Es war 1994. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Mein Vater hatte Überstundengeld ausgezahlt bekommen und wollte uns etwas Gutes tun. Die Idee war, irgendwo hinzufliegen und einen gemeinsamen Urlaub zu verbringen. Andere hätten sich mit dem hart erarbeiteten Geld eher etwas Persönliches, etwas für sich selber gegönnt. Aber auf diese Idee wäre mein Vater gar nicht gekommen. Und das Tollste daran war, ich durfte mir überlegen, wohin die Reise gehen sollte.
Es sollte auf jeden Fall eine Flugreise werden. Damals war man noch auf Kataloge und Reisebüros angewiesen. Also wurden zu Hause fleißig die Möglichkeiten sondiert. Mir fiel dann schnell etwas ins Auge. Ich muss leider sagen, ich war schon immer recht anspruchsvoll. Mein Wunschziel war Fuerteventura, Robinson Club, all-inclusive, 14 Tage.
Das war natürlich nicht gerade ein Schnapper, aber meine Eltern waren schnell zu überzeugen. Es war eine tolle Reise, tolle 14 Tage, an die ich mich sehr gerne erinnere. Natürlich gab es, wie in Clubs dieser Art, einen Club-Song. Aber nicht nur einen für Erwachsene, sondern auch einen für Kinder. Der Kindersong hieß „Das singende Känguru“ von Volker Rosin. Wer Kinder hat, kennt es vielleicht. Der Refrain lautet: „Hör gut zu, hör gut zu, jetzt kommt das springende Känguru. Hör gut zu, hör gut zu, dem singenden und springenden Känguru.
Diese Lied-Zeilen und das niedlich Springen der Kinder sind mir bis heute im Gedächtnis geblieben und kommen immer wieder im Alltag hervor. Nicht irgendwann, sondern in bestimmten Situationen höre ich das Lied plötzlich in meinem Unterbewusstsein.
Damit alle verstehen, was ich meine. Das Wort ZUHÖREN hat laut Wikipedia folgende Bedeutung: Zuhören bedeutet, dass zum rein körperlichen Vorgang des Hörens zusätzlich die Aufmerksamkeit auf das akustische Signal gerichtet wird. Neben der akustischen Botschaft würden auch visuelle Reize sowie Informationen über die Schallquelle und die soziale Situation verarbeitet.
Nun habe ich in den letzten Jahren das Gefühl, dass der Mensch die Kunst des Zuhörens entweder mehr und mehr verloren hat, oder diese Fähigkeit bewusst ignoriert.
Es gibt ja verschiedene Alltagssituationen, in denen das Zuhören erwartet wird, oder auch nicht. Mir hat mal jemand gesagt, wenn Du keine Erwartungen hast, wirst Du auch nicht enttäuscht. Wenn mir jemand erzählt, dass die Tochter der Frau seines Schwagers Corona hatte und komplett symptomfrei geblieben ist, höre ich maximal mit einem Ohr zu, da ich keinen der Aufgezählten überhaupt kenne.
Wenn ich die Nachrichten höre, höre ich mit beiden Ohren zu, könnte wahrscheinlich das Meiste auch anschließend einigermaßen wiedergeben.
So gibt es viele verschiedene Situationen, in denen man gefordert wird, zuzuhören. Der Klassiker ist die Frage: „Wie geht’s?“ Ich gebe zu, es gibt Menschen, denen ich die Frage maximal zweimal stelle, dann möglichst nie wieder. Es folgt dann nämlich ein Referat sämtlicher Krankheiten. Viele davon kenne ich gar nicht und möchte auch möglichst nichts darüber erfahren. Viele, ich würde sogar sagen, die Meisten, stellen diese Frage nur, weil ihnen so schnell keine andere eingefallen ist. Beantwortet man diese Frage nämlich tatsächlich ehrlich, wird man entweder nach 30 Sekunden unterbrochen und bekommt zu hören, wie es dem Gegenüber eigentlich geht, den man ja noch gar nicht gefragt hat, oder man wird stehen gelassen mit seiner Antwort.
Noch häufiger ist es, wenn man mit mehreren an einem Tisch sitzt und versehentlich die Frage gestellt wird, „wie geht es Dir, was macht die Arbeit“. Man fängt also an zu erzählen, man freut sich über das Interesse und möchte einige Dinge einfach mal loswerden, bis dann eines der Kinder unterbricht mit: „Papa, muss ich die Wurst aufessen?“
Der Vater beruhigt seinen Jungen, denn natürlich muss er diese nicht aufessen. Die Mutter mischt sich ein und hält einen kurzen Vortrag, wie ungesund es ist, täglich Fleisch zu essen. So entsteht ein Gespräch zwischen den Dreien und man selber ist gespannt, ob man aufgefordert wird, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. Dann kommt die ersehnte Frage: „Wo waren wir stehengeblieben?“ Man fühlt sich wertgeschätzt und sagt sich innerlich, wie schön es doch sein kann, wenn jemand zuhören kann. Dann sagt der Vater: „Wir waren beim Thema Fleisch“!
Meinen Satz spreche ich dann selbstverständlich nicht zu Ende, war mir eigentlich aber schon nach wenigen Minuten sicher, dass meine Probleme kaum jemand hören möchte. Schade eigentlich.
Nun habe ich es gelernt und auch daraus gelernt, es anders zu machen. Ich versuche, es gelingt zugegebener Maßen nicht immer, Menschen, die mir wichtig sind, intensiv zuzuhören und mir auch zu merken, was gesagt wird. Erzählt die Person also, die nächste Blutuntersuchung findet am kommenden Dienstag statt, setze ich mir oft einen Termin als Erinnerung und frage nach. Natürlich, weil es mich ehrlich interessiert, aber auch, um der Person zu zeigen, dass sie mir viel wert ist.
So gibt es in meiner näheren Umgebung Menschen, die sich, auch wenn es bereits Wochen her ist, merken, was sich gerade in meinem Leben ereignet und nachfragen. Darüber freue ich mich dann immer sehr und weiß es zu schätzen.
Allerdings habe ich das Gefühl, die Zahl derer, die tatsächlich zuhören können, statt nur über sich selber zu monologisieren, immer kleiner wird.
Und immer, wenn ich wieder diese Situation erlebe, höre ich es: „Hör gut zu, hör gut zu“…
Habt Ihr zugehört bzw. gelesen?
Zwei Fragen im Anschluss: Wann war ich auf Fuerteventura und seit wann schreibt man Känguru ohne „h“?
Das Lied dazu könnt Ihr Euch gerne einmal anhören. Vielleicht bleibt das ja auch bei Euch hängen. Zu finden ist es hier!