Schwimmen

Wahrscheinlich besteht der Wunsch, fliegen zu können, seit es Menschen gibt. Etwas konkreter wurde es dann aber mit Leonardo da Vinci, als dieser ebenfalls den Traum vom Fliegen hatte. Bereits 1483 beobachtete er die Vögel und versuchte, ihnen nachzuempfinden und bastelte immer wieder an Flughilfen. Leider war es ihm nicht vergönnt, wie ein Vogel durch die Lüfte zu fliegen.

Spätestens seit Karlsson auf dem Dach wollte ich natürlich als Kind auch sehr gerne schwerelos durch die Lüfte gleiten. Aber zu dieser Zeit ist man noch nicht mal in ein Flugzeug gestiegen. Man hat seine Urlaube per Auto mit den Eltern verbracht. Fliegen war für die meisten unerschwinglich.

Aber einmal nicht auf dem Boden stehen zu müssen, sondern diesen unter sich zu lassen, auf dem Bauch oder Rücken liegend, durch die Lüfte zu gleiten, ist für jeden möglich. OK, vielleicht nicht durch die Lüfte, aber fast ohne etwas tun zu müssen auf dem Wasser liegen und nach unten auf den Grund schauen, das ist schließlich möglich. Und das liebe ich ganz besonders. Es ist fast ein Gefühl wie fliegen. Ich liebe es zu schwimmen. Am allerliebsten in einem warmen Pool. Bei uns in Deutschland ist das Wetter und damit die Wassertemperatur ja nie so, dass man nicht nach kurzer Zeit auskühlt. Klar, das Meer ist im Sommer auch eine tolle Sache und auch das liebe ich. Aber der warme, kuschelige Pool ist mir noch am liebsten.

Wenn wir also in den Urlaub fahren, egal wohin, schauen wir immer, ob das Hotel einen Pool bietet. In Florida, unserer zweiten Heimat Fort Lauderdale, hat unsere Villa Venezia einen kleinen Pool, der so richtig schön einladend ist. Man kann von dort direkt auf einen der kleinen Wasserkanäle schauen. Ein Traum! 

Nach unserem Walk am frühen Morgen von ca. ein bis zwei Stunden geht es immer eine Runde in den Pool. Danach gibt es dann Frühstück, das man sich dann aber auch wirklich redlich verdient hat. Oft sind wir ganz alleine im Pool, es gibt nichts Schöneres. Der ist auch nicht so groß, viel mehr als vier, fünf Personen sollten es nicht sein, zumindest nicht, wenn diese auch schwimmen wollen.

Im Laufe der Jahre sind mir beim Schwimmen viele Dinge aufgefallen. Dinge, die man auf den jeweiligen Menschen schließen kann. Dinge, die zeigen, was für ein Mensch Du vielleicht im Alltag bist. 

Wenn Becca und ich morgens eine Runde schwimmen wollen, denke ich bereits darüber nach, lange bevor wir den Pool erreicht haben, wie voll er wohl sein wird. Nichts ist schlimmer, als auf einen vollen Pool schauen zu müssen, der kein Platz mehr für einen hat. Man steht da wie bestellt und nicht abgeholt. Ist das aber erst einmal überwunden oder nicht der Fall, gehts nach einer kurzen Dusche rein ins kühle oder besser noch, warme Nass. Herrlich. Gerade jetzt wieder, als wir vor kurzem im Harz waren, war es dann wieder so weit. Becca macht sich vorher so gar keine Gedanken, wie voll es sein könnte. Ich kann gar nicht so schnell schauen, schon ist sie drin und schwimmt ihre Bahnen. 

Nun kommt es auf die Bahn an. Ich bin eher der „Außenbahnschwimmer“, wenn fremde Personen ebenfalls im Pool sind. Ich schwimme dann direkt an der Kante, komme mit dem Fuß schon immer mal gegen die Wand, weil ich mich, wenn es voller ist, möglichst klein mache. Becca schwimmt ihre Bahnen, ohne übertriebene Rücksicht. Bei unseren Begegnungen muss ich dann manchmal schon schauen, dass ich keinen Fuß im Vorbeischwimmen in den Magen bekomme. 

Dann gibt es fast immer den oder eher die Schnellschwimmerin. Das ist dann meistens eine Dame im mittleren Alter, mit Schwimmbrille. Diese hat jeden Tag ihre feste Bahn und man kann eigentlich nur schauen, dass man ihr nicht zu Nahe kommt. Rücksicht ist meist eher ein Fremdwort. Das Trainingsprogramm wird absolviert, komme, was wolle. 

Dann gibt es die „Simulanten-Schwimmer“. Diese erkennt man meistens schon, wenn sie die ersten zwei Bahnen geschwommen sind. Spätestens dann wird sich hingestellt und unterhalten. Zwischendurch wird dann noch die eine oder andere Runde „gegangen“, nach spätestens 15-20 Minuten ist dann Schluss, dann gehts wieder raus. 

Dann gibt es oft noch die Lautschwimmer. Die unterhalten sich dann zwischendurch mit ihrem Partner so laut, dass man selbst unter Wasser immer noch die Hälfte versteht. Sie fallen meist auch nach kurzer Zeit auf, wenn sie versuchen im Wasser zu kraulen, was sie aber nicht wirklich können und mit den Füßen planschen, wie ein alter Kutter.

Während des Urlaubs haben die Meisten immer ihre Schwimmzeit. Man kann sich täglich auf sie verlassen. So hatten wir im letzten Urlaub auch die junge, rothaarige Frau, die immer genau ihre Bahn hatte, als wir kamen. Als sie dann plötzlich weg war, viel es sofort auf. 

Auffällig ist es, dass eine Situation mich immer an eine Fahrstuhlfahrt erinnert. Sobald man aneinander vorbeischwimmt, schaut man woanders hin, nur nicht der Person in die Augen schauen. Wie im Fahrstuhl, wo alle meistens auf den Boden schauen. Ich schaue gerne, treffe aber fast nie ein paar andere Augen. 

Im Harz konnte ich dann noch einen ganz neuen „Schwimm-Charakter“ kennenlernen. Sie kam auch nur einmal. Am Schwimmbecken vorbei, auf den Boden schauend, an Ihrem Badeanzug zupfend. Dann verdeckte sie ihre langen, blonden Haare unter einer Badekappe und kam ins Wasser. Sie erinnerte mich optisch an Paige Vanzant, als sie in ihrem Alter gewesen sein muss. Alle nicht Kampfsport begeisterte müssen den Namen sicherlich erst einmal googeln. Ihre Unsicherheit war ihr deutlich anzumerken, was mir richtig leid tat. Äußerlich gab es dafür gar keinen Grund, aber natürlich kann man in keinen Menschen hineinschauen. Sie schwamm dann da, wo gerade Platz war und wollte niemanden in die Quere kommen. Beim Vorbeischwimmen war sie aber diejenige, die mir, wenn auch sehr schüchtern, in die Augen schaute und ein wenig lächelte.  

Um das Ganze nun auf den Alltag umzusetzen, ergibt sich daraus folgende Erkenntnis für mich. Es gibt Menschen mit sehr starkem Selbstbewusstsein, sehr schüchterne Menschen, Menschen, die sehr viel, oftmals zu viel, Rücksicht auf die Umwelt nehmen und sich über alles viel zu früh einen Kopf machen. Menschen, die nicht immer alles so ernst nehmen, Hauptsache dabei. Sehr disziplinierte Menschen, die ihren Plan durchziehen und schüchterne Menschen, die es vielleicht dadurch etwas schwerer im Alltag haben. 

Schade, dass wir es oft verlernt haben, andere Menschen anzusehen, ihnen in die Augen zu schauen, Ihnen vielleicht sogar ein Lächeln zu schenken, auch wenn wir sie gar nicht kennen. Dass wir verlernt haben, mehr Rücksicht aufeinander zu nehmen, aber auch manchmal mehr an sich selber zu denken. 

Mit der gesunden Mischung wären wir alle richtig davor.