Es gibt Dinge, die vergisst man einfach im Laufe des Lebens. Dass man sich an Dinge, also Gegenstände, irgendwann nicht mehr erinnern kann, ist oft mehr als ärgerlich. Das kann kurzfristig passieren, nach dem Motto, wo ist meine Brille, wo ist mein Schlüssel, wo ist der Zettel mit der Telefonnummer, die ich mir gestern extra aufgeschrieben habe. 

Zum Glück gibt es heutzutage Hilfe bei der Suche. Mein Haustür- und Autoschlüssel sowie mein Portemonnaie habe ich schon öfter mal verlegt. Das kann mir aber jetzt kaum noch passieren. Dank modernster Hightech, werde ich wie von Zauberhand daran erinnert, wenn ich zum Beispiel mein Portemonnaie an der Kasse des Supermarktes liegen lasse. Denn entferne ich mich von meinem Ersparten, obwohl Bargeld habe ich eigentlich kaum noch dabei, dann erhalte ich eine Nachricht auf meinem Mobiltelefon und kann anhand einer Karte sehen, wo ich es habe liegen lassen. Auf dem Weg dorthin wird mir exakt der Ort angezeigt, wo ich es vergessen habe. Ist es vielleicht heruntergefallen, kann ich einen Ruf über mein Handy starten, höre den Piepton und voilà, da liegt es. Hat es jedoch in der Zwischenzeit jemand eingesteckt und ist damit außer Reichweite, dann nützt mir mein geliebter „AirTag“, wie Apple ihn nennt, auch nichts. 

Es gibt also Möglichkeiten, Dinge wiederzufinden, wenn man sie oder deren Ort vergessen hat.

Gerade habe ich einen Bericht gelesen, dass Forscher entdeckt haben, dass das visuelle Kurzzeitgedächtnis gar nichts anderes zulässt, als Dinge zu vergessen. In einem Artikel der FAZ, bereits von 2004, heißt es: Die Speicherkapazität eines am visuellen Kurzzeitgedächtnis beteiligten Hirnareals ist extrem begrenzt. Daher werden Einzelheiten komplexer optischer Eindrücke häufig schnell wieder vergessen, berichten J. Jay Todd und René Marois von der Vanderbilt-Universität in Nashville in der Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Nature“ (hier gehts zu dem Artikel…).

Das erklärt natürlich einiges. Das heißt, Einzelheiten komplexer optischer Eindrücke werden schnell vergessen. Ich frage mich nun, gilt das nur für Gegenstände oder auch für Menschen?

Wenn ich überlege, hatte ich in meiner Kindheit jede Menge Freude, an die ich regelmäßig gedacht habe und die ebenso regelmäßig an mich gedacht haben. Im Laufe des Lebens tauscht man diese Freunde, zumindest eine Menge davon, ob man will oder nicht, gegen andere ein. Man könnte sie auch „Lebensabschnitts-Freunde“ nennen. Sie begleiten einen für ein Stück des Lebens, einige länger, andere nur kurz.

Ist man dann irgendwann erwachsen, fängt eine Ausbildung an oder startet sonst wie seine Kariere, kommen neue Freunde dazu. Auch diese begleiten einen ein Stück des Weges. Spätestens, wenn diese, oder man selbst, einen Partner finden bzw. findet, endet dieser Weg oft oder er wird so ausgedünnt, dass man sich immer seltener und manchmal dann gar nicht mehr trifft. Die Verbindung reißt ab. 

Dann gibt es auf der einen Seite die Menschen, die versuchen, die Freundschaften zu halten und sich immer mal wieder melden, versuchen ein Treffen zu vereinbaren. Früher noch per Telefon, heutzutage schon wesentlich unpersönlicher, per WhatsApp. Ich erinnere mich noch daran, dass man früher einen Termin am Telefon vereinbarte und diesen dann auch mit Freude wahrgenommen hat. Heute wird der Termin mehrmals verschoben, natürlich ebenfalls per WhatsApp, bis er dann irgendwann gar nicht mehr stattfindet. Das geschieht gar nicht immer aus Boshaftigkeit oder Desinteresse, vielmehr aus Terminstress oder auch aus veränderten Prioritäten.

Viele freuen sich, wenn man sich bei ihnen meldet. Und wenn das Treffen dann zustande kommt, hat man viel Spaß und es ist fast wie in alten Zeiten. Ist diese tolle, gemeinsame Zeit dann wieder vorbei, herrscht wieder Funkstille und genau derjenige, der sich um das letzte Treffen gekümmert hat, muss erneut aktiv werden. Denn von der anderen Seite kommt nichts. Und so schön die gemeinsamen Stunden auch sind, irgendwann hat man einfach keine Lust mehr, immer der Aktive zu sein und die Freundschaft schläft langsam ein, sie schleicht aus. 

Ich habe genau zwei Freundinnen und einen Freund, die/den ich schon ganz viele Jahrzehnte kenne und zu denen ich nach wie vor, mehr oder weniger regelmäßig, Kontakt habe. Ich weiß, dass ich alle drei jederzeit anrufen und um Hilfe bitten könnte und sie würden in kürzester Zeit auf der Matte stehen. Umgekehrt gilt das natürlich genauso. Aber auch hier ist es so, dass es immer schwerer wird, sich mal zu verabreden. Neben der Arbeit hat jeder immer eine Menge um die Ohren. Trotzdem sollte es ja aber möglich sein, sich zumindest ab und an mal, und wenn es nur ein Stündchen auf ein Bier, eine Limonade oder ein Spaziergang ist, einen gemeinsamen Termin zu finden.

Als ich vor ein paar Tagen in der Firma war, hörte ich ganz in der Nähe eine Unterhaltung mehrerer Personen, dachte mir aber nichts dabei. Diese Produktvorstellungen finden ständig statt. Als ich aber dann auf dem Weg zur Toilette an dieser Gruppe vorbeiging, staunte ich nicht schlecht, als einer meiner langjährigen Lieferanten vor mir stand. Da dieser sich im Gespräch mit einem Kunden befand, grüßte ich zunächst einfach nur freundlich. 

Diesen Lieferanten kenne ich schon viele Jahre, vielleicht sogar mehr als ein Jahrzehnt. Auf jeden Fall sehr lange. Ich habe mich, soweit es mir möglich war, immer für ihn eingesetzt. Ihn immer fair behandelt, mich auch sehr privat mit ihm ausgetauscht. Als ich mich vor etwa einem Jahr bei ihm verabschiedete, da ich die Abteilung wechselte, wollten wir in Kontakt bleiben. Schließlich kommt er nach wie vor ab und an in die Firma. Es war eine Mischung aus Enttäuschung und Freude, ihn wiederzusehen, nach der langen Zeit. 

Zurück an meinem Schreibtisch hörte ich, wie er sich bei dem Kunden verabschiedete und anscheinend auch Richtung Ausgang ging. Ich war erschrocken, dass er es nicht einmal heute schaffte, mich zu begrüßen. Aber natürlich schätze ich ihn falsch ein und er kam zurück und setzte das Gespräch mit einem Kollegen fort. Kurze Zeit wurde das Gespräch allerdings erneut immer leiser und dieses Mal verschwand er tatsächlich. Kein „hallo“, kein „wie geht es dir“, kein „schön, dich zu sehen“. Natürlich hätte auch ich hingehen können. Aber dafür war ich wirklich zu enttäuscht. 

Dieser Vorfall hat mich an diesem Tag schwer getroffen, hat tief in mir für Traurigkeit gesorgt. Als ich meiner Frau am Abend davon erzählte, meinte sie nur, reg dich nicht auf, so sind die Menschen. Natürlich hat sie recht. Aber Traurigkeit und Enttäuschung kann man nicht einfach so abschalten. 

Ja, aber es stimmt leider, so sind die Menschen. Zum Glück sind aber nicht alle so.