Ich kann nicht behaupten, dass ich ein Mensch bin, der sehr gerne mit vielen anderen Menschen „auf Tuchfühlung“ geht. Klar, ich nehme Menschen, die ich gerne mag, zum Beispiel zur Begrüßung in den Arm. Also ich spreche natürlich von Zeiten vor der Pandemie. Aber dass ich nun ständig Leute gedrückt habe, ob ich sie nun gut kenne oder nicht, das war nie so mein Fall. Manchmal kann man sich ja schlecht wehren oder es würde einfach unfreundlich aussehen, aber ehrlich gesagt, generell gerne habe ich das nie gemacht.

Ich habe immer an unseren Aufenthalten in den USA geschätzt, dass die Amerikaner generell einen gewissen Abstand zueinander wahren. Kommt man sich versehentlich im Supermarkt einmal ungewollt doch näher, wird sich gleich entschuldigt und sofort wieder Abstand genommen.

Seit Corona ist das hier bei uns ja auch zwangsläufig so. Klar, bei dem einen oder der anderen fehlt mir das „Geknuddel“ schon. Aber generell mag ich eben nicht, wenn mir jemand zu sehr auf die Pelle rückt. 

Als wir 2019 unsere beiden Konzertkarten für James Blunt in der Barclaycard Arena gekauft hatten, ahnten wir nicht, dass wir am 14.03.2020 nicht live dabei sein würden. Denn Corona machte uns einen Strich durch die Rechnung. Das Konzert wurde dann im Laufe der Zeit immer wieder verschoben, am Ende stand der Termin fest, 2.4.2022

Als der Tag näher rückte, begannen auch meine Zweifel lauter zu werden. Ich dachte an den Anfang der Pandemie. Die Straßen waren leer, die Geschäfte teilweise geschlossen. Zu der Zeit drehten wir fast täglich eine Runde am Wasser. Wir hatten die Wege fast für uns alleine. Und nun, zusammen mit etwa 10.000 anderen Menschen unter einem Dach! Wie würde es mir dabei gehen? In den letzten zwei Jahren habe ich immer Abstand zu anderen gehalten, immer aufgepasst, dass ich niemanden und mir keiner zu Nahe kommt. 

Würde die Halle tatsächlich voll werden oder haben viele Angst oder Bedenken und lassen ihre Karte verfallen? Wie wird es für James Blunt sein? Eine Befreiung oder eine Zwangsveranstaltung? Vorschrift war die 3G-Regel. Wie wird es sein, wenn man durch eine Maske mitsingen möchte? Wird die Vorschrift eingehalten? Fragen über Fragen, die ich mir stellte. 

Nicht auf das Konzert zu gehen, das kam für uns überhaupt nicht in Betracht. Ich hatte es schon sehr vermisst, das Konzert, das Kino, das Theater. James Blunt, der seit 17 Jahren on Tour geht, ist für mich ein besonderer Künstler. Dass ich seine Musik und seine Stimme mag, versteht sich von selber. Aber ich mag ihn als Menschen sehr, da er so unkompliziert und bodenständig geblieben ist. Er scheint immer noch „einer von uns“ zu sein. Der sich nicht zu wichtig nimmt und dem eine Jeans und ein T-Shirt reicht, um sich auf der Bühne wohlfühlen. Der immer alles gibt. Dem man seine Emotionen einfach abnimmt. Der mich mit seinen Songs tief im Herzen berührt. Bei dem Gedanken freute ich mich schon auf das Konzert und meine Bedenken lösten sich langsam auf. 

Zwei Stunden vor dem Konzert waren wir bereits auf dem Weg zur Halle. Schließlich wussten wir nicht, wie lange der Einlass dauern würde. Impfzertifikat und Ausweis samt Ticket mussten vorgezeigt, der Sicherheitscheck durchlaufen werden. 

Aber alles war komplett unkompliziert und es war sehr, sehr leer. Als wir in der Halle waren vertrieben wir uns noch ein wenig die Zeit, um dann auf unsere Plätze zu gehen. Die Halle war etwa zu 25 Prozent gefüllt. Und auch wenn die Besucher einem immer wieder etwas näher kamen, fühlte ich mich nicht unwohl. Alle trugen eine Maske. Auch auf den Plätzen war es Vorschrift. Daran hielten sich natürlich eine Menge Zuschauer nicht, meinten, sie wären etwas Besseres und ignorierten die Anweisung völlig selbstverständlich. Nicht gerade solidarisch und in meinen Augen eher asozial. Entweder alle oder gar keiner. Was solls.

Die Zeit verging und die Halle füllte sich immer mehr. Gegen 19:30 Uhr waren fast alle Plätze, soweit ich das sehen konnte, besetzt. 10.500 Besucher hatten anscheinend ebenfalls etwas vermisst. Das Publikum komplett gemischt. Von jung bis alt. Das finde ich bei Konzerten immer besonders schön. 

Gegen 19:45 Uhr kam dann eine Vorgruppe, besser gesagt, eine junge Frau mit ihrem Gitarristen. Emily Roberts. Eigentlich bin ich nicht so ein Fan von Vorgruppen, man will einfach nur den Künstler sehen, für den man hergekommen ist. Das verzögert nur den Auftritt. Aber schon öfter musste ich mich eines Besseren belehren lassen. Und so auch in diesem Fall. Die junge Frau, die völlig selbstverständlich die Bühne betrat und sich als gebürtige Hamburgerin vorstellte, hatte natürlich dadurch schon halb gewonnen. Aber ihre Präsenz und Unbekümmertheit gefielen mir sofort. Sie erzählte aus ihrem Leben als wären wir alle Freunde. Wenn sie jetzt noch singen kann, ist sie ein Volltreffer vor James Blunt, dachte ich.

Was soll ich sagen, sie kann. Mit ihrer kräftigen und facettenreichen Stimme gelang es ihr, die Halle zu füllen. Es machte Spaß, ihr zuzusehen und zuzuhören. Als sie dann ihren Song „Radio“ sang, sorry, heutzutage heißt es ja „performte“, hatte sie viele in den Bann gezogen und neue Fans gewonnen. Ich war einer davon. Hört Euch den Song mal an (klickt hier). Geht einem schwer wieder aus dem Kopf! 🙂 

Als dann danach James Blunt auftrat, waren endgültig die letzten Bedenken verflogen. Von dem Moment an dachte niemand mehr an Corona. Selbst die Maske war plötzlich gefühlt immer weniger vorhanden. Klar, höre sich schon etwas schräg an, wenn alle bzw. die Meisten durch eine Maske singen, aber das hat nicht gestört. Je länger das Konzert dauerte, umso lockerer wurde das Publikum. Das zweite Drittel wurde dann endlich mal wieder ausgiebig im Stehen oder eher gesagt Tanzen lautstark mitgesungen. Was für ein schöner Moment. Ein Moment, den ich lange vermisst hatte. Ein Moment, der noch vor einer Weile etwas eher normales war. Nun war er zu etwas ganz Besonderem geworden. 

Der Mensch ist nicht zum Alleinsein geboren. Und was wir gestern noch als selbstverständlich wahrgenommen habe, kann morgen um so mehr geschätzt werden. 

Ein Abend, an den ich mich noch lange erinnern werde.

 

 

PS: Ich wünsche Emily Roberts auf ihrem Weg viel Erfolg!