Wenn der Hamster in die Parterre zieht

Haustiere sind in Deutschland sehr beliebt. Nicht erst seit Corona. Obwohl die Anzahl der Tiere sicherlich auch dadurch stark gestiegen ist. Viele Menschen fühlen sich einsam, freuen sich, wenn zu Hause zumindest ein Haustier auf sie wartet. Laut einer Umfrage des Instituts Skopos haben 47 Prozent der Deutschen mindestens ein Haustier. 

Welches Haustier ist bei uns am beliebtesten? Natürlich die Katze. 26 Prozent der Haushalte haben eine zu Hause. Das sind etwa 15,7 Millionen Katzen. 34 Prozent von ihnen haben mehr als eine Katze. 

Gefolgt natürlich von dem Hund. 10,7 Millionen Hunde leben in 21 Prozent der Haushalte. Kleintiere mit 5 Millionen und Ziervögel mit 3,5 Millionen folgen dann. 

Alle zusammengerechnet sind eine Menge Tiere.

Als Kind wollte ich natürlich auch ein Haustier haben. Daher durfte ich mir einen Wellensittich aussuchen, den ich mir gewünscht hatte. Ich entschied mich für einen mit einem Knickfuß, er war also etwas behindert. Vielleicht schloss ich daher gleich so in mein Herz. Mit einer Lebenserwartung von 5 bis 8 Jahren blieb das nicht der einzige Piepmatz in meinem Leben. 

Einen Hund oder eine Katze wollte ich eigentlich nie. 

Als viele Jahre später meine Frau sich irgendwann einen Hamster wünschte, erfüllte ich ihr diesen Wunsch. Ein Käfig wurde angeschafft und los ging es ins nächste Zoogeschäft. Es sollte eine Überraschung werden und wurde es dann auch. Die Freude war riesig, allerdings nur von kurzer Dauer. Bereits nach ein paar Tagen lag der kleine Nager leblos in seinem oder eher gesagt, ihrem Käfig. Laut Mitarbeiterin im Geschäft sind Hamster sehr empfindlich und können die neue Umgebung manchmal nicht verkraften. Das war eine sehr schmerzhafte Erfahrung für uns beide.

Doch wir wollten nicht gleich die Flinte ins Korn werfen und entschlossen uns, unser Glück noch einmal zu versuchen. Im Laufe der Jahre hatten wir dann mehrere dieser kleinen Tierchen. 

Am meisten hatten wir unseren Goldhamster ins Herz geschlossen. Dieser ist in Syrien beheimatet und mit seinem glatten, cremefarbenen Fell und seinen Knopfaugen muss man ihn einfach lieben. Dass Hamster tagsüber viel schlafen und erst abends aktiv werden, ist natürlich schade. Aber trotzdem konnten wir eine Menge Zeit mit ihnen verbringen.

Hamster sind generell sehr reinliche Tiere und lecken ihr Fell gerne sauber. Sie mögen es auch nicht, wenn ihr Käfig nicht regelmäßig gereinigt wird. Und das gilt auch für ihre Toilette. Dass man einem Hamster beibringen kann, auf eine Toilette zu gehen, hielt ich anfangs für einen Scherz. 

Also haben wir tatsächlich eine kleine Box gekauft und etwas von seiner Streu eingesammelt, das er bis dahin als Toilette benutzt hatte und in das Häuschen gepackt. Das musste man dann ein paarmal wiederholen und tatsächlich, es dauerte gar nicht lange und er gingt nur noch in sein separates Haus, um Wasser zu lassen. Unfassbar.

Ein anderer Hamster war auch öfter mal ausgebüxt, schaffte es tatsächlich, seine Käfigtür irgendwie zu öffnen. Panisch liefen wir durch die ganze Wohnung, passten auf jeden Schritt auf, um nicht plötzlich auf ihn zu treten. 

Wir fanden ihn dann nach stundenlanger Suche in der Küche. Aus unserem Vorratsschrank kam plötzlich ein Geräusch, welches wir nicht zuordnen konnten. Als wir die Schranktür öffneten, staunten wir nicht schlecht. Etliche Tüten hatte er aufgerissen. Ob Haferflocken, Zwieback oder Mehl, überall hatte er von probiert. Wie er in den Schrank gekommen war, können wir uns bis heute nicht erklären. 

Als wir ihn einmal im Urlaub in andere Obhut gaben, riss er auch dort aus. Das Fatale war, dass die Haustür in dieser Altbauwohnung in der fünften Etage manchmal von alleine aufging. Und so kam eins zum anderen. Hamster aus seinem Haus verschwunden, Haustür war geöffnet. Unfassbar und Glück im Unglück, denn wiedergefunden wurde er in der ersten Etage im Treppenhaus. Wie er die vielen Stufen hinuntergeklettert war, ebenfalls bis heute ein Geheimnis.  

Auch, wenn ich mich vor dem Kauf des Hamsters natürlich erkundigt hatte, wie viele Jahre man mit verbringen könnte, war ich trotzdem jedes Mal sehr überrascht, wenn seine Zeit langsam gekommen war. Bei einer Lebenserwartung im Schnitt von etwa 18 Monaten bis zu zwei Jahren hatte man das Gefühl, sich gerade erst richtig an ihn gewöhnt zu haben. 

Das Schreckliche bei diesem kleinen Tier ist, dass es dann plötzlich wie im Zeitraffer altert. Heute noch quietschfidel durch die ganze Wohnung getollt, bewegt er sich morgen auf einmal viel langsamer. Er ist nicht mehr so lange wach und in sein Laufrad, eigentlich seine Lieblingsbeschäftigung, mag er auch nicht mehr. Dann ist es leider schon wieder so weit, der Umzug beginnt. 

Alles, was der Hamster in seinem Käfig in der zweiten Etage liebte, wurde in die Parterre verlagert. Wasser und Fressnapf, sein Lieblingsspielzeug und sein Nachtplatz. Die Toilette stellen wir natürlich auch in seine Nähe und die Zeit konnte wieder ihren Lauf nehmen. Innerhalb weniger Tage wurde er dann immer langsamer, zitterte ab und an und sah auch plötzlich aus wie ein Greis. 

Wir verbrachten dann soviel Zeit mit ihm, wie es nur ging, auch wenn der Anblick schmerze. Und wir haben es ihm so bequem gemacht, wie wir es uns selber eines Tages mal wünschen würden. Aber sicherlich hat er unsere Nähe und unsere Liebe gespürt. Lange mussten wir, für emphatische Menschen wie wir nun einmal sind, die schwer zu ertragene Zeit nicht aushalten. Es dauerte meistens nur wenige Tage, bis er erlöst war.

Der Gedanke macht mich auch heute noch, viele Jahre später, traurig. 

Dass viele Menschen im Alter kaum Geld haben, kaum wissen, wie sie über die Runden kommen sollen, sich vielleicht sogar bei der Tafel anstellen müssen, selbst, wenn sie ihr Leben lang gearbeitet haben, ist eine Schande. Die Meisten haben der Gesellschaft gedient, viele haben Kinder groß gezogen und dann ist im Alter Hilfe und Betreuung kaum noch zu bezahlen. 

In einem reichen Land wie dem unseren dürfte so etwas gar nicht sein. Generell sollten wir der älteren Generation mehr Dankbarkeit zeigen. Ohne sie würden wir heute nicht im Wohlstand leben können. Leider vergessen das viele und geben ihnen teilweise die Schuld für die heutigen Probleme. 

Wie glücklich kann man sein, im Alter nicht alleine durchs Leben gehen zu müssen. Denn im Gegensatz zu dem Hamster, der ein Alleingänger ist, fällt es uns schwer, alleine zu sein, wenn die Zeit gekommen ist, in die Parterre zu ziehen.