Als meine Mum vor kurzem auf meine Frage, was sie denn heute beim Yoga schönes gemacht haben, „Stille“ antwortete, musste ich noch einmal genauer nachfragen. Neben verschiedenen Yoga-Übungen haben sie zwischendurch auch „Stille“ geübt. Also einfach mal in sich kehren, entspannen, atmen, die Augen am besten dabei schließen. Nicht am Ende der Yoga-Einheit, sondern zwischendurch.

Nun wird sich der Eine oder Andere fragen, was man dabei denn üben muss. Still zu sein ist ja einfach, braucht man nicht zu üben. Aber ist das wirklich so?

Es gibt in unserem Leben zwei Dinge, die wir meiner Meinung nach kaum noch erleben. Das ist eben die Stille zu genießen und auch die Dunkelheit zu schätzen zu wissen. Fangen wir mit dem an, was wir zumindest teilweise beeinflussen können, die Stille.

Wenn der Wecker klingelt, also spätestens dann, sind wir mit unseren Gedanken sofort bei irgendwelchen anstehenden Dingen, die heute, morgen oder auch gestern stattfinden oder auch stattgefunden haben. Die Meisten haben schon gleich nach dem Aufstehen ihr Smartphone in der Hand, um zu schauen, ob sie was verpasst haben. Zugegeben, dazu gehöre ich tatsächlich auch. 

In der Firma hat man den ganzen Tag irgendwelche Geräusche um sich herum. In den Pausen meistens auch und auf der Straße, selbst im Auto, ebenfalls. Ob beim Sport oder anderen Freizeitaktivitäten ebenfalls, Stille ist nicht auffindbar. Wieder zu Hause angekommen, läuft meistens der Fernseher oder das Radio, man unterhält sich und nach einer Weile ist es schon wieder Zeit, ins Bett zu gehen. 

Den ganzen Tag hat man sie nicht angetroffen, die Stille. 

Ebenso ist es heutzutage eigentlich überhaupt nicht mehr richtig dunkel. Ich zum Beispiel hasse es, wenn Licht ins Schlafzimmer fällt. Aber das lässt sich einfach nicht mehr verhindern. Trotz Jalousien oder Rollos, es scheint immer, zumindest etwas, Licht herein. Ob nun vom wunderschönen Vollmond oder von benachbarten Häusern. Aber selbst mitten in der Nacht, wenn man mal nach draußen schaut, oder auf dem Balkon oder der Terrasse ist oder sehr spät nach Hause kommt, es ist nie richtig dunkel. Lichtverschmutzung nennt man das. Ein Phänomen unserer Zeit. Dieser Lichtsmog entsteht, weil es in der Nacht einfach zu viele künstliche Lichtquellen gibt. Dieses Licht wird dann in die Luftschichten der Erdatmosphäre gestreut. Eine komplette natürliche Dunkelheit, wie wir sie vielleicht früher noch kennengelernt haben, findet nicht mehr statt. Teilweise kann man selbst die leuchtenden Sterne am Himmel kaum noch sehen, da es einfach auch nachts zu hell ist.

Dazu kommen natürlich unendlich viele Verstrahlungen durch Funkmasten, unsere vielen W-LAN-Systeme und anderen Quellen. Also es herrscht weder Stille noch Dunkelheit, selbst die Luft ist verstrahlt. 

Man muss schon sehr weit aufs Land fahren oder in die Berge, oder die Nacht im Wald verbringen, wenn man zumindest eines dieser drei Ruhepole genießen möchte. Kein Wunder, wenn viele Menschen immer aufgedreht und andere ständig müde und erschöpft sind. Wir sind für so viele „Verschmutzungen“ als Mensch gar nicht konzipiert. 

Wenn man heutzutage den Nachwuchs beobachtet, kann dieser sich gar nicht mehr ruhig beschäftigen. Selbst die Kleinsten sitzen beim Frühstück mitunter schon mit dem Smartphone oder Tablet vor der Nase und werden gefüttert, in der Hoffnung, dass der Zeichentrickfilm die Kleinen ruhig stellt. Natürlich nicht alle, aber es ist immer wieder zu beobachten. Ich konnte mich früher stundenlang in aller Stille auf dem Boden sitzend ganz alleine mit meiner Schlumpfsammlung beschäftigen. Eine permanente Bespaßung war bei mir nicht erforderlich. Das ist heute meistens bei den Lütten anders. Aber wie soll das auch funktionieren, wenn die Meisten das nicht mehr lernen. 

Ich genieße daher Stille total. Ich muss nicht permanent Kopfhörer in meinen Ohren haben. Ich genieße es, manchmal einfach nur auf dem Boden zu liegen und die Augen zu schließen. Vor einer Yoga-Stunde zum Beispiel, um herunterzukommen, ist das sehr angenehm. Dazu lege ich dann noch mein kleines Lavendel-Kissen auf meine Augen, um zumindest halbwegs Dunkelheit zu schaffen. Aber es ist auch eine Herausforderung, dabei nicht sofort einzuschlafen, sondern diese Stille einfach mal zu genießen. 

Die Millionen an Strahlen, die mich permanent umgeben, die kann ich leider auch nicht verhindern. Und auch, wenn ich diese nicht wirklich wahrnehme, mein Körper tut das bestimmt. Denn nur weil man etwas nicht sieht, ist es ja trotzdem da. 

Stille zu üben ist also gar nicht so merkwürdig, wie es sich im ersten Moment anhört. Vielleicht sollten alle Menschen das häufiger üben. Vielleicht wären viele dann auch nicht so hektisch, nicht so ungehalten, wenn sie mal in der Schlange stehen müssen. Vielleicht würden dann nicht so viele Menschen plötzlich mal abdrehen, vielleicht wäre die Welt ein wenig herzlicher. 

Stille ist tatsächlich eine Ausnahmeerscheinung geworden. Traurig eigentlich.