Ob man will oder nicht, jeder hat eine. 

Mancher eine große, andere eine riesige, wieder andere nur eine sehr kleine. Aber eines kannst Du nicht: Sie Dir aussuchen. Die Rede ist natürlich von der Familie. 

Wenn man diese schöne Erde betritt, hast Du in der Regel zumindest einen Vater und eine Mutter, die Du dann auch kennenlernst. Dazu kommen dann vielleicht noch Geschwister, Neffen und Cousinen, Onkel und Tante, Oma und Opa und vielleicht sogar Großeltern. Oftmals gehört mindestens noch ein Tier zu Deiner Familie. Damit meine ich aber weder Hund noch Katze oder Wellensittich, vielmehr das schwarze Schaf der Familie. Das ist aber kein Zwang. 

Wenn es dieses Schaf gibt, kann das Vor- und Nachteile haben. Die Nachteile sind, dass dieses Familienmitglied ein Störfaktor sein kann, der den Rest der harmonischen Familie und damit auch Dich, durcheinander bringt und gewaltig nervt. Vielleicht ist er sogar polizeilich auffällig oder einfach nur durch seine Art und Weise allen anderen unsympathisch. 

Der Vorteil kann aber sein, dass eventuelle Verfehlungen von Dir dann als gar nicht so schlimm angesehen werden und man das dann immer mit den viel schlimmeren Verunglimpfungen des ungeliebten Familienmitgliedes vergleicht und es dadurch entschärft wird.

Als Kind ist das Schönste an einer großen Familie, dass man immer mal wieder etwas geschenkt bekommt. Süßigkeiten werden einem zugesteckt, auch wenn die Eltern das vielleicht nicht gerne sehen, im Alter werden einem steigende Geldbeträge mit einem liebevollen Augenzwinkern in die Hand gedrückt und bei Geburtstagen und erst recht zu Weihnachten und zur Kommunion/ Konfirmation, weiß man die Vorteile einer großen Familie erneut zu schätzen. 

Wenn man Glück hat, sind da im Laufe des Erwachsenwerdens Mitglieder da, die Dir zur Seite stehen. Nicht materiell, vielmehr in Lebensfragen, die Dich als Heranwachsenden brennend interessieren und beschäftigen. Die dann ohne die Eltern fragen zu müssen, vom Onkel oder vielleicht auch der Oma beantwortet werden können. 

Zu besonderen Anlässen trifft sich die Familie. Es wird versucht, einen Termin zu finden, an dem möglichst alle Zeit haben. Das wird im Laufe des Lebens allerdings immer schwieriger. Einige Tage sind natürlich gesetzt und das Datum nicht verhandelbar. Ein Geburtstag zum Beispiel ist ja immer am gleichen Tag. Darauf kann man sich (eigentlich) einstellen. Trotzdem wird es nach und nach schwerer, alle zusammenzubekommen. 

Irgendwann, wenn dann bereits der erste Nachwuchs da ist, passen vielleicht nicht mehr alle auf das Familienfoto, was die nette Kellnerin mit den fünf verschiedenen Mobiltelefonen versucht anzufertigen, nachdem sie bei der Spiegelreflexkamera gekonnt den Weitwinkel entdeckt hat. Man muss enger zusammenrücken. Doch dann gelingt es.

Enger zusammenrücken muss man aber ab einer gewissen Zeit oft auch, weil der Weitwinkel nicht mehr benötigt wird. Die Zeit, in der immer mehr Mitglieder „produziert“ wurden, ist irgendwann vorbei und schlägt ins Gegenteil um. Lücken auf den Fotos müssen geschlossen werden. Gerade noch hat man sich über den Nachwuchs des Bruders oder der Cousine gefreut, muss man jetzt das Fortgehen der Oma verkraften. 

Im Laufe der Jahre haben dann viele immer mehr um die Ohren und können nicht an dem Treffen teilnehmen. Trotzdem werden hier und da dann wieder durch neue Generationen und deren Nachwuchs die Reihen geschlossen oder zumindest halbwegs aufgefüllt, während sich die Anzahl der Mitglieder, die dem Verein schon lange angehören, immer mehr verringert. 

Irgendwann ist dann der Tag gekommen, wo man sich alte Fotos anschaut und erinnert. Man hofft dann, dass diejenigen, die bereits vorgegangen sind, auf uns warten und vielleicht sogar an diesem Tag auf eine andere Art und Weise anwesend sind.

Ich kann mich noch sehr gut an meine Kindheit erinnern. Ich hatte Omas, nicht wirklich einen Opa. Ich hatte Onkel und Tanten, natürlich meine Eltern und einen Bruder. Als Kind hatte ich nicht immer Lust, mit meinen Eltern meine Oma oder meinen Onkel und meine Tante zu besuchen, das gebe ich zu. Als man noch klein war, hat man einfach gespielt, irgendeiner hat immer mitgemacht. Als Teenager hatte ich dann immer weniger Lust, an Familientreffen teilzunehmen. Nun waren wir auch keine so große Familie. Sich zu unterhalten fiel mir eher schwer, dafür war ich einfach zu schüchtern. 

Irgendwann kam aber dann der Moment, wo ich wieder gerne zu meiner Oma gefahren bin. Schließlich hatte ich ja nur die eine vor Ort. Da war noch die einer oder andere mehr, allerdings entweder nicht in der Nähe oder der Kontakt war nicht so da, die Verbindung fehlte. 

Ich weiß noch wie heute, auch wenn es Jahrzehnte her ist, als meine liebe Oma von uns ging. Ich war wochenlang traurig, es war mein erster wirklich schwerer Verlust. Natürlich sollte es nicht der Letzte bleiben. Jetzt könnte man meinen, man gewöhnt sich vielleicht irgendwann an diese Verluste, aber das Gegenteil ist der Fall. 

Heute kann ich meine Familie an einer Hand abzählen, aber leider ist durch die Entfernung der Kontakt eher versiegt. Einen Cousin habe ich noch in unmittelbarer Nähe, aber auch hier trifft man sich, wenn überhaupt, mal zufällig.

Zusammengefasst besteht meine eigene Familie nur noch aus meiner Mama. Daher versuche ich sie auch zu hegen und zu pflegen wie eine Blume. Und auch, wenn sie keine Ähnlichkeit mit einem Kaktus hat, wünsche ich mir manchmal, sie wäre einer. Die können ja schließlich steinalt werden.

Ein Trost ist es, dass meine Frau über eine sehr, sehr große Familie verfügt. Klar, für mich sind es ja eigentlich wildfremde Menschen, die ich ohne meine Frau nie kennengelernt hätte. Aber in letzter Zeit zähle ich sie mehr und mehr auch zu meiner eigenen. Sie ist offen, herzlich, unkompliziert und einfühlsam. Sie freut sich, wenn ich an einem Treffen teilnehme, was ich nicht immer getan habe. Warum nicht? Keine Ahnung! 

Erst vor ein paar Tagen waren wieder erneut, mehr oder weniger, alle zusammen. Natürlich kann man sich nie mit allen unterhalten. Aber das ist auch gar nicht schlimm. Es reicht schon, wenn man auch nur ein gutes und intensives Gespräch führen konnte. 

In einer Zeit, in der, zumindest gefühlt, die meisten Menschen viel mehr mit sich selber beschäftigt sind und gar kein wirkliches Interesse an dem Gemütszustand des anderen haben, ist es um so wichtiger, unsere sehr begrenzte Zeit mit den Menschen zu verbringen, die man schätzt und von denen man auch geschätzt wird. 

Ich kann nur allen raten, haltet Euch Eure Familien warm, solange Ihr sie habt. Genießt die Zeit, solange sie da ist. Verschiebt auch mal einen Termin, denn sooft bekommt man nicht die Gelegenheit, sie zu sehen. 

Irgendwann steht man im schlimmsten Fall alleine da. Dann hat man aber immer noch die unbezahlbaren Erinnerungen, die man für immer in seinem Herzen tragen kann.