Die Zeit vergeht

Als ich noch nicht zur Schule ging, ja, das ist schon eine Weile her, hatte das Wort Zeit für mich so gar keine Bedeutung. Man stand auf, wenn man geweckt wurde oder wach wurde und hatte den Tag, mehr oder weniger, für sich. Man konnte spielen und frei in den Tag hineinleben. Auf die Uhr schauen musste ich in dieser Zeit nicht. Und es hätte auch nichts gebracht. Denn weder hatte ich eine eigene Uhr noch hätte ich sie lesen können. Eine Zeit, in der die Zeit keine wirkliche Rolle gespielt hat. Eine kurze Lebensphase, in der man nicht einmal genau wusste, was mit dem Begriff Zeit gemeint war. Muss das nicht herrlich gewesen sein? Ich kann mich kaum daran erinnern. 

Selbst 365 Tage konnte ich nicht abschätzen. Wenn mir eine Kerze angezündet wurde und meine Familie für mich gesungen hat, war wohl wieder mein Geburtstag gekommen. Hätte mich niemand darauf aufmerksam gemacht, hätte ich es gar nicht gemerkt. Zumindest die ersten Jahre nicht. Ich wäre dann auch gar nicht älter geworden. 

Eine Zeit, in der diese unser Leben nicht dominiert, was für ein Luxus. Was für ein Geschenk. Schade, dass man es nicht bewusst genießen konnte. 

Spätestens mit der Einschulung ist die Unwissenheit und Freiheit dann vorbei. Pünktliches Erscheinen war da nun Pflicht. Aber das war nur ein Grund, ab dann die Uhr lesen zu können. Die Pausen müssen natürlich eingehalten werden, wenn das Essen zu Hause auf dem Tisch steht, sollte man auch erscheinen und zum Training beim Fußball musste ich natürlich auch rechtzeitig sein. Ab dieser Zeit bestimmt die Zeit den Tagesrhythmus. 

Aber es gab ja auch noch die Ferien. Aber auch hier musste man planen. Verabredungen mussten eingehalten werden, vielleicht musste man sich an einen Busplan halten, der Kinobesuch stand auf dem Plan und man wollte ja schließlich einen guten Platz bekommen. Eine freies und selbstbestimmtes Leben, auch wenn man oft wegen angenehmer Termine die Uhrzeit einhalten wollte oder musste, war vorbei. Die Zeit regelte schon damals das Leben.

Im Laufe des Lebens wird diese Regelung aber oft immer enger getaktet. Denn spätestens, wenn das Berufsleben beginnt, wenn dann auch noch Familie dazu kommt, werden die weißen Flecken im Terminkalender immer weniger.  

Im Job wird es oft immer stressiger, wenn Kinder da sind, muss man versuchen, alles unter einen Hut zu bekommen. Tanzschule, Reiten, Nachhilfe, Fußball am Wochenende. Und wenn man dann auch noch eigene Hobbys hat, wird’s immer enger. 

Gottseidank steht ja aber irgendwann auch endlich der langersehnte Urlaub vor der Tür. Wenn Du vielleicht in ein anderes Land fliegen möchtest und ganz viel Glück hast, schaust Du auf die Uhr und der Flug ist sogar pünktlich. Wenn Du Pech hast, wird mal wieder gestreikt. 

Als wir vor kurzem unseren Urlaub auf Fuerteventura genießen wollten, war die Zeit trotzdem allgegenwärtig. Natürlich hat man selber Schuld. Man könnte im Urlaub ja auch den ganzen Tag auf dem Sofa liegen, die Zeit ignorieren und eine Serie nach der anderen schauen. Wenn man Hunger hat, isst man, wenn es dunkel wird, schläft man irgendwann. Die Uhr kann man 24 Stunden komplett ignorieren. Theoretisch. 

Wie unser Hamster zum Beispiel, den wir vor einigen Jahren hatten. Der hat tagsüber, wie es nun einmal für die kleinen Nager üblich ist, viel gepennt. Wenn er Bock hatte, stand er auf, hat etwas gegessen, hat eine Trainingseinheit im Laufrad absolviert und zwischendurch immer mal wieder geschlafen oder ist auf seine Hamster-Toilette gegangen. Die musste er weder suchen noch etwas dafür bezahlen. Die Zeit war ihm völlig egal. Doch wirklich ignorieren konnte selbst er sie nicht. Denn bereits nach etwa zweieinhalb Jahren war sie für ihn schon wieder abgelaufen.

Zurück nach Fuerteventura. Im Urlaub wollen wir, wie viele andere Menschen auch, gerne etwas vom Tag haben und erleben. 10 Tage sind schnell vorbei. Also für die erste Frühstückszeit um 8:00 Uhr entschieden. Klar, mal wieder ausschlafen, wäre auch schön gewesen, aber dann gibts irgendwann kein Frühstück mehr und die Reinigungskraft klopft an die Tür. 

Also 8:00 Uhr gefrühstückt. Und beim nächsten Thema schäme ich mich etwas. Wenn das Wetter richtig schön war, wollten wir die Sonne auf einer Liege hinter dem Pool genießen und dabei aufs Meer schauen können. Diese Plätze, wie sämtliche andere um den Pool herum auch, waren natürlich limitiert. Das heißt, wenn da erst einmal ein Handtuch auf der Liege liegt, wird es erst nach Sonnenuntergang wieder weggenommen. Da der Pool-Bereich pünktlich um 9:00 Uhr geöffnet wurde, musste man, wenn man also einen schönen und bestimmten Platz, und dann auch natürlich noch zwei Liegen nebeneinander haben wollte, spätestens um 8:59 Uhr mit einem bzw. zwei Handtüchern bewaffnet, dort sein. Also musste man bereits beim Frühstück die Uhr im Auge behalten. Aber eine Stunde hat ja meistens auch gereicht.

Um 10:30 Uhr begann dann, wenn man teilnehmen wollte, eine Stunde Yoga oder Pilates oder ähnliches. Um 12:00 Uhr startete dann Wassergymnastik im Pool. War beides nicht meins, aber eine Stunde schwimmen im Pool, am liebsten ohne Teilnehmer an der Wassergymnastik, sollte es schon gerne sein. Genaues Timing war hier also gefragt. 

Um 13:00 Uhr stand das Mittagessen auf dem Plan. Komischerweise hatten wir tatsächlich meistens dann auch schon wieder Appetit, wenn nicht zuvor ab 11:00 Uhr ein Snack im Pool-Restaurant eingenommen wurde. Die Uhr wurde also immer im Blick behalten oder sogar ein Wecker gestellt.

Um 18:00 Uhr ging ganz langsam die Sonne unter und wenn wir den Sonnenuntergang, der an einer Stelle am Strand besonders schön anzusehen war, nicht verpassen wollten, wurde es Zeit, sich frisch zu machen. Die abendliche Yoga-Session auf dem Balkon musste daher meistens ausfallen. Am Strand angekommen, war ein Sonnenuntergang schöner als der andere. Zeit, zu relaxen. Danach noch einen entspannten Spaziergang durch die kleinen Gassen, den Blick auf die Uhr aber nicht vergessen. Denn um 20:00 Uhr gab es lecker Abendessen. 

Um 21:00 Uhr stand dann allabendlich ein kleines Showprogramm auf dem Plan. Wenn man einen guten Sitzplatz in der Nähe der Bar haben wollte, musste man auch hier rechtzeitig dort sein. Die Bar hatte bis 23:00 Uhr geöffnet. Die letzten beiden Cocktails, meistens zusammen mit zwei Tequila Shots, Salz und Zitronenscheiben, mussten also rechtzeitig geordert werden. 

Was für ein angenehmer Stress im Urlaub. Selbst in seiner besonderen Freizeit kann man die Uhrzeit nicht einfach ignorieren. Zumindest dann nicht, wenn man etwas am Tag unternehmen möchte und Verpflegung gebucht hat. 

Aber auch, wenn es nicht immer so durchgetaktet werden muss, die Zeit sitzt uns allen im Nacken. 

Hilft da die Hoffnung, dass man genügend Zeit hat, wenn man in Rente geht? Wahrscheinlich nicht. Denn wenn jemand keine Zeit hat, dann sind es Rentner und Rentnerinnen. Oder Peter und Heinz und Co.?

Die Zeit vergeht schnell, steht uns nur begrenzt zur Verfügung. Nutzen wir sie doch lieber, bevor sie abläuft, wie Sand in einer Sanduhr. Zeit kann man nicht kaufen, egal, wie viel Geld sich auf dem Konto befindet. Je mehr Zeit wir bereits auf dieser Erde verbracht haben, um so kostbarer kommt sie uns vor. 

Danke, dass Du Dir die Zeit genommen hast, meinen Blogbeitrag zu lesen. Gerne habe ich mir die Zeit genommen, diesen zu schreiben.



Apropos Zeit: Wenn Du einmal im Leben eine ganz besonders intensive Zeit an einem der schönsten Orte der Welt verbringen möchtest, dann kann ich Dir diesen hier wärmstens empfehlen. Frei nach dem Song von Udo Jürgens: Ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals… Welchen Ort ich meine, erfährst Du hier!