Systemrelevante Berufe

Wenn wir eines in diesen Zeiten gelernt haben, dann, dass es systemrelevante Berufe gibt. Doch welche Berufe gehören eigentlich dazu? 

Ich habe dazu einmal Google beansprucht. Dort heißt es meistens: 

  • Energie und Wasserversorgung.
  • Lebensmittelversorgung/Lebensmittelhandel.
  • Drogeriehandel/Hygieneversorgung.
  • Informations- und Telekommunikation, Post.
  • Gesundheit (Ärzte, Therapeuten, Pfleger, Apotheker, Labore, Pharmaindustrie, Tierärzte)
  • Kinder- und Jugendhilfe.
  • Behindertenhilfe.
OK, das ist eigentlich selbsterklärend. Polizei und Feuerwehr vermisse ich bei der Aufstellung. Entweder es wurde vergessen oder ist einfach so selbstverständlich, dass es gar nicht mehr aufgeführt wird. 

 

Meinen heutigen Blogbeitrag möchte ich gerne einer bestimmten Berufsgruppe widmen. Allen Mitarbeiterrinnen und Mitarbeitern im Einzelhandel. Dazu gehören nicht eben nur die aufgeführten Verkäuferinnen und Verkäufer der Lebensmittelversorgung, Drogeriehandel und der Hygieneversorgung. Es geht auch um alle anderen, wie zum Beispiel in der Bekleidungsbranche. 

Nun sind Ärzte, Apotheker und Lehrer zum Beispiel überaus anerkannte Berufsgruppen in unserer Bevölkerung. Verkäufer aber allgemein sind in den meisten Köpfen „einfache Berufe“, die man kaum erlernen muss. Das kann jeder Student, da kann man locker kurz einmal eingearbeitet werden. Vor Kurzem habe ich einen Bericht über Verkäufer gesehen, der mir sehr auf den Magen geschlagen ist und mich tief traurig gemacht hat. 

Wenn ich in ein Bekleidungsgeschäft gehe, laufen diese Verkäufer herum und sorgen dafür, dass die Regale aufgefüllt werden und die Sachen, die ich anprobiere und in der Kabine liegen lasse, wieder auf die richtige Stange oder ins richtige Regal kommen, fertig. So denken sehr viele. Das hierfür wesentlich mehr zu erfüllen ist, das wissen oder wollen die Meisten gar nicht wissen. Es gehört eine 2-jährige Ausbildung dazu, als Kauffrau im Einzelhandel 3 Jahre. 

Die Ausbildung findet dual statt, Berufsschule und Betrieb wechseln sich ab. Dabei werden eine Fülle an Informationen vermittelt. Mitarbeiter im Einzelhandel müssen nicht nur genaue Warenkenntnisse, sondern teilweise auch Personalführung beherrschen. Trifft man auf Fachpersonal, kann dieses meistens auf den ersten Blick die genaue Größe meiner Wunschhose erkennen, berät mich farblich und typ-entsprechend. 

Leider wissen viele Kunden aber rein gar nichts dieser Qualitäten zu schätzen. Ware wird in der Kabine auf den Boden geworfen oder der Verkäuferin entgegen geschmissen. Die Mitarbeiter werden behandelt, als wären sie Leibeigene. Das ohne sie ein Einkauf in einem Geschäft gar nicht möglich wäre, wird komplett ignoriert. Oftmals werden sie beschimpft und bepöbelt. Dass sie schon lange vor dem Besuch den Laden aufgeschlossen haben, während viele schon Stunden Feierabend haben, immer noch für ihre Kunden, meist gutgelaunt, wenn auch nur äußerlich, zur Verfügung stehen und erst spät am Abend, nachdem alle durchwühlten Klamotten wieder neu sortiert und in Ordnung gebracht wurden, ihren Heimweg antreten können, interessiert wenige. 

In der Reportage erzählten Mitarbeiter in der Lebensmittelbranche, wie sie an der Kasse bepöbelt werden, teilweise sogar mit Kleingeld beworfen werden. Es ist einfach nicht hinnehmbar, dass Menschen andere wie Menschen zweiter Klasse behandeln. Gäbe es sie nicht, hätten wir nichts anzuziehen, nichts zu essen und nicht einmal Toilettenpapier, was in diesen Zeiten ja besonders beliebt ist. 

Die Arbeitszeiten haben sich die letzten Jahrzehnte massiv verschlechtert. Während früher alle zufrieden waren, wenn ein Geschäft um 18:00 Uhr seine Türen schloss, muss es heute immer länger sein. Natürlich erst recht am Wochenende und an Feiertagen. Schließlich hat die breite Masse dann Zeit zum Bummeln. 

Schaut man sich das Bäckerhandwerk an, hat dieses wohl den größten Wandel durchgemacht, was die Öffnungszeiten angeht. Unsere Bäckerei um die Ecke hat 364 Tage geöffnet. Lediglich ein Feiertag zwingt sie, geschlossen zu haben. Und wenn man dann bedenkt, wann die Mitarbeiter bereits für uns in der Backstube stehen, da gehen andere erst, nachdem sie ausgefeiert haben, schlafen. 

Schaut man sich das Einkommen der meisten in dieser Branche Tätigen an, kann einem nur schlecht werden. Viele können kaum davon ihr Leben beschreiten, müssen sich ohne Ende einschränken, können sich und ihren Kindern so gut wie nichts außer der Reihe bieten. Es ist wirklich traurig. 

Sind systemrelevante Berufe also nur die oben Aufgeführten? In diesen unsicheren Zeiten kommen viele in den Genuss, aus dem Homeoffice zu arbeiten. Klar, dass macht auch Sinn. Aber andere haben gar keine Wahl. Sie stehen jeden Tag im Geschäft, ertragen ohne „Spaziergänge“ jeden Tag mit einer Maske von früh bis spät, schlecht gelaunte, hustende Kunden, für die der Begriff Abstand ein Fremdwort ist. 

Wertschätzung? Nicht annähernd. Dabei sind sie ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft. Einfach gar nicht wegzudenken, unverzichtbar. 

Umso trauriger, dass viele es einfach nicht zu schätzen wissen und sich für etwas Besseres halten. 

Meinen heutigen Blogbeitrag möchte ich einer Mitarbeiterin in meiner Lieblingsbäckerei widmen, die nach weit über 40 Jahren in den wohlverdienten Ruhestand geht. Über 40 Jahre im Bäckerhandwerk, das schafft heutzutage sicher kaum noch jemand. Mit diesen Arbeitszeiten, diesem Stress, immer gut gelaunt und für ein kurzes Schwätzen zu haben. Das zollt meinen allergrößten Respekt. Ich werde Sie sehr vermissen, liebe Frau Grimm. Ich wünsche Ihnen für die nächste Lebensphase allerbeste Gesundheit und viel Glück. 

Bei allen Anderen im Einzelhandel möchte ich mich an dieser Stelle ebenfalls herzlich bedanken. Ich weiß es zu schätzen, diese Dienste Tag für Tag in Anspruch nehmen zu dürfen. 

Danke! 

Photo by Jacky Lam on Unsplash