Viele von uns waren im Leben bereits einmal gehandicapt. Also haben sich zum Beispiel ein Körperteil gebrochen und mussten erfahren, wie belastend das sein kann. Manchmal reicht es ja bereits, wenn man sich nur in den Finger geschnitten hat. Das Pflaster hält dann oft nicht, komischerweise muss man dann ständig genau diesen Finger benutzen und fühlt sich unrund, eben leicht behindert.

Dass ich 2015 auch dieses Gefühl kennenlernen musste, habe ich bereits vielen in den Jahren erzählt. Nicht, weil ich unbedingt immer danach gefragt wurde, nein auch, weil die Geschichte und wie und wo es passiert war, wie soll ich sagen, schräg war. 

Nur ganz kurz dazu: Im Urlaub, eigentlich die schönste Zeit des Jahres, lief ich an einem Strand in Florida, aber nicht lange. Becca filmte mich dabei, ich wollte einmal aussehen wie David Hasselhoff in Baywatch. Die neue Zeitlupenfunktion meines iPhone musste ausgenutzt werden. Nach einigen Metern hatte ich das Gefühl, jemand schlägt mir eine Axt in meine rechte Wade bzw. darunter. Dem war zum Glück nicht so, aber wie sich dann Wochen später herausstellte, war meine Achillessehne in diesem Moment gerissen, und das echt kompliziert. Wen es interessiert und wer es noch nicht gesehen hat, es gibt ein Live-Video und die gesamte Geschichte dazu. Kannst Du Dir hier anschauen!

Als ich nach Hause kam und dann irgendwann später endlich das Ergebnis feststand, wurde ich operiert. Die nächsten Wochen hieß es dann ständig den Verband bei meinem Arzt wechseln zu lassen und dann auch zur Reha zu humpeln. Der Arzt sagte mahnend zu mir, wenn ich mit dem Fuß versehentlich auftreten sollte, wird es höchstwahrscheinlich sofort wieder reißen. Also war das Gehen an den Gehhilfen ein ewiger Eiertanz, sehr, sehr unangenehm. 

Ich hatte zunächst gehofft, dass mich abwechselnd mal der eine und mal der andere Kollege kurz zur Reha fahren würde. Dem war leider nicht so. Mit dem Taxi wäre es zu teuer geworden, also machte ich meine erste Erfahrung als temporär leicht behinderte Person im öffentlichen Nahverkehr. Ich muss zugeben, als der Bus hielt, hatte ich eine leichte Panikattacke. Der Bus war brechend voll und ich konnte von Glück sagen, dass ich überhaupt hineinkam. Gleich hinter der Eingangstür stand ich nun da, hielt mich krampfhaft an der Stange fest. Einmal auftreten und sie reißt erneut, hörte ich es in meinen Kopf immer wieder sagen. Auf halber Strecke erbarmte sich dann eine Mitfahrerin und fragte mich mitleidig, ob ich ihren Platz haben möchte. Erleichtert nahm ich das Angebot an.

Dieses war meine erste und letzte Fahrt in meiner eingeschränkten Situation mit dem Bus. Auf dem Rückweg nahm ich ein Taxi und beschloss, die knapp vier Kilometer zukünftig zu Fuß zu gehen, bzw. zu humpeln. Bei Wind und Wetter zog ich mich also entsprechend an, für einen Schirm fehlte mir die dritte Hand, Rucksack auf, Kopfhörer rein und losging es. Vier Kilometer hin und vier wieder zurück. 

Dabei musste ich erst einmal lernen, wie uneben doch unsere Fußgängerwege sind. Unfassbar, was man so alles sieht, wenn man die Augen meistens nach hinten gerichtet hat. Im wahrsten Sinne des Wortes schräg. Zu Hause dann wieder angekommen, war die dritte Etage mit den beiden Gehhilfen jedes Mal eine Herausforderung. Eine Hand am Treppenlauf, in der Anderen eine Gehhilfe, wohin mit der Anderen so lange. Teilweise habe ich sie immer eine Etage hochgeworfen, teilweise extra einen Gürtel mitgenommen und wie Pfeil und Bogen über meinem Rücken getragen, es war jedes Mal ein Akt. Bis mir dann mal eine Therapeutin zeigte, dass man die zweite „Krücke“ einfach waagerecht in die Hand nimmt, mit der Anderen zusammen. Einfacher gehts gar nicht, wenn man es weiß. 

Dann kam der Tag, an dem bei unserem Schlemmermarkt eine Verköstigung stattfand. Wir hatten bereits lange Zeit vorher Karten gekauft und ich hatte mich sehr darauf gefreut. Die ganze Zeit dort zu stehen, war aber keine Option. Also kamen wir auf die Idee, mir einen Rollstuhl auszuleihen. Ein lieber Kollege kümmerte sich sofort darum und schon stand dieser bei uns im Treppenhaus. Becca mich also dort hingefahren. 

Vor dem Eingang hatte sich bereits eine Schlange gebildet. Als man zu mir zurückschaute, machte man sofort Platz und lies uns vor. Natürlich wusste ich das zu schätzen, aber es war mir äußerst peinlich und unangenehm. Ich wollte keine Extrawurst! Doch das konnte man ja auch nicht so sagen und so kamen wir schnell in den Laden. Hätte ich gewusst, dass es so voll werden würde, hätte ich abgesagt. Ständig schaute ich auf irgendwelche Beine und Popos vor mir. Ich kam mir so klein und bemitleidenswert vor, es war einfach schrecklich. Becca rollte mich dann auf meinen Wunsch in eine etwas freie Ecke, schlenderte durch den Laden und brachte mir kleine Leckereien und einiges an Getränken zum Probieren. Mir wollte aber an dem Abend nichts schmecken. Ich fühlte mich in dieser sitzenden Position schrecklich. Keiner konnte ja etwas dafür, dass alle nach unten schauen mussten und ich nach oben. Einige Male wurde ich natürlich auch übersehen und angerempelt. 

Es dauerte nicht lange und wir machten uns auf den Weg nach Hause. Der Rollstuhl war zwar eine gute Idee, aber ich konnte es einfach nicht. Hilfsbereitschaft war da, aber das wollte ich gar nicht. Lieber wäre ich wie ein gehender Mensch behandelt worden. Natürlich war das alles nett gemeint und ich wusste es auch zu schätzen, aber es war unangenehm. 

Ebenfalls 2015 passierte einer Spitzensportlerin, Rekordhalterin im Stabhochsprung und Leichtathletin, bei einem Trainingssprung ein tragischer Unfall. Sie landete statt auf der Matte auf dem Einstichkasten, und zwar mit dem Hals. Der fünfte Wirbel der Halswirbelsäule war gebrochen und seit dem ist sie querschnittsgelähmt. Ihr Name ist Kira Grünberg. Als ich das im Fernsehen sah, war ich zutiefst geschockt und musste weinen. Mein lächerliches Erlebnis dagegen war plötzlich gar nicht mehr erwähnenswert. 

Seit ihrem Unfall folge ich ihr in den sozialen Medien. Kira Grünberg hat nie aufgegeben, ganz im Gegenteil. Seit 2017 ist die in der Politik als Abgeordnete und Vorbild für ganz viele Menschen. Es gibt so viel zu überwinden für Menschen mit Einschränkungen. Sei es die eine Stufe vor dem Supermarkt oder die Toilette im Untergeschoss beim Arzt. Trotzdem nehmen sie die Herausforderungen täglich an und stecken nicht ihren Kopf in den Sand. Ich habe einen minimalen Bruchteil für einen Tag selber erlebt, und war in dieser Situation schon komplett überfordert. Danach wusste ich, wie gut es mir geht. Denn meine Verletzung war nach ein paar Monaten wieder so gut wie verheilt. Aber es geht auch anders. Darum bewundere ich Menschen, die dauerhaft in dieser Situation sind und das verrückte ist, sie sind glücklich. Das können wir vielleicht gar nicht nachvollziehen, daher zitiere ich hier einen kürzlich auf Instagram veröffentlichen Original-Kommentar von Kira: 

Oft werde ich gefragt, wieso ich meistens glücklich und positiv gestimmt bin und selten schlechte Tage habe. Da stellt sich dann mir die Frage, wieso so viele Menschen denken, dass man als Mensch mit Behinderung nicht glücklich und optimistisch sein kann? Klar ist es nicht immer einfach, mit einer Behinderung zu leben, das möchte ich auch gar nicht leugnen. Es macht das Leben manchmal komplizierter, aber nicht zwingend unglücklicher. Und wenn ich mal traurig bin, dann liegt es nicht zwingend an meiner Behinderung, sondern daran, dass ich ein Mensch bin. Ich versuche einfach das Beste zu tun, mit dem, was ich habe. Versuchen wir das denn nicht alle? (Link zum Beitrag hier!) 

Ich bewundere diese Frau. Ein Vorbild für viele Menschen mit Einschränkungen. Ein Vorbild für jeden von uns. 

Selbstverständlich hat sie recht. Aber ich denke auch, Menschen mit einer Behinderung haben natürlich im Alltag einige Hindernisse zu überwinden. Aber warum spricht man ihnen ab, glücklich sein zu können? Das Recht haben wir nicht. Und die Hindernisse sind vielleicht oftmals gar nicht das Schlimmste an der Situation. Viel mehr, dass Du und ich Menschen mit einem Handicap nicht wie jeden anderen auch behandeln. 

Aber das steht ihnen zu!