Gutsherrenart

Es ist bei uns zu Hause Tradition, am Freitag vor Weihnachten pünktlich und „live“ einen Film, der 1980 gedreht wurde, jedes Jahr zu schauen. Die Rede ist natürlich von dem Klassiker „Der kleine Lord“. 

Auch, wenn wir die Texte teilweise schon mitsprechen können, besteht meine Frau darauf, ihn zu schauen. Ehrlich gesagt, ich sehe ihn auch immer wieder gerne.

Der Film spielt im Jahr 1872. Der Earl of Dorincourt schaltet und waltet nach Belieben, wohnt hoch in seinem Schloss und lässt es sich dort gutgehen, fernab der Realität um ihn herum. Seine armen Pächter leiden an seiner Herrschaft und wissen kaum, wie sie über die Runden kommen sollen. Dem Earl ist das aber völlig egal. Erst, als er nach vielen Jahren zufällig mit seinem Enkel, Lord Fauntleroy, durch die Earls Lane reitet, wo viele dieser Pächter unter ärmlichsten Bedingungen leben, wird ihm das Elend dieser bewusst.  

Der Film spielt, wie gesagt, im Jahr 1872. 

Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2024. Gutsherrenart sollte eigentlich schon lange ein Begriff aus der Vergangenheit sein, den viele kaum noch kennen und erst recht nicht mehr hautnah erleben sollten. 

Doch die Realität zeigt leider etwas anderes. Wenn ich mit Freunden, Bekannten oder der Familie spreche, wird mir sehr oft von einer sehr unzufriedenen Stimmung berichtet. Dabei kommt auch immer wieder das Wort Gutsherrenart vor. Ob es nun eine Ankündigung vom Vermieter ist, von der Hausverwaltung, vom Arbeitgeber oder aus der Politik, sehr oft hat man das Gefühl, es werden Entscheidungen getroffen, die aber die Betroffenen überhaupt nicht mit einbeziehen. 

Es sitzen Menschen zusammen, die eine Situation oder ein Problem besprechen und dann zu einer, ihrer Meinung nach, guten Lösung kommen, und diese dann par ordre du mufti, ihren „Untertanen“ verkünden. Oftmals stellt sich dann heraus, dass diese Lösung eine ganz schlechte Idee ist, vielleicht gänzlich nicht funktioniert. 

Anstatt die Betroffenen gleich mit einzubeziehen. Aber nein, es wird von oben diktiert. Zweifelt man die Lösung an, wagt sich vielleicht sogar, verbal dagegen anzugehen, wird man schnell als Aufständischer betitelt. 

Ich habe seit einiger Zeit das Gefühl, Teile der Welt, insbesondere Deutschland, ist in eine Art Lethargie gefallen. Man regt sich zwar über vieles auf, aber dann kommt immer wieder der Spruch, man könne sowieso nichts daran ändern. Man lehnt sich wieder zurück und macht, wenn auch trotzig, dass, was einem aufgetragen wurde.

Als ich vor ein paar Tagen eine Folge Markus Lanz gesehen habe, wurde ich einmal mehr in meiner Meinung bestätigt. Auf die Frage, wer denn aus der Regierung dafür verantwortlich sei, dass Kürzungen bei den Bauern vorgenommen werden, antwortete Anton Hofreiter von den Grünen, das es wie üblich abgelaufen ist. 

Der Kanzler, der Vizekanzler und der Finanzminister haben sich zu dritt besprochen und sind dann zu diesem Ergebnis gekommen. Der zuständige Agrarminister, Cem Özdemir, ebenfalls von den Grünen, wurde nicht zu dem Gespräch eingeladen. Er hat es dann erfahren, als der Beschluss feststand. Gutsherrenart vom Feinsten im 21. Jahrhundert. 

Doch dieses Mal hat man sich anscheinend mit den Falschen angelegt. Bei den Bauern ist das Fass übergelaufen. Endgültig. Schon seit vielen Jahren mussten sie eine Menge hinnehmen. Aber jetzt, endlich, gehen sie gegen an. Und das machen sie inzwischen nicht nur für sich, sondern für einen sehr großen Teil des Landes. Denn die Proteste, im Gegensatz zu den ständigen Bahnstreiks zum Beispiel, werden von der breiten Bevölkerung unterstützt. 

Und die inzwischen abgedroschenen Gegenargumente, den Bauern gehts doch gut, sie erzielen Rekordgewinne, haben alle große und sicherlich teure Trecker, die ziehen nicht mehr. 

Ist doch ein Segen, wenn unsere Ernährer auch mal gute Jahre hatten. Ist doch gut, wenn sie sich die Leasing-Raten für die großen und teuren Trecker, die nun mal ihre notwendigen Arbeitsmaterialien sind, noch leisten können. Oder sitzt Du acht Stunden im Büro und arbeitest auf Deinem Handy? Nein, ohne Zweischirm-Lösung könntest Du auch nicht mehr zurechtkommen.

Und der Beruf des Landwirtes ist sicherlich kein einfacher. Extreme Herausforderungen sind an der Tagesordnung. 

Die Wetterbedingungen sind unvorhersehbar, gerade in der heutigen Zeit. Dürren, Überschwemmungen, Kälte, Frost, Stürme gehören zum Alltag.

Durch Angebot und Nachfrage, politische Entscheidungen, internationale Handelsvereinbarungen kommt es immer wieder zu extremen Marktschwankungen. 

Steigende Betriebskosten für Saatgut, Düngemittel, Pestizide, Maschinen und Arbeitskräfte belasten das Einkommen.

Immer zeitaufwendigere und kostspielige bürokratische Verfahren, Vorschriften und Genehmigungen. 

Sie müssen Schritt halten können mit den neuesten Entwicklungen. Technologien, die die Effizienz verbessern können, sind für viele eine Herausforderung. Moderne landwirtschaftliche Ausrüstung anzuschaffen und zu warten ist teuer. Das Geld muss erst einmal verdient werden.

Wie in fast jeder Branche fehlt es auch hier oft an Arbeitskräften. Arbeitsüberlastungen sind keine Seltenheit. 

Auch der permanente Druck von zunehmenden Umweltauflagen und Nachhaltigkeitsanforderungen. Umweltfreundliche Landwirtschaft kann zusätzliche Kosten mit sich bringen.

Krankheiten und Schädlinge können die Ernteerträge erheblich reduzieren. Der Einsatz von Pestiziden kann notwendig sein, birgt jedoch auch Umwelt- und Gesundheitsrisiken.

Viele Landwirte sind nicht nur für die eigentliche landwirtschaftliche Produktion verantwortlich, sondern auch für das Management des Betriebs, die Buchhaltung, den Maschinenbetrieb und andere Aufgaben. Dies erfordert eine Vielseitigkeit in den Fähigkeiten und kann zu langen Arbeitstagen führen.

Die Arbeit auf dem Bauernhof kann oft einsam sein, insbesondere in abgelegenen ländlichen Gebieten. Landwirte verbringen oft viele Stunden allein, was zu sozialer Isolation führen kann.

Trotz dieser Herausforderungen sind Landwirte meistens mit Leidenschaft und Engagement bei der Arbeit. Sie haben ein tiefes Verständnis für die Natur und die Notwendigkeit, mit den saisonalen Anforderungen der Landwirtschaft flexibel umzugehen. In vielen Fällen tragen moderne Technologien dazu bei, die Arbeitsbelastung zu erleichtern, aber die Natur der Landwirtschaft bleibt anspruchsvoll und erfordert oft lange und unregelmäßige Arbeitszeiten.

Wenn diese Beispiele, und es gibt ganz sicherlich noch wesentlich mehr Hausforderungen, kein Grund sind, auf die Straße zu gehen und gegen willkürliche Beschlüsse von drei Ahnungslosen gegen anzugehen, dann weiß ich auch nicht mehr. 

Wenn Verantwortliche nicht ständig so arrogant und von oben herab wären, wenn man einfach mal den normalen Angestellten, das normale Volk mehr mit ins Boot nehmen würde, wäre die Stimmung zumindest in unserem Land, aber wahrscheinlich sogar auf der ganzen Welt, wesentlich besser.

Klar, niemand mag Kürzungen, Veränderungen, die persönliche Nachteile mit sich bringen. Natürlich muss man auch mal unbeliebte Einsparungen vornehmen.

Selbstverständlich ist es gerade in diesen herausfordernden Zeiten ausgeschlossen, auf die Idee zu kommen, das Kanzleramt zu erweitern, oder? 

Aber selbstverständlich nicht! 400 neue Büroräume für geplante 637 Millionen und eventuellen Mehrkosten von 152 Millionen und weiteren 41 Millionen sind geplant. Dass diese Beträge am Ende mal wieder nicht reichen werden, ist vorprogrammiert. Dafür ist Geld genug vorhanden. 

Also liebe Landwirtin und lieber Landwirt, wenn Ihr auf die Straße geht, dann ist es kein Wunder, dass die Bevölkerung den Daumen hoch zeigt. Ausnahmen gibt es natürlich immer. Aber lasst Euch davon nicht aufhalten. 

Man kann sich nicht alles gefallen lassen. Kann man nur hoffen, dass Eure Proteste erfolgreich sind und Euer Widerstand ansteckend ist, damit in Zukunft friedlich gegen Beschlüsse, vor allem wenn sie auf die Schnelle zusammengeschustert sind, durch die breite Bevölkerung angegangen wird.