
Streicheleinheiten für die Seele
Ganz bestimmt geht es nicht nur mir so? In diesen Zeiten freut man sich schon, wenn man zumindest mal eine Zeit lang nicht mit schlechten Nachrichten konfrontiert wird.
Egal, wo man hinhört, meistens erfährt man nichts Erfreuliches. „Gut Ding will Weile haben“, sagt man ja bekanntermaßen. Dieser Spruch taucht bereits im 17. Jahrhundert auf. Da waren die Zeiten auch nicht einfach.
Ich muss morgens oft schmunzeln, wenn ich mich im Bad frisch mache und nebenbei den lokalen Sender mit den aktuellen Nachrichten höre. Da berichtet man seit einer Weile immer am Ende über die gute Nachricht des Tages. Da sind dann tatsächlich manchmal nette Neuigkeiten dabei. An manchen Tagen scheinen ihnen aber nicht wirklich welche einzufallen oder es gibt vielleicht auch einfach keine. Dann wird zum Beispiel berichtet, dass im Rathaus in irgendeinem Ort in der Nähe Portraits der letzten Bürgermeister in Öl zu bestaunen sind oder dergleichen. OK, vielleicht hilft das tatsächlich dem einen oder anderen besser durch den Tag zu kommen, meine Stimmung können diese unfassbaren News jetzt nicht wirklich zum tirilieren bringen.
Zum Glück gibt es in unserem Land bei den meisten Themen die Meinungsfreiheit. Es gibt aber inzwischen einige Thesen, die man vertritt, die lieber nicht jedem auf die Nase gebunden werden sollten. Über einen meiner Lieblings-Künstler streiten sich auch die Gemüter. Viele lieben ihn und das, was er macht, andere schauen einen fragend an, wenn man von ihm schwärmt. Er ist ein Mensch, bei dem man bei seinen Auftritten denken könnte, seine Arme sind wesentlich länger als die der meisten anderen und er könnte, wenn er diese wie meist an seinem Körper regungslos baumeln lässt, im Stehen an seine Knie fassen, ohne sich bücken zu müssen. 🙂 Das ist natürlich nur eine optische Täuschung.
Immer perfekt gestylt, mit sehr viel Humor und noch mehr Talent ausgestattet, setzt er sich perfekt in Szene. Oder besser formuliert, wird er zusammen mit seinem Ensemble durch Licht und Ton perfekt in Szene gesetzt.
Seit einigen Jahren freuen wir uns immer, wenn er wieder „in the Town is“. Noch bevor der Ausnahmekünstler die Bühne betritt, fühlt man sich beim Anblick des perfekten Bühnenbildes etwa 100 Jahre in der Zeit zurückversetzt.
Stets im eleganten Smoking bewegt er sich auf der Bühne mit einer bewussten Zurückhaltung, die den Eindruck erweckt, als wäre er direkt aus der Ära des goldenen Berlins der 1920er Jahre in die Gegenwart geschritten. Seine Darbietungen, immer zwischen Licht und Schatten inziniert, haben eine leicht ironische Note, da er oft die formellen und etwas übertrieben höflichen Texte jener Zeit mit einer leicht distanzierten Haltung singt.
Sein Talent liegt nicht nur in seiner klaren, tiefen Baritonstimme, sondern auch in seiner Fähigkeit, den Geist dieser Ära perfekt einzufangen. Zusätzlich zu seiner Gesangstechnik ist er auch ein geschickter Entertainer. Seine trockenen, fast lakonischen Ansagen zwischen den Liedern sind Teil seines Charmes und tragen zum Gesamterlebnis seiner Auftritte bei.
Oft weiß ich gar nicht, worauf ich mich mehr freue, auf den Gesang oder seine Ansagen. Es ist die perfekte Mischung.
Der Künstler und sein „Palast Orchester“ singt und spielen mit einer Präzision und Liebe zum Detail, wirken dabei aber nie veraltet.
Die Rede ist natürlich von Max Raabe, eine einzigartige Figur in der deutschen Musiklandschaft.
Doch was fasziniert die Zuschauer so an den 1920er und 1930er Jahren?
In einer zunehmend komplexen und technologiegetriebenen Welt erinnert man sich gern an die vermeintlich „einfacheren“ Zeiten. Damals waren viele Dinge des Alltags langsamer und direkter. Das Leben wurde als weniger hektisch wahrgenommen.
Die Zwanziger Jahre stehen für einem kulturellen und sozialen Aufbruch, besonders in Städten wie Berlin, Paris oder New York. Diese Zeit war geprägt von Kreativität, neuen Ideen und einer Aufbruchsstimmung, die vielen in Erinnerung geblieben ist.
Die stärkere Betonung auf Gemeinschaft, Nachbarschaft und familiäre Bindungen wird oft in einem nostalgischen Licht gesehen, da diese Aspekte in der modernen Gesellschaft oft als verloren empfunden werden.
Tanzabende waren in den 1920er Jahren eine beliebte Freizeitaktivität. Der Stummfilm und später der Tonfilm gewannen an Popularität. Stars wie Charlie Chaplin und Marlene Dietrich wurden berühmt. Frauen schnitten ihre Haare kurz, trugen kürzere Kleider und feierten eine neue Selbstbestimmung. Spaziergänge im Park, Picknicks oder Radtouren auf dem Land waren Freizeitbeschäftigungen, die damals sehr geschätzt wurden. Viele Menschen lebten in einfacheren Verhältnissen und genossen die kleinen Dinge des Lebens intensiver.
Das alles machte den Menschen Freude und verschaffte ihnen Ablenkung von den Herausforderungen des Alltags.
Für viele Familien war die Einführung von Elektrizität ein großer Fortschritt. Kühlschränke, Staubsauger und Waschmaschinen machten den Alltag bequemer und einfacher. Diese Erleichterungen im Haushalt sind oft als positiver Aspekt in Erinnerung geblieben.
Das Automobil setzte sich in den 1920ern immer mehr durch und ermöglichte Menschen eine neue Form der Freiheit. Ausflüge und Reisen wurden populärer, und der Straßenverkehr entwickelte sich, auch wenn es noch keine Massenmobilität gab, wie wir sie heute kennen.
Das Radio revolutionierte den Alltag. Nachrichten, Musik und Hörspiele waren plötzlich für die breite Bevölkerung zugänglich, und es wurde zu einem wichtigen Bestandteil des Familienlebens. Das Radio schuf Gemeinschaftsgefühle, da viele Menschen dieselben Programme hörten. Das ist natürlich in unserer Zeit mit einem Überangebot an Möglichkeiten komplett anders geworden.
Gemeinschaft ist heutzutage eher weniger angesagt. Wie oft beobachtet man Menschen, die zwar an einem Tisch sitzen, aber alle mit sich selber beschäftigt sind und auf ihr Smartphone glotzen. Hat man in unserer Zeit noch einen großen Freundeskreis, trifft man sich noch oft mit seiner Familie, kümmert man sich um andere oder siehst man seinen besten Freund nur noch, wenn man in den Spiegel schaut?
Natürlich hatte 1920er und 1930er auch ganz besondere Herausforderungen. Der Erste Weltkrieg hatte weite Teile Europas, besonders Deutschland und Frankreich, verwüstet. Die Hyperinflation von 1923 war besonders schlimm. Viele Menschen verloren ihre Ersparnisse, und der Wert der deutschen Währung sank rapide. Geld wurde praktisch wertlos, und Menschen mussten oft mit Tauschgeschäften überleben.
Die Wirtschaftskrise führte in vielen Ländern zu einem Vertrauensverlust in demokratische Regierungen, da diese oft als unfähig galten, die Krise zu bewältigen. Deutschland erlebte eine zunehmende Radikalisierung der Politik. Der Aufstieg der Nazis brachte systematische Verfolgung und Unterdrückung mit sich. In diesen Zeiten verschlechterten sich die Lebensbedingungen rapide.
Doch bei den Liedzeilen „Heute ist ein guter Tag um glücklich zu sein, steht das Glück vor der Tür, dann lass‘ ich es rein.
Guten Tag, liebes Glück, schön dich zu sehen, Kaffee oder Tee? Du willst doch nicht gleich wieder gehen“ denkt man lieber an die schönen Momente dieser Zeit.
Als das Konzert zu Ende war, gab es mal wieder Standing Ovation, was sich der Künstler und seine Mitstreiter auch wahrlich verdient hatten. Das auch nach mehreren Zugaben ein Lied fehlte, war allerdings sehr schade.
Auf dem Weg aus der Konzerthalle hatte ich für einen kurzen Moment in Gedanken viele Lichter, festlich gekleidete Menschen, schwarze Limousinen erwartet. Da wurde ich jedoch enttäuscht, zurück in der Gegenwart.
Meine Mutti eingehakt, meine Frau kurz geküsst, das kann man schließlich nicht alleine, ging es beseelt nach dem perfekten Abend nach Hause.