Wenn jeder an sich selber denkt, ist an alle gedacht.
Wenn man im ersten Moment über diesen Spruch nachdenkt, scheint er tatsächlich aufzugehen, oder etwa nicht? Manchmal habe ich das Gefühl, immer mehr Menschen handeln danach. Andererseits habe ich aber auch das Gefühl, dass es entweder immer mehr Unterbelichtete oder einfach immer mehr Gleichgültige unserer Spezies gibt. Oder sogar beides.
Wenn ich durch die Stadt laufe, fällt mir immer öfter auf, dass irgendwelcher Müll einfach so auf die Straße gestellt wird. Egal, in welcher Gegend ich unterwegs bin, das Phänomen scheint allgegenwärtig zu sein.
Gerade vor ein paar Wochen. Mitten auf dem Bürgersteig hat jemand seinen Tannenbaum „entsorgt“. Der nächste, wenn auch inoffizielle, Sammelplatz für Tannenbäume ist etwa 50 Meter von hier entfernt. Wes Geistes Kind ist so dämlich, oder vielleicht einfach nur faul, und wirft seinen ausgedienten Tannenbaum vor die Tür? Was denkt man sich dabei? Irgendjemand wird ihn schon bei Gelegenheit mitnehmen? Mir doch egal, Hauptsache, ich bin ihn los?
Das Problem sind aber nicht nur Tannenbäume. Man trifft auf jede Menge Gegenstände. Mal ein alter Autoreifen, mal eine völlig versiffte Mikrowelle und mal ein Stoffbeutel mit Leergut. Es war schon alles dabei. Ich kann es immer gar nicht verstehen, wie man wirklich auf den Gedanken kommen kann, seinen Müll einfach vor die Tür zu stellen? Entweder mit gar keinem Gedanken, weil die benötigten Gehirnzellen einfach nicht vorhanden sind, oder mit dem Gedanken, wen es stört, der kann es ja fachgerecht entsorgen.
Zu gerne würde ich ja einmal auf einen solchen Vollpfosten stoßen und versuchen, den Beweggrund zu erfahren. Ich kann das wirklich so gar nicht nachvollziehen.
Ähnlich ist es auch, wenn man seinen Papiermüll entsorgen möchte. Man klappt den Deckel der gefühlt ewig vollen blauen Tonne auf und muss einmal erneut feststellen, dass jemand mal wieder keinen Bock hatte, seinen leeren Karton auch nur ansatzweise etwas klein zu reißen und diesen komplett eingeworfen hat. Noch ein paar mehr davon und die Tonne ist, zwar noch fast leer, aber durch die kompletten Kartons eben doch voll.
Wie schwer kann es sein, seinen Karton etwas kleinzumachen? Schließlich hilft es am Ende ja jeden, wenn die Tonne bis zum Tag der Abholung etwas Platz bietet.
Solidarität fängt im Kleinen an. Auf den Anderen zu achten, miteinander zu leben, das ist doch in unserer Zeit und unserer Gesellschaft mindestens genauso wichtig, wie vor hundert Jahren. Wenn man schon in seiner eigenen, näheren Umgebung, so etwas von rücksichtslos anderen gegenüber ist, wie soll das dann mit 7,8 Milliarden Menschen funktionieren?
Ich könnte mir vorstellen, die Menschen haben verlernt, über Zwischenmenschlichkeit und Fürsorge nachzudenken. Die Meisten stellen eben sich selber immer in den Vordergrund. Hauptsache, einem selber geht es gut und man kann immer alles schnell erledigen. Was geht mich der Andere an, was interessiert mich die Meinung meines Nachbarn (das ist in unserem Haus zum Glück anders)?
Ich muss allerdings auch zugeben, um wieder zum Anfang zurückzukehren, nämlich zum Tannenbaum, ich habe mich anscheinend schon etwas anstecken lassen. Vor einigen Jahren ist wohl mal jemand auf die Idee gekommen, seinen Tannenbaum auf einer Wiese an der Ecke zu entsorgen. Etwa zwei Straßen weiter ist aber ein offizieller Sammelplatz. Dort ziehe ich, seit ich denken kann, also bereits als Kind, unseren Tannenbaum hin. Mit einem kurzen Gruß und einigen Erinnerungen habe ich mich dann immer etwas wehmütig von ihm verabschiedet. Zugegeben, ich bin nun einmal etwas sentimental. Seit der neue, inoffizielle Sammelplatz jetzt in unmittelbarer Nähe, das Wetter um die Jahreszeit fast immer eklig ist und ein Tannenbaum sich schlecht tragen lässt, kam auch mir dieser neue Platz sehr entgegen. Obgleich ich wusste, dass es nicht in Ordnung ist und es auch immer ewig dauert, bis sich dann tatsächlich eine offizielle Stelle gezwungen sieht, die vielen Bäume doch abzuholen und zu entsorgen.
Jedes Jahr nehme ich mir auch vor, diese kleine Strecke mehr abzulaufen. Das ist ja auch nicht wirklich weit und Bewegung tut gut. Aber, wenn es dann so weit ist und ich den Tannenbaum hinter mir herziehe und es mal wieder nass und kalt ist, denke ich, einer mehr schadet ja jetzt auch nicht.
Und wieder bin ich bei dem Spruch gelandet, wenn jeder an sich selber denkt…