Es ist fast genau 5 Jahre her, als ich meine erste Yoga Stunde absolvierte.
Meine Frau war damals schon Profi, kann sich verbiegen wie eine Brezel und wollte mich immer mitnehmen. „Ich kann das einfach nicht“, war immer meine Ausrede. „Ja, stimmt genau, darum sollst Du ja auch mitkommen“, bekam ich dann immer zu hören. „Das lernt man ja beim Yoga“.
Freitag Abend gab es immer eine Yin-Yoga-Stunde, die besonders entspannend sein sollte. Was ist Yin-Yoga, fragte ich mich. Also musste Google her. Es kommt von Yin und Yan, also ruhige und aktive Parts, bei denen besonders die Faszien trainiert werden. Die Asanas, ja, ich kann inzwischen „yogisch“, also die Übungen, werden einige Minuten gehalten und das meistens im Liegen.
Genau das Richtige für mich, dachte ich schon damals. Zur ersten Stunde bekam ich sogar meine eigene Yogamatte von meinem Lieblingsmenschen geschenkt. Stolz, aber auch etwas aufgeregt, ging ich also an diesem besagten Freitag zu meinem ersten Kurs. Natürlich war ich überpünktlich da, schließlich wollte ich auf keinen Fall der Letzte sein. So war ich bereits der zweite Teilnehmer. Ein junges Mädchen hatte es sich bereits gemütlich gemacht, lag mit geschlossenen Augen auf ihrer Matte. Leise, ich wollte natürlich nicht stören, rollte ich nun meine aus, selbstverständlich in der allerletzten Reihe an der Wand, und machte es auch mir bequem und schloss meine Augen. Viele Gedanken vom Tag, von der Woche, positive aber auch viele negative Gedanken kreisten in meinem Kopf. Sie ließen sich einfach nicht abstellen.
Kurze Zeit später kam auch Becca dazu und legte sich neben mich. Jetzt kann ja nichts mehr passieren, dachte ich. Schließlich kann ich bei einem Profi abschauen. Nach und nach füllte sich der Loft. Kann ich das? Blamiere ich mich? Ist das vielleicht meine erste und letzte Yogastunde, fragte ich mich leicht nervös. Pünktlich kurz vor Beginn der Stunde erschien dann auch „mein“ Yoga Lehrer, Carsten. Mit seinem offenen Blick, seinem herzlichen Lächeln, war er mir auf Anhieb sympathisch. Er schaute in die Runde, entdeckte einige neue Gesichter und sprach uns an. Jeder stellte sich vor und Carsten erzählte ein wenig, worum es in dieser Stunde gehen würde. Dann ging es los, mit einer Anfangsentspannung, Rückenlage, zugedeckt, Augen zu.
Von der ersten Sekunde, als ich seiner Stimme lauschte, fühlte ich mich entspannt. Ich kann es gar nicht beschreiben, ich fühlte mich sofort besser. Ich sollte meine Gedanken wie Wolken an mir vorbeiziehen lassen und tatsächlich funktionierte es. Ich war sofort begeistert.
Nach der Anfangsentspannung ging es in die erste Übung. „Bleibt auf eurer Matte, schaut nicht nach links und rechts, bleibt einfach bei euch. Ihr müsst jetzt nichts mehr beweisen, keine Ziele erreichen, ihr macht nur das, was euch und euren Körpern gut tut. Es gibt in dieser Stunde keinen Leistungsdruck. Wie ihr die Asanas auch durchführt, es gibt kein richtig und kein falsch“.
Diese Worte berührten mich, rührten mich, trafen mich tief in meinem Herzen und in meiner Seele. Sie entspannten sofort meinen Körper, meinen Geist, mein tiefstes Inneres. Wann hat das das letzte Mal jemand gesagt? Das ganze Leben besteht nur noch aus Leistungsdruck. Die Woche im Betrieb wird nur noch Hochleistung verlangt, man schaut ständig nach links und rechts und versucht, nicht überholt zu werden, nicht auf der Strecke zu bleiben. Und jetzt, von null auf hundert oder besser gesagt, von hundert auf null, plötzlich genau das Gegenteil. Mein Herz lachte, mein Atem wurde langsamer, mein Puls entspannte sich.
Nach jeder Übung, auch wenn es ständig irgendwo zog und ein leichter, aber wohltuender Schmerz zu spüren war, entspannte mich mehr und mehr.
Als Carsten dann durch die Reihen kam und bei einigen korrigierte, auch bei mir, spürte ich seine Leidenschaft, anderen etwas beizubringen. Er brauchte sich gar nicht anstrengen, seine positive Energie auf uns zu übertragen, dass passierte einfach automatisch.
Seine Art zu unterrichten, seine gewählten Worte, waren Balsam für die Seele. Es tat einfach gut.
Am Ende der Stunde kam dann Savasana, die „Totenhaltung“, was sich etwas gruselig anhört. Man liegt entspannt wie am Anfang auf dem Rücken, Arme und Beine gestreckt, und nach den Übungen komplett entspannt.
Die ersten Minuten in kompletter Stille, jeder bei sich. Mein „ständig plappernder Kopf“, wie unser Yogalehrer es formulierte, hatte tatsächlich Pause.
Mit einem sanften Gong wurden wir wieder geweckt und alle reckten und streckten sich, als wären sie andere Menschen als noch vor einer Stunde.
Im Schneidersitz wurde dann zum Abschluss in „Namaste-Haltung“, also Hände aneinander vor dem Herzen, den Kopf leicht gesenkt, eine Art Gebet aufgesagt. Als ich die Worte das erste Mal gehört habe, war ich abermals berührt. Sie klangen ehrlich und taten einfach gut.
Ich war begeistert. Es war einfach schön, es war unglaublich wertvoll. Freitag nach Feierabend, der perfekte Moment.
Von diesem Zeitpunkt versuchte ich keine seiner Yogastunden zu verpassen. In den Ferien gab es dann Vertretungen, auch diese waren entspannend und taten gut.
Aber alle waren kein Vergleich zu denen von Carsten, einem echten Yogi. Einem Menschen, der mit seiner Ausstrahlung und seiner Aura aus einer Yogastunde etwas ganz Besonderes gemacht hat. Eine Auszeit vom Alltag, Wellness für Körper, Geist und Seele. Nach der Stunde habe ich mich oft mit anderen Teilnehmern unterhalten und alle waren der selben Meinung. Es war jedes Mal eine Stunde, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte. Eine Stunde des Friedens.
Leider findet diese Stunde nun nicht mehr statt, was nicht nur mich, sondern auch viele andere sehr traurig macht. Aber wer weiß, Wünsche soll man ja haben und nie, nie sagen.
Namaste!