Eine haarige Angelegenheit

Wie schön, dass wir in einer so modernen Welt leben. Der technische Fortschritt schreitet in vielen Bereichen weiter voran. Das, was für uns vor einigen Jahren noch unvorstellbar war, ist heute normaler Alltag geworden. 

Wenn man manchmal alte James Bond Filme sieht, muss man doch zuweilen etwas schmunzeln. Wenn Bond eine Kurznachricht auf seiner Uhr empfängt, in Form eines Plastikstreifens, der mit einem lauten Geräusch langsam aus der Uhr zum Vorschein kommt, war man damals fasziniert.

Heutzutage ist eine Smartwatch völlig normal. Wir bezahlen damit, telefonieren unabhängig von unserem Smartphone damit und fragen das Wetter ab. Sie passt auf uns auf, erkennt, wenn wir einmal hingefallen sind und verständigt den Notruf und sendet unsere Position gleich mit. 

Ich finde das alles toll. Und ich liebe auch diese ganzen technischen Spielereien. Das einzige, was all diese tolle Technik gemeinsam hat, sie wird schneller überholt, als es uns lieb ist. Die eine oder andere iPhone-Generation lasse ich unbeeindruckt an mir vorbeiziehen. Immer das neuste Smartphone benötige ich ganz sicherlich nicht. Zumal die Unterschiede teilweise ja nur minimal sind.

Doch irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen, wo das gerade noch geliebte Teil einfach nervt. Meistens, wenn es um die Akkuleistung geht. Denn die geht, oh Wunder, meistens dann richtig in die Knie, wenn ein neues Produkt auf dem Markt eingeführt wurde. 

So war es auch vor einer Weile mit meiner geliebten iWatch. Mindestens zweimal am Tag musste sie aufgeladen werden. Das nervt dann aber gewaltig. Zugegeben, es gab bereits so einige Nachfolgegenerationen. Aber im Grunde genommen hat sie ja alles besessen, auf das ich Wert legte. Trotzdem, eine neue musste her. 

Natürlich hält man dann am besten so lange durch, bis wirklich eine ganz neue, gerade vom Laufband genommene aktuelle Uhr erscheint. Ein Produkt, was bereits fast ein Jahr alt ist, das kauft man doch nicht. Wer weiß, was der Nachfolger für unbedingt notwendige neue Errungenschaften zu bieten hat.

Dann war es so weit, meine Auserwählte wurde endlich vorgestellt. Natürlich war diese dann erst in einem Monat lieferbar. Aber so lange will ja niemand warten, schließlich ist sie dann ja auch nicht mehr ganz neu auf dem Markt. Also im Internet gesucht und fündig geworden. Gerade einmal zwei Tage später hielt ich sie bereits in den Händen. 

Der reinste Wahnsinn. Was für ein Display, was für eine Helligkeit, was für eine Akkuleistung. Ich war total aus dem Häuschen. Also alles wunschgerecht eingestellt, alles personalisiert, und umgemacht. 

Zusätzlich zu den ohnehin schon vielen Funktionen zeigt die mir jetzt auch die Wassertemperatur an. Einmal die Hand kurz hineingehalten, schon zeigt sie mir, ob ich friere oder nicht. OK, das sollte ich auch ohne Uhr herausfinden, aber es ist doch gut, wenn meine Empfindungen zur Realität passen. 

Auch die Gesundheitswerte, die aufgezeichnet werden, sind unfassbar und mir eine große Hilfe. Schließlich ist es wichtig zu wissen, wie viele Stunden ich geschlafen habe, ob es eventuell zu wenig war. Auch wie meine Schlafqualität war und wie viele Atemzüge ich gemacht habe, ist wichtig zu wissen. Ja, ich weiß, wirklich helfen wird mir das im Alltag vielleicht nicht, aber es ist interessant und macht mich vielleicht auf Unregelmäßigkeiten aufmerksam.

Eine, wie ich finde, wichtige Funktion ist die Überwachung meines Herzens. Dass dieses für meine liebe Frau schlägt, braucht sie mir natürlich nicht anzuzeigen. Aber zu hohe oder zu niedrige Herzfrequenz und sogar Vorhofflimmern hingegen schon. Das finde ich wirklich hilfreich. 

Als ich die Uhr eine Weile getragen hatte, alarmierte sie mich, und das durch ein echt fieses Vibrieren, dass mein Ruhepuls, obwohl ich mich nicht bewegte, über 100 ist. Als ich das zum ersten Mal entdeckte, ging vor Schreck mein Puls noch höher und ich musste erst einmal ein EKG mit der Uhr durchführen. Das bestätigte dann den schnellen Herzschlag. 

Beruhigen und beobachten war also meine Devise. Als der hohe Ruhepuls aber zu einer Regelmäßigkeit wurde, sehr oft nach dem Essen, beunruhigte mich das dann doch langsam. Lag es vielleicht daran, dass die alte Uhr nicht so genau war und es völlig normal war, ich es schon immer hatte? Dr. Google darf ich eigentlich nicht mehr fragen, aber da ich alleine zu Hause war, nahm ich einmal wieder seine Hilfe in Anspruch. 

Es könnte, gerade nach dem Essen, völlig harmlos sein, es könnte aber auch besorgniserregend sein. Eine Diagnose, die man bei diesem Arzt eigentlich generell erhält. Meistens suche ich dann so lange, bis ich eine eher harmlose Erklärung finde. Aus dem Augenwinkel sehe ich dann aber meistens darunter oft weniger harmlose. 

Also Nägel mit Köpfen gemacht und meiner Arztpraxis geschrieben. Das ist so toll an meiner neuen Ärztin, ich kann meine Frage per Mail schicken und bekomme dann, wenn es passt, einen Rückruf. Natürlich hatte ich geschrieben, wenn das völlig harmlos ist, braucht sie sich nicht zu melden.

Doch bereits am selben Tag erhielt ich ihren Anruf mit dem Vorschlag, der Sache, die wahrscheinlich eher harmlos ist, auf den Grund zu gehen. Ein Termin für ein 24-Stunden EKG wurde vereinbart. Ich hatte bereits mal ein 24-Stunden Blutdruckmessgerät, mit dem man alle 30 Minuten nachts wach wird und hatte dieses vor meinem geistigen Auge.

Als mir dann die Arzthelferin das neue, winzige Gerät erklären wollte, bemerkte ich meinen Fehler. Ein 24-Stunden EKG-Gerät hatte ich zuvor weder gesehen noch ausprobiert. Wenn ich mal ein Belastungstest-EKG, während ich auf dem Fahrrad strampelte, machen musste, war die größte Herausforderung für mich nicht, meine Kondition beim Treten, sondern die Elektroden an meinem Alabaster-Körper zu halten. 

Denn wie es sich für eine echte Männerbrust gehört, ist meine mit Haaren übersät. Wahrscheinlich darf man das gar nicht mehr sagen, also auch Männerbrüste ohne Haare sind toll. 🙂

Dass die Aufkleber, die also die Elektroden halten sollten, nicht wirklich funktionierten, wenn sie nicht auf glatter Haut zum Einsatz kommen, ist eigentlich offensichtlich, oder? Als ich also meine für mein 24-Stunden EKG aufgeklebt bekam, machte ich natürlich darauf aufmerksam. Die sehr freundliche junge Arzthelferin, ich würde einmal schätzen, Generation-Z, schien mein Einwand nicht zu beeindrucken. Sie gab mir ein Ersatzaufkleber mit und meinte nur, wenn etwas abgehen würde, solle ich es möglichst an derselben Stelle wieder aufkleben. 

Ich war noch gar nicht ganz aus der Praxis, da fühlte ich schon, wie alles bei jeder Bewegung an den Haaren zog. Wie in Watte gepackt ging ich steif und möglichst ohne meinen Körper, sondern nur meine Beine bewegend, zügig nach Hause. 

Dort angekommen, zog ich erst einmal ganz vorsichtig meine Kleidung oben herum aus und schob die Elektroden wieder so gut wie möglich an ihre Plätze. Aber wie sollte ein echtes Ergebnis herauskommen, wenn alles immer wieder abgeht und ich gar nicht genau weiß, wo ich es wieder aufkleben soll? Und einmal abgegangen, hält es auch nicht mehr. Vor allem über Nacht würde es eine echte Herausforderung werden.

Also vorsichtig die Medikamentenschublade durchsucht, ohne mich wirklich zu bewegen und eine Rolle medizinisches Klebeband herausgenommen. Mit diesem Band in der einen Hand und einem Rasierer in der anderen stellte ich mich vor den Spiegel und rasierte und klebte abwechselnd, bis alle Elektroden sicher befestigt waren. Dabei musste ich allerdings bei einigen mehrfach, auch weit über die behaarte Haut kleben. Schließlich wollte ich ja nicht meine komplette Brust rasieren. 

Der restliche Tag verlief dann ohne weitere große Probleme.

24 Stunden später saß ich erneut in der Praxis. Alles hatte gehalten, auch die Nacht verlief trotz Verkabelung erstaunlicherweise gut. Als ich derselben netten Arzthelferin von meinem Erlebnis mit der Verklebung berichtete, schmunzelte diese nur vollkommen entspannt und entfernte das Messgerät und die Kabel. 

Wie sie nun die Elektroden abbekommen wollen würde, war mir schleierhaft. „Die können sie selber abziehen und dann entsorgen“, lächelte sie mich an. Dachte mir schon, dass man die nicht mehrfach benutzen kann. Als ich allerdings daraufhin versuchte, sie vorsichtig abzuziehen, bemerkte ich meine wahrscheinliche Übermotivation, denn nichts ließ sich auch nur einen Zentimeter abziehen, ohne zu schmerzen. 

„Das mache ich in Ruhe zu Hause, ich muss schließlich pünktlich am Schreibtisch sitzen“, stammelte ich dann leicht panisch. Sie lächelte erneut.

Es war tagsüber schon ein seltsames Gefühl mit den ganzen Aufklebern auf der Brust. Als dann Feierabend war, stand ich erneut vorm Spiegel. Zum Rasierer kam dann noch eine Schere dazu. Allerdings ließen sich auch mit diesen Hilfsmitteln die gefühlt meterlangen Klebebänder nur minimal entfernen und nur unter großen Schmerzen. 

Also alles unter die Dusche mitgenommen und Millimeter für Millimeter unter laufenden warmen Wasser vorangekommen. Nach etwa 45 Minuten war es dann geschafft. Meine Haut war knallrot und brannte wie Feuer. 

Als ich mir dann meine neue iWatch wieder umschnallte, schaute ich sie etwas verärgert an. Schließlich war sie schuld für meine schmerzende Brust.

Das Ergebnis der Untersuchung war übrigens, dass mein Herz völlig normal schlägt und diese hohen Ruhepulswerte auch durch einen Infekt ausgelöst wurden. Und nach dem Essen kann das übrigens auch passieren. Kein Grund zur Sorge.

Zurück zu James Bond. In einem Film heißt es nämlich, Konfuzius sagt, kein Vogel baut sein Nest auf einem kahlen Baum“. 

Konfuzius hätte also meine Brust vermutlich gefallen. Ein kleiner Trost, der die Schmerzen etwas gelindert hat.    

Foto von mir