Miami Dolphin Stadion

XXL

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Was war ich aufgeregt in diesem Moment! Der Tag, als meine sportliche Karriere vor einem großen Publikum startete. 

Erst kurz vor Spielbeginn traf ich auf den Verantwortlichen, sozusagen der Vereinspräsident, der ein Trikot aus einem Karton zog, es jedem Spieler kurz vor den Körper hielt und jeden mit dem Kommentar „passt“, weiterschickte. Dieses wurde dann im Gehen übergezogen und danach liefen wir alle direkt auf das Spielfeld auf. 

Die Zuschauer jubelten, feuerten uns noch vor Spielbeginn frenetisch an. Mein Freund Thorsten und ich klatschten uns ab und warteten gespannt auf den Anpfiff. Als dieser dann auch endlich ertönte, liefen wir 11 Spieler sofort alle auf den Ball zu.

Ich war damals gerade sechs Jahre alt und absolvierte mein Debüt als Spieler des Post-SV. Die Zuschauer bestanden aus Eltern und Verwandten. Was für ein Großereignis für uns. Am Ende des ersten Spiels erhielten wir auch schon unsere erste Gage. Ein Eis, das man aus einer Plastiktüte drücken konnte, bei der sich auf dem Boden eine Kaugummikugel befand.

Wir bewunderten damals den Sponsoren um sein Vermögen. 11 dieser Eistüten zu kaufen musste Unsummen gekostet haben. Uns war klar, dass diese großartige Entlohnung nur möglich war, da dieser Vater unseres Kameraden Eigentümer einer großen, lokalen Bäckerei war. 

Zugegeben, das war noch im vorigen Jahrtausend. Wie sich das anhört.

Wirklich vergleichen kann man das kürzlich stattgefundene Großereignis letzten Sonntag nicht mit unserem damaligen Auftritt. Es waren geringfügig mehr Zuschauer dabei und auch die Gage übertraf unser Eis mit Kaugummi. Die Rede ist natürlich von der XXL-Veranstaltung, die jedes Jahr am zweiten Sonntag im Februar stattfindet. 

Der Super Bowl LVIII zwischen den Kansas City Chiefs und den San Francisco 49ers.    

Mit etwa 123,4 Millionen Zuschauern ist es laut Zahlen von Nielsen und Adobe Analytics die meistgesehene Sendung der US-amerikanischen TV-Geschichte. 

Natürlich sind auch die Eintrittspreise auf XXL-Niveau. Die insgesamt 65.000 Tickets wurden laut cbsnews.com im Schnitt auf dem Zweitmarkt für ungefähr 12.082 Dollar verkauft. 

Eigentlich hatte ich geplant, für meine Internetseite die einmalige Chance zu ergreifen, um eine TV-Werbung zu schalten. Allerdings hat meine Bank nicht mitgespielt. Denn ein 30-Sekunden Werbespot kostet etwa sieben Millionen Dollar. Unfassbar. 

Aber es gibt noch mehr Zahlen und Fakten, die verrückt klingen. Rund 50 Millionen Dollar geben die Amerikaner an diesem Tag für Lebensmittel aus. Und wo gegessen wird, wird auch getrunken. Etwa 120 Millionen Liter Bier. Dazu kommen noch ein paar Snacks. Etwa 4.000 Tonnen Popcorn, 13.000 Tonnen Chips. Dazu noch eine Menge Nachos und Nüsse. 

In einer Umfrage gaben 23 Prozent der Befragten an, dass sie für ein Ticket auf einen geplanten Urlaub verzichten würden. 15 Prozent der männlichen Fans (bei den weiblichen Fans auch schlecht möglich) gaben an, dass sie zugunsten eines Super-Bowl-Tickets auf die Anwesenheit bei der Geburt ihres Kindes und 19 Prozent sogar die Beerdigung eines geliebten Menschen verpassen würden.

Während ich den Beitrag gerade schreibe, es ist 19:57 Uhr, klingelt es an der Haustür, ein Amazon-Paket wird noch zugestellt. Kurzer Plausch mit dem jungen Mann, wie lange er denn noch austragen müsse. Seine Antwort: 55 Pakete und 29 Etagen. Das nenne ich XXL-Arbeitstag. Wie glücklich kann ich mich schätzen, meinen Feierabend in unserer warmen Wohnung genießen zu können. 

Zurück zum Spiel. Wer soviel trinkt, muss natürlich auch mal zur Toilette. Dafür nutzen angeblich 90 Millionen Fans die Halbzeit-Pause und spülen dabei etwa 1,4 Milliarden Liter Wasser in die US-Kanalisation und gefährden damit die Wasserversorgung. 

Auch interessant: Am Tag nach dem Super Bowl melden sich etwa sechs Prozent der US-Bevölkerung krank. Diese Erkrankung nennt man gerne „Super Bowlitis“. Säurehemmende Magenmittel werden um etwa 20 Prozent mehr verkauft. 

Diese vielen XXL-Erscheinungen wurden allerdings an diesem Abend komplett von einem Ereignis locker getoppt. Der wohl zurzeit angesagteste Mega-Star, der selbst Elvis oder die Beatles in den Schatten stellt, war im Stadion. Diese Künstlerin hat bei ihren vergangenen 60 Auftritten jeweils rund 70.000 Zuschauer angelockt. Für ein Ticket muss man im Durchschnitt etwa 250 Dollar bezahlen. Damit wurden also insgesamt mehr als eine Milliarde US-Dollar für Eintrittskarten bezahlt. Das macht sich natürlich für diese Sängerin bezahlt und sie gehört daher zu dem erlesenen Club der Milliardäre. Die Rede ist natürlich von Taylor Swift.

Übrigens, ich habe bei Instagram bereits über 1.400 Follower. Und alle sind echt. Taylor Swift hat derzeit etwas mehr als 280 Millionen. 

Dass sie bei ihrem Freund im Stadion sein wollte, ist verständlich. Nach ihrem Auftritt in Japan flog sie zunächst nach Los Angeles. Diesen Flug konnte man, wie jeden anderen auch, auf einer Radar-Seite im Internet oder per Smartphone mitverfolgen. Über 20.000 Fans verfolgten live ihren Flug. 

Zum Glück war sie rechtzeitig im Stadion, um ihren Freund Travis Kelce von den Kansas Chiefs anfeuern zu können. Immer wieder wurde sie eingeblendet und Millionen fragten sich, teilweise angespannt, teilweise hoffend, ob sie die entscheidende Aussage trifft, die auf die gesamte Menschheit Einfluss haben könnte. Unterstützt sie auch dieses Mal den regierenden Präsidenten und macht Donald Trump damit zum Biggest Loser oder nicht?

Dieses XXL-Statement, das alles entscheiden kann, blieb an diesem Abend aus. Aber man lauert, bangt und hofft. Wird die 34-Jährige sich tatsächlich äußern oder wird sie die Geschichte der Menschheit ihrem Schicksal überlassen? Auch ich werde selbstverständlich bis November an ihren Lippen kleben.

Möge die Macht mit ihr sein.

Foto von mir, leider nicht beim Super Bowl 2024.
Es entstand 2019 im Hard Rock Stadium Miami Gardens.