„Reg Dich doch nicht auf“, höre ich immer mal wieder meine Frau zu mir sagen. Ja, sie hat ja recht. Aufregen ist eigentlich reine Zeitverschwendung, oder etwa nicht? Nein, manchmal ist Aufregung angebracht und ich habe wirklich den Eindruck, eigentlich regt man sich viel zu selten auf!
OK, Aufregung ist ungesund. Der Blutdruck steigt, das Herz rast vielleicht sogar, man ist angespannt und fühlt sich unwohl. Nicht, dass man noch einen Herzinfarkt bekommt. Anscheinend ist aufregen auch nicht mehr „in“!
Auf der einen Seite könnte man denken, wenn dem so ist, gibt es auch keinen Grund, sich aufzuregen. Aber ist alles harmonischer geworden? Haben wir einfach keinen Grund mehr, uns aufzuregen oder haben wir es einfach verlernt? Ich denke, Letzteres ist leider der Fall!
Wer kennt noch das Spiel, welches vor langer Zeit total angesagt war. Die Lemminge. Kleine Männchen, die alle hintereinander herliefen. Egal, ob die Brücke oder der Weg ein großes Loch hatte, alle liefen hintereinander direkt ins Verderben.
Es gibt sehr viele Situationen, bei denen ich mich aufregen könnte, aber es auch schon meiner Frau zu Liebe, versuche, zu umgehen. Als mein Puls aber vor ein paar Tagen erneut in die Höhe schoss, kam ich ins Grübeln. Nicht aufregen, dachte ich mal wieder. Aber die Situation, über die ich mich aufregte, war damit ja nicht aus der Welt, hatte sich nicht erledigt, sondern war nach wie vor zum Aufregen.
Anscheinend geht es aber nicht nur mir so. Entweder man hat einen Partner, der einen liebevoll „zurückpfeift“, oder man redet selber auf sich ein und sagt sich, reg dich doch nicht so auf, das ändert doch rein gar nichts, schadet nur DEINER Gesundheit. Und genau darin liegt meiner Meinung nach das Problem.
Viel zu wenig Menschen regen sich noch auf, was im Umkehrschluss bedeutet, man will keinen Ärger, man will sich nicht streiten, man ändert dadurch nichts, sollen sich doch andere beschweren, schließlich will man sich nicht unbeliebt machen.
Aber kann das das Ziel sein?
In meiner Schulzeit mussten wir einmal ein Zitat von Friedrich Hebbel interpretieren. Es heißt: „Jedenfalls ist es besser, ein eckiges Etwas zu sein, als ein rundes Nichts“.
Damals in der Schule wusste ich damit noch nichts anzufangen, heute schon. Und je länger ich darüber nachgedacht habe, um so mehr ist mir eingefallen, über dass ich mich alles ärgern kann.
Ausschlaggebend war folgende Situation. Vor einigen Wochen wurde die gesamte Straßenseite vor unserem Haus aufgerissen. Warum wurde nicht erklärt. Die Anwohner mit einem kurzen Schreiben zu informieren, ist anscheinend zu viel verlangt. Ist ja nicht schlimm. Auch, wenn sich alle wundern, es wird ja sowieso hingenommen. Schnell war man sich einig, es werden Leitungen für schnelles Internet verlegt, egal, ob man dieses nutzen möchte oder auch nicht. Ist ja auch nicht so schlecht, also dann doch kein Grund sich aufzuregen.
Aufreger Nummer eins allerdings war, dass die gesamte Straße auf einmal aufgerissen wurde. Sämtliche Parkplätze der ohnehin schon wenigen sind damit erst einmal blockiert. Bei näherem Nachdenken hatte ich dann Autobahnen und Landstraßen vor Augen. Kilometer lange Baustellen, an denen auf, wenn überhaupt, zehn Prozent tatsächlich gearbeitet wird. Der Rest wird völlig umsonst wochenlang (oder noch länger) blockiert. Alles verzögert sich, Staus entstehen, es nervt, aber niemand macht etwas dagegen. Das war doch schon immer so, bekommt man dann zu hören. Damit haben wir uns anscheinend alle abgefunden.
Aufreger zwei: Ein angeblicher Telekom-Mitarbeiter wollte neue Verträge verkaufen, ging von Tür zu Tür. Konnte gar nicht verstehen, wenn man nicht auf sein Angebot einging und lies sich kaum abwimmeln. Möchte gar nicht darüber nachdenken, wie viele ältere Nachbarn darauf hereinfallen. Einmal gegoogelt, schreibt die Telekom, dass keine Mitarbeiter von ihnen von Tür zu Tür gehen, um irgendetwas zu verkaufen. Theoretisch hätte man nun die Polizei rufen müssen, aber ich soll mich ja nicht aufregen.
Aufreger drei. Nachdem die Baustelle auf unserer Seite fast fertig ist, es müssen allerdings die Steine wieder montiert werden, wird bereits die andere Seite, wieder die komplette Straße, aufgerissen. Natürlich werden durch die Baufahrzeuge und die Baustelle nun ca. 70 % der Parkplätze blockiert. Nicht einmal Platz, um kurz zu halten und seine Einkäufe auszuladen, ist vorhanden. Das muss doch anders gehen.
Nun könnte ich diesen Blogbeitrag endlos weiterschreiben. Sicher hat jeder seine Aufreger, wenn er richtig darüber nachdenkt. Und ganz sicher denken die Meisten ähnlich, es lohnt sich nicht, sich aufzuregen, man will persönlich keinen Ärger, es ändert sich sowieso nichts.
Das zieht sich wie ein roter Faden. Sicherlich ist bei vielen dort, wo man am meisten Zeit verbringt, auch nicht alles so, wie es sein könnte oder müsste. Viele erzählen mir immer wieder, dass in vielen Betrieben ausschließlich „von oben“ entschieden wird. Mitspracherecht Fehlanzeige. Aber warum aufregen, war doch schon immer so. Ändern lässt sich auch hier nichts, ist die Meinung der Meisten. Man will sich einfach nicht unbeliebt machen und keinen Ärger bekommen.
Ich bin mir sicher, man muss sich ab und an mal aufregen. Sicher nicht wegen jeder Kleinigkeit, aber bei Dingen, die sich lohnen, schon! Und das sind, bei näherer Betrachtung, mehr als man im ersten Moment denkt. Man muss es ja nicht alleine austragen, sondern kann sich organisieren. Wenn zum Beispiel aus Profitgier ganze Häuserblöcke abgerissen, Entschuldigung, „zurückgebaut“ werden sollen, dann ist es spätestens an der Zeit, sich darüber aufzuregen und etwas dagegen zu unternehmen! Nicht falsch verstehen, nicht alles lohnt sich, darüber aufzuregen. Aber Fahrradfahrer ohne Beleuchtung, mit dicken Kopfhörern auf den Ohren, die plötzlich vor Deinem fahrenden Auto auftauchen oder das letzte Postamt, das in Deinem Ort schließt, das sind Dinge, die mich aufwühlen.
Schaut man mal zu unseren Nachbarn nach Frankreich zum Beispiel, dort wird ständig auf die Straße gegangen, um gegen den einen oder anderen Unmut anzugehen. Man muss einfach nicht alles hinnehmen!
Wir haben verlernt, unsere Meinung zu äußern, weil wir am liebsten unsere Ruhe haben wollen. Aber immer nur den geraden Weg nehmen, ist weder für uns noch für unsere Mitmenschen förderlich. Natürlich kann man viele Dinge ändern.
Man muss sich nur trauen. Mit Mut und Entschlossenheit kann man Berge versetzen. Und es muss ja wie gesagt nicht alleine sein. Gemeinsam lässt sich fast alles schaffen. Einfach mal darüber nachdenken!