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Der unbeliebte Deutsche

L’Allemagne deux points

Wenn man diesen Satz in der jüngsten Vergangenheit gehört hat, zu Deutsch, Deutschland zwei Punkte, gab es ja fast schon einen Grund zum Jubeln. Die Rede ist natürlich vom Grand Prix Eurovision de la Chanson oder wie es heute heißt, Eurovision Song Contest.

Jedes Jahr findet diese oft etwas schräge Veranstaltung statt und jedes Jahr sage ich, dieses Jahr schauen wir das aber nicht. Trotzdem hängt man dann wieder vor dem Fernseher und genau wie im Jahr zuvor geht man, wenn man Deutscher ist, gefrustet ins Bett.

Aber es ist ja nicht so, als hätten wir bei dieser Großveranstaltung noch nie gewonnen. 1982 gewann Nicole mit dem Titel „Ein bisschen Frieden“. Irgendwie passte der Inhalt anscheinend in die Zeit und Nicole als 17-jähriges Mädchen hat dann wohl doch einige dazu bewegt, über ihren Schatten zu springen, um uns Punkte zu schenken. 

Genau wie 2010. Da trat die völlig unvoreingenommene und vollkommen natürliche Lena Meyer-Landrut im Alter von 19 Jahren für Deutschland an. Mit ihrer „unverbrauchten“ und bezaubernden Art zappelte sie einfach auf der Bühne ein wenig herum und präsentierte ihren Song. Bei dem Anblick musste man einfach begeistert sein und auch der Song von Stefan Raab war ja auch wirklich nicht schlecht. 

Soweit die Ausnahmen. In vielen anderen Jahren war es aber so, egal, wer aus der Heimat geschickt wurde, fiel bei den meisten Zuschauern, bei den meisten Ländern, durch. Man hat das Gefühl, Deutschland gönnt man einfach keinen Erfolg. Natürlich zahlen wir für die Veranstaltung mit die meisten Gebühren, gehören wir ja auch zu den größten Ländern der EU. 

Wir sind ein Land, dass mit vielen Milliarden Euro andere Länder unterstützt. Wo auch immer Hilfe benötig wird, Deutschland ist ganz vorne dabei. Geld, das wir eigentlich selber gar nicht haben. Aber mit Geld kann man sich anscheinend keine Freunde kaufen.  

Aber wenn wir schon unbeliebt sind, wenn es um Musik geht, wie ist es denn dann beim Thema Sport?

Egal, ob es sich um eine EM oder WM handelt, egal, ob es sich um ein Qualifikations- oder Freundschaftsspiel beim Fußball handelt, die Deutschen schlagen, das ist das Ziel. Und ganz egal, ob die Mannschaften bereits ausgeschieden sind oder in der Vorrunde kein Tor und keinen Punkt erzielt haben, gegen Deutschland gibt jeder oder jede noch einmal alles. Denn auch wenn es für die Gegner nur noch um die „goldene Banane“ geht, es geht um die Ehre. Und bei einem Gegner wie Deutschland steht ein Sieg da ganz oben auf der Liste. So wird um jeden Ball gerannt, selbst wenn man schon stehend k.o. ist. Es wird durchgehalten, auch in der 128. Minute während der Verlängerung. Vorher noch jedes Spiel verloren, jetzt geht man über seine Grenzen. So ist es immer wieder zu beobachten. 

Stelle Dir einmal vor, Du hast das eigene Land satt. Schließlich ist das Wetter bei uns ja nicht so dolle und viele Dinge laufen hier anscheinend immer mehr aus dem Ruder. Du beschließt, in wärmere Gefilde zu ziehen. Da bietet sich doch unser „siebzehntes Bundesland“, Mallorca, an. Die Menschen sind entspannter, es lebt sich angenehmer. Du kannst Dich verständigen, schließlich sprechen viele Deine Sprache und so lebst Du als Auswanderer und holst nach und nach auch Deine Familie nach. 

Nun kommen Deine alten Landsleute und spielen gegen Deine Wahlheimat, Spanien gegen Deutschland also. Dadurch, dass so viele Deutsche auf Mallorca leben oder Urlaub machen, ist das Stadion natürlich komplett in deutscher Hand. Kannst Du Dir jetzt vorstellen, dass Spanien über 90 Minuten von den Deutschen ausgepfiffen wird?

Nein? Ich auch nicht. 

Eine andere Mannschaft auszupfeifen, egal, wo auf der Welt, egal bei welcher Sportart, ist in meinen Augen ein absolutes No-Go. Das ist nicht nur unsportlich, das ist ein trauriger Skandal. 

Wer das Spiel Deutschland gegen die Türkei, oder besser gesagt, die Türkei gegen Deutschland gerade im Fernsehen verfolgt hat, schaute vielleicht genauso verwundert wie ich. Wobei für mich der eigentliche Skandal war, dass weder die Reporter, die das Spiel mit toller Stimmung kommentiert haben, noch andere das wirklich verurteilt haben. Stell Dir einmal vor, es wäre umgekehrt gewesen. Europaweit hätten bestimmt einige Zeitungen die Unsportlichkeit und den Rassismus der deutschen Zuschauer angeprangert. 

Die interessante Frage ist ja, warum mögen uns die Türken denn so gar nicht. Ist es die Lebensart, sind es die Menschen, die Werte oder nur das schlechte Wetter? Unser Land ist ja ein sehr offenes Land. Fast jeder kann zu uns kommen und braucht oftmals auch nie wieder zu gehen. Jeder kann entscheiden, wieder in seine Heimat oder sonst irgendwo auf dieser Welt zu gehen. Es wird niemand gehalten. 

Also, wenn man ein Land anscheinend dermaßen verachtet, warum bleibt man dann hier? 

Bei uns kann man es sich wirklich gutgehen lassen. Ob man nun arbeitet oder nicht, die arbeitende Bevölkerung sorgt gerne dafür, dass man sich bei uns wohlfühlt. Und zu den Türken hat man ja schon sehr lange ein besonderes Verhältnis.

Zum Beispiel gibt es seit 1964 das Deutsch-Türkische Sozialabkommen. Das regelt die Bereiche Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung. Es sieht vor, dass in Deutschland krankenversicherte Arbeitnehmer ihre Angehörigen kostenlos über die normale Familienversicherung absichern können. Ganz egal, ob die Familie in Deutschland oder in der Türkei lebt. Das ist doch nach wie vor eine nette Geste, wie ich finde, oder ein Grund ausgepfiffen zu werden?

Laut dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales versichern knapp 10.100 Allgemeinversicherte in Deutschland ihre Familie in der Türkei mit. Hinzu kommen knapp 19.200 Rentner, die in Deutschland versichert sind, aber in der Türkei leben (Zahlen von 2018).

Diese Sozialabkommen hat Deutschland übrigens mit 19 weiteren außereuropäischen Ländern abgeschlossen. 

Zum Glück geht es unseren Rentnern ja sehr gut, alle haben ihr Auskommen, können entspannt ohne viele Abzüge in Rente gehen. Besonders nach 45 oder 50 Arbeitsjahren kann man sich verdientermaßen zur Ruhe setzen. Kaum jemand benötigt Sozialleistungen oder muss gar zur Tafel. 

Man sollte doch meinen, ein so offenes und großzügiges Land, in dem man nicht mal zur Arbeit gezwungen wird, sei auf der ganzen Welt beliebt. Ist es auch? Stimmt, aber anscheinend bei vielen Menschen, die hier ihre neue Heimat gefunden haben, nicht.