Sind Sie ein Vampir?
Laut Schätzungen der internationalen Gesellschaft für Ästhetische Plastische Chirurgie wurden im Jahr 2019 weltweit etwa 9,5 bis 10,5 Millionen chirurgische und nicht-chirurgische ästhetische Eingriffe durchgeführt. In Deutschland schätzt man den Anteil bei etwa 673.000 Eingriffen. Dazu gehören nicht-invasive Verfahren wie Botox-Injektionen bis Brustvergrößerungen und Fettabsaugungen.
Zu den beliebtesten Schönheitsoperationen weltweit gehören Brustvergrößerungen, Fettabsaugung, Nasen- und Augenlidkorrekturen, Gesichtsstraffungen, Bauchdeckenstraffungen und Botoxbehandlungen.
Meine Frage an Dich: Über welche hast Du schon einmal, wenn auch in einer Bierlaune, nachgedacht oder hast Du bereits eine hinter Dir?
Jeder Eingriff birgt natürlich ein gewisses Risiko und man sollte die Entscheidung sicherlich nicht treffen, wenn man morgens das erste Mal in den Spiegel schaut.
Bis 2050 werden etwa zwei Milliarden Menschen über 60 sein. Ist doch erfreulich, dass wir Menschen immer älter werden, oder etwa nicht? In Deutschland hat jeder Zweite Angst vorm Älterwerden. Das hat natürlich auch viele andere Ursachen, als der Blick in den Spiegel und das äußerliche Erscheinungsbild.
Bevor man sich, um sich anschließend jünger zu fühlen, unters Messer begibt, sollte man sich meiner Meinung nach aber erst einmal ein paar Ergebnisse, also einige Referenzen, genauer anschauen.
Auch wenn man kein Fan von irgendwelchen Reality-Sendungen ist, lohnt es sich, vorher einmal einzuschalten. Oft sind dort Menschen zu sehen, die eine gewisse Lebenserfahrung haben, aber selbst, wenn sie über das eine oder andere Erlebte lachen wollten, könnten sie es nicht. Das Gesicht lässt es nicht zu. Teilweise hat man das Gefühl, der Arzt hat vergessen, die unsichtbaren Fäden nach dem Eingriff zu entfernen. Die Gesichter sehen aus wie Masken. Mimik ist nicht möglich.
Andere, scheint ein zunehmender aktueller Trend zu sein, haben Lippen wie Schlauchboote. Können kaum richtig reden. Da stelle ich mir dann oft vor, wie die Person einen Longdrink mit dem Strohhalm aufsaugt und mehr als die Hälfte daran immer wieder vorbeiläuft. Gruselig und mir vollkommen unverständlich, dass solche Eingriffe freiwillig durchgeführt werden und das auch noch schön zu finden.
Aber jedem das Seine. Solange sich die Person wohlfühlt.
Als ich vor einer Weile meinen jährlichen Hautcheck-Termin wahrnahm, stolperte ich fast über ein nahezu lebensgroßes Werbeschild. Darauf zu sehen, eine junge und sportliche Frau. Links mit einem eher normalen Bauch oder Bäuchlein, rechts daneben mit einem trainierten Bauch, der ein Sixpack erahnen ließ. Dazu eine Aufschrift, Fett weg ohne chirurgischen Eingriff.
Als ich an der Reihe war und am Tresen stand, um mich für meinen Hautcheck-Termin anzumelden, sagte ich der Mitarbeiterin: „Einmal Hautcheck und so einen Bauch wie auf dem Werbeschild, bitte“. Die Mitarbeiterin grinste nett, was sollte sie auch anderes machen, und meinte nur, das solle ich mit dem Arzt besprechen.
Das tat ich dann tatsächlich. Er schaute sich mein Bauchfett an und meinte, vier Behandlungen und das Fett ist deutlich reduziert. Ich hatte eigentlich nach einer einzigen Behandlung gefragt. „Und dann muss man mit Sport und der Ernährung dranbleiben, damit er auch so schön flach bleibt“, ergänzte er noch. Das Verfahren nennt sich Emsculpt Neo und sorgt für einen Fettabbau und gleichzeitig für einen Muskelaufbau. Wie toll ist das denn. Vier Behandlungen kosten aber auch um die 2.000 Euro.
Ich schaute noch einmal auf mein kleines Bäuchlein und bereits noch während der Arzt mir die Summe nannte, schien er irgendwie kleiner zu werden. Und in Gedanken sah ich ihn immer weiter schrumpfen, während ich die Tüte Chips zu Hause entsorgte und im Fitness-Studio meine Sit-ups machte.
Ganz zufrieden ist man wahrscheinlich so gut wie nie mit sich selber. Wenn diese düsteren Gedanken in meinem Hinterkopf mal wieder größer werden, denke ich an ein Erlebnis, dass bereits einige Monate zurückliegt. In der Firma wurden alte Fotos für ein Ereignis gesucht. Fotos, auf denen eine bestimmte Person zu sehen war. Ich fand einige aus dem Jahr 2004, auf denen auch diverse andere Kollegen drauf zu sehen waren, ich auf den meisten Fotos ebenfalls.
Irgendwann stand dann eine Kollegin vor mir, die noch nicht so lange in unserem Unternehmen ist und schaute mich schweigend an, musterte mich. Verwundert schaute ich zurück, als sie mich völlig ernst fragte: „Sind Sie ein Vampir?“ Ich dachte kurz über die Frage nach, konnte mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, wie sie das meinte. „Ein Vampir?“, entgegnete ich verwirrt. „Nicht, dass ich wüsste“, stammelte ich fragend.
Sie erzählte, dass sie sich die Fotos angeschaut hatte und eigentlich so gut wie niemanden darauf erkannt hat, bis auf eine Person, die sich offenbar überhaupt nicht verändert hat. Und damit meinte sie mich. Etwas rot werdend, peinlich berührt und auch stolz, bedankte ich mich für das Kompliment und berichtete von guten Genen und meiner hochwertigen Gesichts-Pflegeserie.
Natürlich habe auch ich mich verändert, daran gibt es ja rein gar nichts zu leugnen. Wenn ich früh morgens in den Spiegel schaue, denke ich auch manchmal, wer ist das? Nichtsdestotrotz, ja, ich habe mich recht gut gehalten und bin auch stolz darauf. Auch als Mann ist eine gewisse Hautpflege wichtig und das befolge ich auch täglich. Ob es tatsächlich daran liegt, keine Ahnung. Teuer genug ist sie allemal.
Einige Zeit später benötigte ich ein mehr oder weniger offizielles Foto für unsere Personalabteilung für unser Intranet. Allerdings hatte ich rein gar keine Motivation, zum Fotografen zu gehen um eines erstellen zu lassen. Ich habe zwar zig Fotos von mir, aber die sind alle für diesen offiziellen Anlass zu leger. Ich erinnerte mich, dass ich eines tatsächlich beim Fotografen anfertigen lassen hatte. Das fand ich dann auch und schickte es der Kollegin und wartete auf eine Rückmeldung. Die kam dann auch.
„Vielen Dank, das nehme ich“, bekam ich als Antwort und freute mich darüber genauso, wie über die Aussage, ich bin ein Vampir.
Denn das Foto wurde vor guten 15 Jahren aufgenommen. Schmunzelnd klopfte ich mein Gewand ab und ging die Treppen hinunter in meine Gruft, um mich vor den Sonnenstrahlen zu schützen und meinen wohlverdienten Schlaf zu beginnen.