Wo sind sie geblieben?

Wenn ich Feierabend habe, muss, wie bei den meisten Menschen, erst einmal eingekauft werden. Eine unserer schönsten Einkaufsstraßen ist nur wenige Minuten entfernt. Kleine individuelle Geschäfte warten darauf, betreten zu werden. Allerdings kann ich in letzter Zeit gar nicht so viel verdienen, wie ich theoretisch alle paar Meter loswerden könnte. 

Das liegt aber nicht an meinem Einkaufsverhalten oder den besonders ansprechenden Angeboten der vielen kleinen Geschäfte. Es liegt an den Menschen, die gerne mein Geld, zumindest einen kleinen Teil davon, haben möchten. Denn in letzter Zeit wird man ständig von irgendwelchen Menschen, die es sich auf dem Bürgersteig bequem gemacht haben, angequatscht. Mal freundlich, mal weniger freundlich. Mal wird nach Kleingeld gefragt, mittlerweile aber auch mal nach ein, zwei Euro. Die Inflation ist überall.

Wenn ich diese „Anfragen“ mit den Hilferufen nach Mitarbeitern, die in vielen Schaufensterscheiben hängen, vergleiche, sind letztere noch in der Überzahl. Beide Bedarfsgesuche steigend. 

Ich möchte jetzt nicht behaupten, dass es in der heutigen Zeit sehr viele Menschen nicht einfach haben. Ganz sicherlich wissen viele nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. Viele haben nur sehr geringe Einkommen, haben es schwer, satt zu werden. Viele Rentner sind gezwungen in unserem reichen Land Unterstützung von der Tafel zu bekommen. 

Aber viele, die mich ansprechen, sehen nicht wirklich ungepflegt oder körperlich eingeschränkt aus. Sie sehen aus, als könnten sie einen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Das ist natürlich nur meine persönliche Einschätzung. 

Wenn ich also angesprochen werde, nachdem ich mindestens 8 Stunden gearbeitet habe, und ich arbeite seit meinem Realschulabschluss ohne auch nur einen Tag ohne Arbeit gewesen zu sein, frage ich mich ernsthaft, warum die diesem optisch arbeitstauglichen, in der einen Hand eine Kippe, in der anderen ein Smartphone, etwas von meinem verdienten Geld geben soll?

An manchen Tagen möchte ich genau diese Frage stellen. Freundlich, neugierig, geradeheraus. Aber ich entscheide mich dann anders. Selbstverständlich kann es immer passieren, dass man seinen Job und dann auch im schlimmsten Fall seine Wohnung verliert. Ich bin sicherlich nicht arrogant, um mir das nicht bei nahezu jedem vorstellen zu können. Aber eigentlich steht jedem Bürger in Deutschland, der bedürftig ist, staatliche Unterstützung zu. 

Wenn ich dann bei meinem Lieblingsbäcker die Tür öffne, werde ich freundlich begrüßt. Immer für einen kleinen Smalltalk zu haben, kommen wir kurz ins Plaudern. Wieder einmal ist entweder der Filialleiter oder seine immer auffällig freundliche Kollegin alleine. Seit 5 Uhr etwa. Wenn dann ein Kunde vor mir da ist, einen Kaffee und im schlimmsten Fall für mich, noch ein Brötchen geschmiert haben möchte, bin ich schon am frühen Morgen genervt. 

Meine Zeit morgens ist auch sehr begrenzt und da zählt dann jede Minute. Dann versuche ich mich aber wieder zu beruhigen und denke, wie ich mit so einer Situation umgehen würde, wenn ich hinter dem Tresen stehen müsste. Alleine die Filiale schmeißen, Brötchen backen, alles vorbereiten, und das schon, wenn andere noch schlafen. Was, wenn ich mal auf die Toilette müsste? 

Ich frage dann oft die Mitarbeiter, ob sie zumindest einen Tag am Wochenende freihaben. Das wird aber, besonders in letzter Zeit, verneint. Keinen einzigen Tag in der Woche frei, wie ist das möglich? Personalmangel wird mir dann immer gesagt. Keiner will diesen harten Job machen. Wenn es denn doch mal einer doch, ist er oder sie meistens nach kurzer Zeit dann krank und wieder weg. 

Ich frage mich dann immer, wie die beiden das nur durchhalten? Der Bäcker hat, ich glaube bis auf einen Feiertag, 364 Tage im Jahr geöffnet. Während andere sich auf ein langes Wochenende freuen, sind sie schon früh am Morgen für uns da, Wahnsinn. 

Dann denke ich an die vielen anderen Berufe mit Schichtarbeitszeiten. Dankt man es den Menschen überhaupt genug? Ganz sicherlich nicht und in der letzten Zeit machen das immer mehr eher immer weniger. 

Aber warum werden überall Mitarbeiter erfolglos gesucht? Kommt mir so vor, als wäre das ein Problem, das sich nach der Corona-Pandemie noch um ein Vielfaches verschlimmert hat. Ja, die Situation hat sich deutlich verschärft. 

Doch ein Mangel an Arbeitskräften war in bestimmten Bereichen, wie etwa dem Gesundheitswesen, dem Handwerk, der Pflege, der IT-Branche und in technischen Berufen, auch vor 2020 spürbar.

Schon vor Corona wurde die deutsche Bevölkerung immer älter, was dazu führte, dass mehr Menschen in Rente gingen, während gleichzeitig weniger junge Menschen in den Arbeitsmarkt eintraten. Der viel zitierte Demografische Wandel. Sicherlich eines der vielen Probleme, dem man nicht erst seit gestern begegnet. 

Vor allem in spezialisierten Berufen, wie Ingenieuren, Technikern und IT-Spezialisten, gab es schon seit Jahren einen Mangel. Unternehmen hatten Schwierigkeiten, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden.

Durch Lockdowns und Unsicherheit haben viele Menschen, vor allem in Bereichen wie Gastronomie und Tourismus, ihre Jobs aufgegeben oder umgeschult.

Einige Arbeitskräfte, insbesondere im Pflege- und Gesundheitsbereich, sind durch die zusätzliche Belastung während der Pandemie ausgestiegen, weil die Arbeitsbedingungen zu anstrengend, zu hart wurden.

Die Pandemie hat viele Menschen dazu veranlasst, ihre Work-Life-Balance zu überdenken. Dies führte teilweise dazu, dass mehr Menschen Teilzeit arbeiteten oder in andere Branchen wechseln wollten, die ihnen bessere Arbeitsbedingungen bieten.

Ich habe das Gefühl, dass viele dieser Menschen, die noch vor einer Weile in Arbeit waren, ihre Einstellung geändert haben und einfach mehr vom Leben haben möchten. Kein Bock mehr auf unterbezahlte Jobs, keine Lust auf unregelmäßige Arbeitszeiten, keinen Nerv mehr haben, jeden Tag „schaffen“ zu gehen. Wenn man sich einschränkt, geht es ja auch ohne oder zumindest mit weniger Arbeit oder einem „chilligeren“ Job. 

Fazit, die vielen fehlenden Arbeitskräfte sind nicht alle ausgewandert oder während der Pandemie verstorben, sie haben ihre Einstellung, ihren Alltag, ihre Sichtweise verändert.

Wenn es also in Zukunft nicht mehr diese zwei fleißigen Mitarbeiter bei meinem Bäcker um die Ecke gibt, muss ich mir wohl in Zukunft nicht nur weiterhin meine Brötchen verdienen, sondern sie wohl auch noch backen.