Homeless

Homeless

Ist diese Zeit nicht eine der Schönsten im ganzen Jahr. Überall leuchten Lichterketten, überall schimmern Kerzen, die Einkaufszentren erstrahlen im Glanz der weihnachtlichen Farben. Menschen mit Tüten und Paketen unter dem Arm, leuchtende Kinderaugen, der Duft nach gebrannten Mandeln liegt in der Luft. 

Freunde, die sich wieder auf Weihnachtsmärkten treffen, der Glühwein in der Hand, der Tannenbaum steht bereits auf dem Balkon und wartet sehnsüchtig darauf, Dein Wohnzimmer zu schmücken. 

Die Pläne, wer wann bei wem zum Essen eingeladen wird, stehen, die ersten Geschenke sind bereits verpackt. Das Weihnachtsessen ist bestellt, überall erklingt Weihnachtsmusik, die Gesichter der Menschen, soweit man das mit den Masken im Moment erkennen kann, sehen um ein vielfaches fröhlicher aus, als gerade noch im November. 

Weihnachten steht vor der Tür. Alles scheint mehr oder weniger perfekt zu sein. 

Allerdings gibt es im Leben immer Menschen, die auf der Strecke bleiben. Die durch ein Raster fallen, die in einer Parallelwelt zu leben scheinen. Mit denen man sich ungerne befasst, erst recht nicht zu dieser schönen Jahreszeit. Klar, man nimmt das ganze Jahr aus dem Augenwinkel Notiz von ihnen. Aber eigentlich stören sie nur den Anblick, sind lästig. 

Wenn man nach einem harten Arbeitstag gestresst, abgekämpft und völlig erledigt auf dem Weg nach Hause ist und in Gedanken den Tag noch einmal Revue passieren lässt oder sich bereits für den nächsten, harten Tag, der vor einem liegt, mental vorbereitet, dann reisst sie einen oft aus der eigenen Welt. Die Frage: „Haben sie mal ein bisschen Kleingeld?“ 

Wir haben in unserer Gegend einen, wie soll ich ihn nennen, Penner, Obdachlosen, Bettler?

Ich weiß ja gar nicht, ob er obdachlos ist. Er sitzt oder nein, er steht fast den ganzen Tag vor einem Supermarkt und spricht mit genau diesem Satz die Menschen an. Er ist behindert, kann nicht gut laufen, humpelt. Zusammen mit seinem Hund steht er Tag für Tag an der selben Stelle und bettelt. Oft bin ich genervt. Wenn er fragt, würde ihm am liebsten sagen, „wie wäre es denn mit arbeiten statt hier den ganzen Tag herumzulungern und die Leute anzubetteln“!

Aber ich ignoriere ihn einfach, gehe wortlos an ihm vorbei. Er scheint aber eine kleine Fangemeinde zu haben. Immer wieder kann ich beobachten, wie der Eine oder die Andere sich mit ihm unterhält und ihm etwas zusteckt. Mal Geld, mal etwas zu Essen oder sonst etwas. Richtig ätzend finde ich es, wenn er bei uns in der Strasse seiner Notdurft nachkommt. 

Aber irgendwie ist es schon schräg, dass er wirklich fast jeden Tag da steht. Nur im Dezember ist er dann verschwunden. Dann verlagert er sein „Geschäft“ in die Haupteinkaufsstraße und breitet sich dort aus. Klar, da gehen dann viel mehr Menschen vorbei, seine Einnahmen anscheinend gerade zur Weihnachtszeit sind dann höher. Blöd ist er nicht. 

Gruselig sind dann „seine Kollegen“, die oft ausschauen, als kämen sie alle aus einer Familie. Sie haben alle ebenfalls einen Hund dabei, der ebenfalls auf einer Decke liegt. Alle dieser Hunde liegen gleich, auf dem Rücken oder auf der Seite, eine Pfote unnatürlich auf dem Körper eines zweiten Hundes, als wären sie betäubt. Das finde ich ganz schlimm. 

Und dann gibt es diese Art Obdachlosen, die einem wirklich richtig leid tun. Menschen, die so ausschauen, als bräuchten sie Hilfe, als hätten sie tatsächlich Hunger. Oft ältere Menschen, die zerbrechlich und ausgelaugt aussehen. 

Bis vor einer Weile war ich immer davon überzeugt, in Deutschland braucht niemand zu betteln und niemand draußen zu schlafen, der das nicht möchte. Klar, es gibt ja auch Obdachlose aus Überzeugung. Die wollen sich einfach nicht helfen lassen, wollen keine Wohnung, brauchen „die Freiheit“.

Aber nach einer Veranstaltung, bei der für Organisationen für Obdachlose geworben wurde, berichtete man davon, dass es tatsächlich auch in Deutschland eine Menge Menschen gibt, die einfach durch das Raster fallen. Job verloren, eine Krankheit, ein Schicksalsschlag, schon kann die Miete nicht mehr bezahlt werden. Es dauert sicherlich, bis man auf der Straße landet. Aber die Gefahr ist real.

Unfassbar der Gedanke, dass man nur noch das besitzt, was man bei sich trägt. Dass man nicht weiß, wann man das nächste Mal etwas essen kann, trotz Hunger zu stolz ist, sich etwas geben zu lassen. Abends nicht weiß, wo man schlafen soll. Und das bei der Kälte!

In den USA habe ich ganze Straßenzüge sehen müssen, die von Obdachlosen bewohnt waren. Aber auch in Deutschland scheinen es immer mehr zu werden. Vielleicht hat auch Corona seinen Beitrag dazu geleistet.

Der Gedanke, dass es auf der einen Seite Menschen gibt, die gar nicht wissen, wohin sie mit ihrem Geld sollen und auf der anderen Seite, mitten in Europa, mitten in Deutschland, wieder andere kein Geld haben, sich eine warme Mahlzeit zu leisten. Das macht einen schon sehr nachdenklich. 

Vielleicht sollte man, gerade in der kalten Jahreszeit, über seinen Schatten springen und zumindest mal einen zweiten Kaffee kaufen und diesen dem Frierenden in die Hand drücken, der sich das nicht leisten nicht kann. Oder tatsächlich etwas Kleingeld schenken.

Die Welt wird man damit nicht retten. Aber einen kleinen Beitrag kann sicherlich jeder leisten. 

 

 

 

Photo by AR on Unsplash