Als ich heute meinen neuen Lieblingstee „Hygge“ aufbrühte, musste ich das Wort tatsächlich doch noch einmal googeln. Ja, ich wusste bereits, dass es in Dänemark verwendet wird und dort auch entstanden ist und etwas mit Gemütlichkeit zu tun hat. 

Und immer wieder, wenn ich mir die verschiedenen Definitionen erneut durchlese, bekomme ich ein wohliges Lächeln im Gesicht. Ein Lächeln, gepaart mit dem Verlangen, hygge zu sein. Dieses Wort wird übrigens hier beim Schreiben immer wieder korrigiert, es ist nicht bekannt, noch nicht. Vielleicht wird es aber auch in Deutschland nie bekannt werden, was sehr schade wäre. 

Also für alle, die dieses Wort noch nie gehört haben oder einfach nichts damit anzufangen wissen, hygge gehört zur dänischen Tradition und wird dort von vielen gelebt. Zusammengefasst bedeutet es, mit sich und seinen Lieben gut umzugehen und das Leben zu schätzen wissen und es genießen. Es sich gemütlich machen, mit Kerzen, Kuscheldecken, Freunden und der Familie. Alle negativen Gedanken vorbeiziehen zu lassen und sich auf Positives zu konzentrieren. Es sich so angenehm wie möglich machen und den Moment und die Zeit zu genießen. 

Hört sich das nicht fantastisch an? Alleine bei dem Gedanken wird mir wohlig und warm ums Herz. Abschalten und entspannen, es sich in angenehmer Kleidung gemütlich machen, etwas leckeres kochen, im Kreise seiner Lieben oder vielleicht auch nur zu Zweit oder gar alleine. So wie es geht, so wie es passt. Ganz ohne Stress, ohne Zwang, ohne einen Blick auf die Uhr zu werfen. 

Das möchte ich auch! Kann man das lernen? 

Die Dänen und allgemein die Skandinavier scheinen uns oft einen Schritt voraus zu sein. Bei uns scheint immer alles hektisch zu sein, immer alles geplant, der Blick auf die Uhr ist ständig da. 

Was ist eigentlich Zeit? Kann man sie anfassen? Kann man sie kaufen, vor- oder zurückspulen? Wer hat wie viel Zeit und warum muss man überhaupt immer nach der Zeit gehen, immer auf die Uhr schauen? Warum muss man sich selbst Stress machen, in dem man Tag für Tag nach dieser Zeit lebt?

Es geht eigentlich im Leben 24 Stunden nur um die Zeit. Ein Leben lang. Wir stehen im Normalfall mit dem Wecker auf. Zumindest, wenn wir arbeiten müssen. Er klingelt gefühlt generell zu früh, selten zu spät. Manchmal liegt man, bevor der Wecker klingelt, wach und kann einfach nicht mehr einschlafen. Meistens, wenn einen irgendwelche Gedanken beschäftigen. Hat er erst einmal geklingelt, verlängert man die Schlafzeit oft noch einmal etwas, um dann aufzustehen. Nach dem Duschen oder frischmachen wird gefrühstückt. Reicht die Zeit dafür, wie lange habe ich? Meistens muss das Frühstück einigermaßen schnell gehen, denn der erneute Blick auf die Uhr sagt einem, es wird Zeit zur Arbeit zu kommen.

Ist man erst einmal da, schauen oft andere auf die Uhr, ob man auch pünktlich erschienen ist. Diese freundlichen Menschen schauen meistens aber nicht erneut auf die Uhr, wenn Du länger als nötig in der Firma bist, das ist dann normal. Zwischendurch schaust Du natürlich immer mal wieder auf Deine Zeiger, um zu sehen, wann die nächste Pause ist oder warum sich diese Zeiger gefühlt in der Firma oft viel langsamer drehen, als in Deiner Freizeit. 

Feierabend, ab nach Hause. Du hast noch einen Termin, möchtest noch zum Sport, hast einen Kurs dort, schnell wieder auf die Uhr schauen. Beim Arzt musst Du warten und dass schon seit 30 Minuten, sagt Deine Uhr! Zuhause angekommen schauen dann vielleicht schon wieder andere auf die Uhr, wo Du so lange gesteckt hast. Und ehe Du Dich versiehst, schaust Du schon wieder auf die Uhr, weil Du schon wieder auf dem Sofa eingeschlafen bist und gar nicht weißt, wie spät es ist. Und das wiederholt sich alles täglich erneut.

Doch dann zeigt Dir Deine Uhr endlich ein langersehntes Datum an. URLAUB! Endlich mal eine Weile ohne auf die Uhr schauen zu müssen. Aber ist das wirklich so? OK, Du kannst ausschlafen, den Wecker ausschalten. Doch wirst Du wach, schaust Du doch schon wieder auf die Uhr. Du willst ja nicht den ganzen Urlaubstag verschlafen, es ist schon spät genug. Frühstück in aller Ruhe, ohne Uhr, herrlich. 

Los gehts an einen Ort Deiner Wahl. Fährst Du mit dem Auto, kannst Du es entspannt angehen. Aber um 19 Uhr musst Du da sein, Candle-Light-Dinner steht auf dem Plan. Im Hotel dann schon wieder beeilen, schnell noch eine Saunarunde vor dem Essen. 19 Uhr, Du sitzt mit Deinem Lieblingsmenschen pünktlich am Tisch, Entspannung ist angesagt. Herrlich, kostbar und selten. 

Am nächsten Tag kann schon wieder nicht mehr geschlafen werden, solange Du willst. Die Frühstückszeiten müssen eingehalten werden. Um 8 Uhr noch eine Runde Pool, hoffentlich ist der nicht so voll. Nach dem Frühstück kommt dann endlich wieder eine Uhren-unabhängige Zeit. Aber die hält nicht lange vor. Um 20 Uhr ist der Tisch reserviert. 

So gehen die Tage vorbei. Eine Mischung aus Entspannung und Abhängigkeit. Abhängigkeit von der Uhr, selbst im Urlaub, wenn auch wesentlich weniger als im Alltag. Ist der Urlaub dann schon wieder rum, grüßt bereits das nächste Murmeltier. Alles geht wieder von vorne los. 

Und wo ist jetzt Deine Hygge-Zeit? Vielleicht sollten wir uns alle vielmehr mit dem Thema Hygge beschäftigen. Vielleicht sind wir alle einfach viel zu abhängig von der Zeit. Vielleicht kann man mit einem Hygge-Tag in der Woche starten und es langsam lernen. Denn selbst Rentner haben ja nie Zeit. Darauf zu freuen, wäre dann auch nicht sinnvoll.

Lasst uns alle mehr hygge werden. Vielleicht ist es gar nicht so schwer. Und ganz sicher ist es gesünder. Vielleicht werden wir dadurch tatsächlich auch älter und haben dadurch mehr Zeit. Denn eines ist sicher, die Zeit wird immer wertvoller, je weniger davon noch übrig ist! 

Also, lasst uns hygge sein! 

PS Heute, am 3.11.2021, war ich hygge. Ich war in der Sauna, ganz alleine. Als ich mein Handtuch ausbreitete und meine Hand gerade die Sanduhr umdrehen wollte, wurde ich plötzlich hygge. Wozu jetzt auch hier noch auf die Uhr schauen, dachte ich plötzlich. Wenn mein Körper meint, er möchte an die frische Luft, wozu also dann auf eine Uhr schauen. Die kann mir nicht sagen, was ich fühle, empfinde. Also habe ich die Uhr dieses Mal nicht umgedreht, mich hingelegt und einfach entspannt. Wenn es schon mal ohne Zeitdruck geht, dann bitte schön auch ausnutzen! 🙂 Herrlich!

 

An dieser Stelle möchte ich mich einmal bei den treuesten Lesern meiner Blogbeiträge bedanken. Das ist zum einen meine Mama und auch Evi, Bine und Angelika. Es freut mich sehr, dass Euch meine Beiträge hier gefallen und motivieren mich jede Woche aufs Neue. 

Danke oder auf dänisch, tak!

 

 

 

 

 

 

Photo by Elena Koycheva on Unsplash