vögel. Die Stimme eines geliebten Menschen. Schmecken. Das auf den Punkt gegarte Steak, die Knoblauchbutter dazu. Das Salz auf der Haut nach einem erfrischenden Bad im Meer. Sehen. Die Menschen zu sehen, die das Leben für mich erst lebenswert gemacht haben. Die Anmut der Berge und die Schönheit des Meeres. Die der Tiere, der Gebäude, anderer Menschen. 

Andere Länder zu erkunden, Urlaub vom Alltag zu machen, zu entspannen, den Körper auf der Erde zu spüren und die Sonne auf der Haut. Gefühle zuzulassen. Die Gabe, diese Gefühle zu erkennen, zuzuordnen und sich daran zu erfreuen. Sich auch manchmal aufzuregen, um danach dann wieder erkennen zu dürfen, dass es immer Schlimmeres gibt und dann jedes Mal das Leben noch intensiver zu leben. 

Sich zu verständigen. Sprechen zu können, dass andere einen verstehen und zuhören. Das Bedürfnis, immer wieder etwas dazuzulernen und anderen dann das, was man erlernt hat, weiterzugeben. 

Erinnerungen. Die Möglichkeit auch noch Jahre und Jahrzehnte nach besonderen Erlebnissen diese immer wieder abrufen zu können. Sie wie einen Film, der gerade erst in die Kinos gekommen ist, an einem vorbeiziehen zu lassen. 

Die Selbstheilungskräfte meines Körpers. Der manchmal angeschlagen ist und wie durch ein Wunder am nächsten Morgen nichts mehr davon weiß. Generell, mein Körper, der immer für mich da ist. Mit den Füßen, die mich durch das ganze Leben tragen. Mit seinem Atem, der mir nie böse ist, wenn ich ihn vergesse, einzusetzen, sondern ganz von alleine immer an meiner Seite ist. 

Die Zeit. Die Zeit, die zwar viel zu schnell vergeht, aber mich immer begleitet. In der ich in Gedanken oft zurückspringe und viel zu oft nach vorne. Die ihre Spuren jeden Tag ein klein wenig, wie ein Pinsel auf einem Gemälde, auf meinen Körper zeichnet. 

Und natürlich, eine Menge materieller Dinge, die ich nicht unterschlagen möchte. Die würde ich dann allerdings nur andeuten. Denn in dieser Situation würde ich ja niemanden gleich mit einem Monolog verstimmen wollen. Rückblickend betrachtet, nehmen diese Dinge tatsächlich nur wenig Raum in meiner Aufzählung ein. Das fällt mir dann wahrscheinlich aber erst in dem Moment so richtig auf. 

„Was mochtest Du am liebsten“?

Diese Frage lässt sich schwer beantworten und um so schwerer in nur einem Satz. Eine Handvoll Menschen und jede Menge Liebe, ich glaube, das wäre meine Antwort. 

Und Deine? 

Falls Du noch nicht weißt, wo Du in den Mai hinein tanzen sollst. Wie wäre es hiermit? Vielleicht kannst Du spontan ein Zimmer bekommen und in der Bar das Tanzbein schwingen?

Klick doch mal hier!