Der besondere Tag

Als meine Mum mir die freundlichen Zeilen ihrer Nachbarn vorlas, kamen sofort wieder Erinnerungen in mir hoch. Das junge Paar wollte den Schritt in die Ehe wagen und hatte sie und eine weitere Nachbarin eingeladen, an der kirchlichen Zeremonie teilzunehmen. 

Was für eine nette Geste, dachte ich und freute mich für sie. Das Besondere daran war, dass die Trauung in „unserer“ Kirche stattfinden sollte. Unsere Kirche, in der wir vor fast 20 Jahren (ok, etwas dauert es noch, bis die Zahl rund ist) das Ja-Wort gegeben haben. Und es ist auch „meine“ Kirche, in der ich bei meinem Frühstücksspaziergang, sooft es passt, einen Zwischenstopp einlege, manchmal eine Kerze anzünde und für einen kurzen Moment in Erinnerungen schwelge. Immer ein ganz privater Moment für mich, in dem ich die Kirche eigentlich immer für mich alleine habe. Ein Moment, in dem ich mich Gott manchmal etwas näher fühle. 

Das funktioniert natürlich nicht immer und auch nicht auf Knopfdruck. Mal passt es von der Stimmung, mal nicht. Mal ist der Kopf mit anderen Dingen voll, und mal sehnt man sich danach. Es ist immer ganz unterschiedlich.

Ich kann jetzt nicht von mir behaupten, dass es ein streng religiöser Mensch bin. Aber dass es Gott gibt, darum möchte ich doch stark bitten. Der Gedanke, dass da niemand ist, dass mit dem Tod alles endet, den blende ich oder besser gesagt, den versuche ich bestmöglich auszublenden. 

Unvorstellbar, ich stehe vor dem Himmelstor und niemand ist da, der mich eines Tages in Empfang nimmt. Nein, das darf natürlich nicht sein.

Meine Mum war schon ein paar Tage vorher ein ganz klein wenig aufgeregt. Die letzte Hochzeit, an der sie teilgenommen hat, war glaube ich unsere. 

Am Tag der Trauung haben wir beide zusammen den kurzen Spaziergang gemacht und neugierig kurz in der Kirche Halt gemacht. Neugierig, ob schon erste Anzeichen der Trauung vorhanden sind. Und tatsächlich wurden wir nicht enttäuscht. Es war bereits geschmückt und auch das erinnerte mich an unsere Trauung. 

Am Abend ließ ich noch einmal intensiv meine Gedanken zurückschauen. Ich nahm unser Hochzeitsfotoalbum und schaute es mir in aller Ruhe einmal wieder an. 

Ich musste daran denken, als ich in der Berufsschule einmal gefragt wurde, ob ich später heiraten wollen würde. Auf jeden Fall war meine Antwort. Auf die erneute Frage, in welchem Alter ich es mir denn vorstellen könne, erwiderte ich, so mit zwanzig etwa. Als ich das ausgesprochen hatte und dann bemerkte, dass ich zu der Zeit gerade 18 war, mussten wir schmunzeln, denn das wäre ja nicht mehr lange hin gewesen.  

Das hat dann doch noch einige Jahre gedauert. Aber damit soll man sich ja auch Zeit lassen. Schließlich hat Friedrich von Schiller einst geschrieben: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet, der Wahn ist kurz, die Reu ist lang“. 

Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist eine Heirat eine gewagte Angelegenheit. Man verspricht mit einer einst wildfremden Person sein Leben zu verbringen. Oftmals kennt man diese Person noch gar nicht lange und ist sich trotzdem sicher. Schon irgendwie außergewöhnlich. Natürlich hält das nicht in allen Fällen für die Ewigkeit. Meine Eltern waren weit über 50 Jahre verheiratet, hatten beide nur einen Partner. 50 Jahre würden wir theoretisch auch schaffen können, wenn wir gesund bleiben.

Traurig aber wahr, 2022 gab es gute 35 Prozent Scheidungen. Das ist schon eine erschreckende Zahl, finde ich. Aber am schönsten Tag des Lebens soll man an so etwas natürlich nicht denken. 

Wir haben damals mit dem Pastor besprochen, statt „bis der Tod uns scheidet“ lieber „solange wir leben“ zu wählen. Hört sich doch gleich viel hoffnungsvoller an. 

Unsere Hochzeit war wirklich sehr schön. Auf den Punkt genau war an diesem Tag das Wetter plötzlich schön, nachdem es die Tage zuvor ständig geregnet hatte. Alle waren mit guter Stimmung gekommen. Und auch, wenn unsere Luftballons, eigentlich sollten es Tauben werden, was aber zu dieser Zeit wegen einer Vogelgrippe nicht erlaubt war, teilweise an den Bäumen hängenblieben, statt gen Himmel zu fliegen, hat alles gepasst.

Bei der anschließenden Feier waren wir jedoch so aufgeregt, dass wir vom sorgfältig ausgewähltem Buffet kaum etwas zu uns nahmen. Das bedauern wir heute noch manchmal. Zwei Tage nach der Trauung ging es dann bereits auf Hochzeitsreise nach Kuba.

Wenn ich heute zurückblicke, sind zwei Erinnerungen immer wieder besonders präsent. 

Zum einen, der Moment, als die Glocken langsam verklungen waren und wir zwei alleine zusammen mit dem Pastor vor der Eingangstür der Kirche standen und der Pastor die Tür bewusst noch nicht öffnete und sagte: „Dieses ist ihr Moment. Genießen sie ihn noch einen Augenblick“. Ich bekomme jetzt noch eine Gänsehaut. Natürlich nutzen wir diesen Moment auch aus. Schließlich konnten die nur auf uns wartenden Gäste ja nicht weg.

Die zweite Erinnerung ist eine Momentaufnahme, von allen Teilnehmern, die nach der Trauung fröhlich mit uns zusammen vor der Kirche standen. Viele dieser damals Anwesenden, wichtige Menschen für uns, sind heute nicht mehr unter uns. 

Wie wertvoll, dass wir gemeinsam diesen wunderschönen Tag genießen durften.

Diesen Blogbeitrag widme ich, mehr oder weniger, unbekannterweise dem jungen Brautpaar Christina & Jona. Schön, dass Ihr an meine Mama gedacht habt. Ich wünsche Euch eine harmonische und erfüllte Ehe, solange Ihr lebt.