Vorsorge
Es gibt Dinge im Leben, die versuchen die Meisten auszublenden, wollen sich damit nicht auseinandersetzen. Wenn das Thema einmal aufkommt, verschiebt man es gerne. Am liebsten in die äußerste Ecke, ganz nach hinten.
Das Problem ist, dass es niemand auf der Welt einfach aussetzen kann. Es betrifft jede und jeden. OK, theoretisch kann man es einfach ignorieren, es einfach ausblenden. Für die Angehörigen ist das aber dann die Höchststrafe. Etwas, was man nie wieder gutmachen kann.
Die Rede ist natürlich Vorsorge für Tag X zu treffen. Und mit Tag X meine ich nicht automatisch den letzten Tag, den wir auf dieser wunderschönen Erde verbringen dürfen. Der ist natürlich auch ein Thema oder sollte es sein.
Ich meine aber den möglichen Tag, an dem sich unsere Welt vielleicht plötzlich auf den Kopf stellt. Der Tag, an dem man sich plötzlich verletzt, einen Unfall hat oder einfach so einen medizinischen Notfall. Plötzlich wird gefragt, haben Sie eine Vollmacht? Hat der Patient eine Verfügung? Wie möchte dieser Patient im Ernstfall behandelt werden? Gibt es Wünsche?
In solchen Fällen stehen Angehörige dann ohnmächtig da, suchen irgendwelche Ordner durch. Da war doch was. Wurde nicht schon einmal ein Formular ausgefüllt, oder doch nicht? Wahrscheinlich gibt es für einen betroffenen Angehörigen keine größere Herausforderung, zum Schmerz die Sorge auch noch nach irgendwelchen Papieren suchen zu müssen.
Aber es muss gar nicht immer gleich der schlimmste Fall eintreten. Es reicht ja schon, sich Gedanken zu machen, was zu tun ist, wenn man selber nicht vor Ort ist und ein Angehöriger auf Hilfe angewiesen ist. Gibt es eine Person des Vertrauens, die erreichbar ist und Hilfe leisten kann? Aber was soll schon passieren?
Tag 1:
Das Telefon klingelt, es ist natürlich Wochenende und späterer Abend, ein Haushaltsgegenstand war im Weg und hat keinen Platz gemacht, nun schmerzt nach dem Sturz die Hand, die Finger lassen sich kaum bewegen, schwellen an.
Mit Glück ist es eine Verstauchung, mit Pech ist etwas gebrochen. Also ab ins Auto und zur nächsten Notaufnahme. Wichtig, wer zum Lesen ein Hilfsmittel benötigt, sollte seine Brille in der Aufregung nicht zu Hause vergessen.
In der Klinik angekommen ist man selbstverständlich nicht der Einzige, dem ein Unglück widerfahren ist oder der einfach unachtsam war. Bei derartigen Verletzungen sind die Patienten fast ausschließlich sehr junge Menschen, die eine Sportverletzung haben oder vielleicht zu stark gefeiert haben oder Ältere, die sich ihre Verletzung meistens im Haushalt eingefangen haben. Zumindest zeigt das der Wartebereich so an.
Ist man in dieser unglücklichen Lage aber glücklicherweise nicht auf sich selbst gestellt, braucht man unter Schmerzen auch nicht selber die notwendigen Formulare auszufüllen. Wurde das erledigt, kommt das lange Warten. Da man warm oder zumindest trocken sitzt, vergehen die 5 Stunden fast wie im Fluge, während die Augen schwer wie Zement geworden sind.
Ergebnis, Elle und Speiche gebrochen. Die Knochen notdürftig unter Betäubung wieder so gut wie möglich gerade gerückt. Was für ein gruseliger Gedanke. Nach dieser Erstversorgung gehts mit Gips zurück nach Hause, endlich ins Bett.
Tag 2.
Wenn man am nächsten Tag frühmorgens wunschgemäß zur Kontrolle erscheint, ist das Wartezimmer natürlich nicht leer. Ebenfalls Betroffene warten auch schon wieder und auch zwei Stunden sollten kein Grund zum Unmut sein. Details für die unausweichliche OP mit sämtlichen Untersuchungen, Gesprächen und der gesamte organisatorische Ablauf wird einem am nächsten Tag telefonisch erklärt.
Tag 3.
Natürlich muss man auch am dritten Tag erneut warten. Worauf? Auf eine Überweisung für eine CT. Nachdem man sich zum dritten Mal an der Anmeldung, dieses Mal Haus 2, mit seiner Versicherungskarte angemeldet hat, komisch, bei meinem Arzt braucht man das nur einmal im Quartal, warum hier so oft, wird man durch ewig lange Gänge geschickt, auf denen bereits dutzende Patienten vor den mit Mini-Buchstaben beschrifteten Räumen warten.
Dritter Tag, an dem man sooft auf die Uhr starrt, wie sonst das ganze Jahr nicht. Endlich hört man den Namen und wird aufgerufen. Natürlich leistet man erneut Hilfe, da der nahestehende Verwandte, was das Ausfüllen von Formularen betrifft, unpässlich ist. Gut, dass auch am dritten Tag meine Lesebrille zu Hause liegt. Dann wird wieder auf dem Gang platz genommen, schließlich muss die Überweisung noch von einem Arzt unterschrieben werden. Ist dieser erst einmal mithilfe eines Telefonanrufes gefunden, erfolgt die Unterschrift prompt und weiter gehts in Haus 1, CT Räumlichkeiten aufsuchen. Selbstverständlich muss die Versichertenkarte erneut eingelesen werden, sie ist noch ganz warm vom letzten Mal.
Bei der CT müssen selbstverständlich erneut zig Formulare ausgefüllt werden, einige Fragen wiederholen sich. Ist die CT erst einmal überstanden, erhält man einen QR-Code. Der muss natürlich vom Patienten persönlich wieder in Haus B an der Anmeldung abgegeben werden. Tag drei, überstanden.
Tag 4.
Wenn man denn einen Parkplatz gefunden hat, sind die Parkgebühren zumindest in Ordnung. Immerhin auch nicht selbstverständlich. Als Erstes steht das Arztgespräch auf dem Zettel. Der wartet natürlich nicht auf einen, man wartet auf ihn. Das ist nach nicht einmal einer Stunde bereits erledigt. Freundlich, kompetent, erklärt der Arzt den Befund und die weitere Vorgehensweise. Und natürlich die Risiken und Nebenwirkungen. Es werden erneut Formulare ausgefüllt, mittlerweile hat man eine ganze Akte. Mit der geht man dann zu einer Mitarbeiterin von der Organisation. Es werden weitere Details besprochen und Formulare ausgefüllt bevor es weiter geht.
Als die Mitarbeiterin mir dann erklärt, wohin wir als Nächstes sollen, habe ich den Anfang am Ende Ihrer Wegbeschreibung bereits schon wieder vergessen. Ich frage erneut nach und sie erklärt mir geduldig ein zweites Mal den Weg. Den hatte ich mir jedoch gemerkt, aber nicht, wo und warum wir dahin sollten, ich brauchte den Begriff noch einmal. Bettendisposition war das Zauberwort. Also mit den Akten und der Patientin wieder ins Nebengebäude.
Nachdem wir die Bettendisposition hinter uns gelassen haben, wird erneut Blut abgenommen. Danach sitzen wir vor einer Menge Kabinen und warten auf eine freie für ein EKG. Als auch das nach einer üblichen Wartezeit überstanden ist, steht er tatsächlich an, der letzte Termin für den vierten Tag. Ab zur Anästhesie.
Dort warten wie üblich bereits einige optisch klar erkennbare Mitstreiter auf Einlass. Da sich eine ganze Weile jedoch nichts tut, frage ich diese, warum es nicht vorangeht. Wahrscheinlich Mittagspause, vermutet man. Als mein Nervenzusammenbruch spürbar deutlich näher rückt, werden wir aufgerufen.
Auch hier werden selbstverständlich einige Formulare ausgefüllt, Risiken und Nebenwirkungen erläutert und dann ist es endlich geschafft. Fast. Die mittlerweile recht dicke Akte muss natürlich der Patient noch auf die Station bringen.
Tag 5.
Der große Tag ist gekommen. Aufgeregt finden wir uns wunschgemäß zur vereinbarten Zeit am OP-Tag ein. Dieses Mal kein Warten, zumindest erstmal nicht, es geht direkt auf die Station. Als uns die Krankenschwester leicht verwirrt anschaut und fragt, ob wir denn gar keine Sachen dabei hätten, ob uns nicht gesagt wurde, dass ein stationärer Aufenthalt nötig ist, muss ich innerlich grinsen. Vor Aufregung habe ich die Tasche im Auto vergessen.
Zurück zum Parkplatz, natürlich regnet es in Strömen, Tasche geholt und direkt aufs Zimmer. Kurz beim Einrichten und Umziehen geholfen, verabschiedet und Daumen gedrückt. Von nun an kann ich nicht mehr helfen, muss die Verantwortung abgeben und auf die Fähigkeiten der Ärzte und des Teams vertrauen.
Dann doch wieder warten. 16:00 Uhr kommt dann endlich die freudige Botschaft, Patient alles gut überstanden. Was für eine Tortur.
Fazit: Ich denke darüber nach, was im Falle eines Falles passiert. Was muss vorbereitet sein? Sind alle Vollmachten erstellt? Habe ich eine Patientenverfügung? Ist alles geregelt, für den Fall, dass der Tag X doch eintrifft? Wie viel Leid möchte man den Angehörigen zusätzlich ersparen?
Es ist so wichtig, sich darauf vorzubereiten. Wichtig für einen selber, mindestens genauso wichtig für die Angehörigen. Gut, wenn man welche hat.