Einsam

Einsam

Das Restaurant war nicht allzu groß, die meisten Tische besetzt. Wir waren froh, dass wir überhaupt noch einen Platz bekamen und setzten uns in die kleine Ecke gegenüber dem Tresen.

Die beiden Mitarbeiterinnen wuselten dahinter hin und her, schenkten Getränke aus und servierten diese zusammen mit den bestellten Speisen und verschwanden immer wieder im hinteren Teil des Restaurants. Ich konnte das Geschehen nur aus dem Augenwinkel betrachten, da sich alles hinter meinem Rücken abspielte. Meine Frau und ich unterhielten uns, wie eigentlich immer, angeregt und freuten uns auf das Essen. Im Gegensatz zu vielen anderen Besuchern, die man in einem Restaurant beobachten kann, starren wir nicht die ganze Zeit auf unser Smartphone. Mal ein kurzer Blick, mal ein Foto für die Familie machen, wenn das bestellte Gericht besonders lecker aussieht und dann wieder weg damit.

Nach einer Weile, wir waren bereits am Essen, hörte ich, wie der Stuhl am Tresen vor und zurückgezogen wurde und es sich jemand anscheinend bequem machte. Es dauerte nicht lange und eine männliche Stimme begann ein Gespräch mit den beiden Mitarbeiterinnen. Unaufgefordert erzählte er etwas von sich, seinem Tag, seinem Leben. Nichts wirklich Spannendes, eher belangloses. Dann fragte er die Damen, was er denn für einen Schnaps trinken solle. 

Zögerlich beantwortete eine der Beiden, dass sie diese Frage schwer beantworten könnten, da sie ja seinen Geschmack nicht kennen. Doch dieser Gast ließ nicht locker, wollte dann gerne das Getränk, was sie gerne trinken würden. Man spürte sofort, dass beide Mitarbeiterinnen, sicherlich nach einem langen Tag, keine Lust auf derartige Spielchen hatten. 

Abwechselnd verschwand immer eine der Beiden im Restaurant, phasenweise ließen sie ihn auch gänzlich alleine am Tresen sitzen. Als eine dann, da er keine Ruhe gab, ihre Vorliebe für Baileys erwähnte, bestellte er gleich zwei, wollte sie dazu einladen. Sie bedankte sich freundlich, aber lehnte ab, schließlich sei sie ja noch im Dienst. 

Ich aß mein Essen und konnte nicht verhindern, das Gespräch weiter mitzuhören. Es war mir irgendwie unangenehm. Unangenehm in der Vorstellung, hinter dem Tresen von dem Gast so voll gelabert zu werden. Und ebenso unangenehm, mir vorzustellen, ich wäre er und würde nicht merken, dass meine Sprüche weder witzig noch charmant sind und erst recht nicht zu merken, dass keine der Damen Interesse daran hat, sich mit mir zu unterhalten. Geschweige denn, auch noch auf meine teilweise plumpen Anmachsprüche eingehen. 

Der Mann schien vielleicht einsam zu sein. Hatte niemanden zu Hause, der sich auf ein solches Gespräch freuen würde. Der Gedanke daran machte mich traurig.

Aber wenn es so gewesen ist, wäre er nicht alleine mit seiner Einsamkeit. In Großbritannien zum Beispiel gelten etwa neun Millionen Menschen als einsam. Was für eine schreckliche Anzahl. Daher wurde als erstes Land weltweit ein Ministerium für Einsamkeit ins Leben gerufen. Wie traurig ist das denn? Also traurig, dass so etwas überhaupt nötig ist. Natürlich toll, dass man das Problem erkannt hat und angeht.

Es geht in vielen Projekten aber nicht ausschließlich darum, Einsamkeit zu bekämpfen, sondern auch, diese im Vorfeld zu verhindern. Denn wenn zum Beispiel ein Jugendclub schließt oder die Preise für den Nahverkehr steigen, kann dadurch Einsamkeit entstehen.

Aber das Problem der Einsamkeit besteht natürlich nicht nur dort. Auch in Deutschland leiden eine Menge Menschen darunter. Was denkt Ihr, wie viele Einpersonenhaushalte es in Deutschland gibt? Etwa 42 Prozent. Unfassbar, oder? Das heißt natürlich noch lange nicht, dass wenn man alleine wohnt, auch einsam sein muss. 

Ob man viele soziale Kontakte hat und sich oft mit anderen Menschen trifft, hängt damit oft überhaupt nicht zusammen. Was ebenfalls erschreckend ist, dass viele junge Menschen im Alter zwischen 15 und 30 sich einsam fühlen. Laut eines Artikels der Barmer sinkt das Risiko der Einsamkeit im Alter zwischen 40 und Mitte 60, danach nimmt es wieder zu. Frauen fühlen sich doppelt so häufig einsam wie Männer. 

Natürlich hat Corona massiv dazu beigetragen, dass Menschen durch die Isolation, die ja eine Zeit lang auch verordnet wurde, vereinsamt sind. 

Was auch immer Studien, Statistiken und Zahlen belegen, ich finde jeder Einzelne, der sich ständig einsam fühlt, ist einer zu viel.

Auch ich habe mich vor kurzem für einige Tage einsam gefühlt. Das erste Mal mit Corona im Bett durfte ich oder besser gesagt, wollte ich nicht, dass mir jemand zu Nahe kommt. Bis meine Frau nach der Arbeit nach Hause kam, war der Tag lang. Und nur zu telefonieren oder zu texten ist kein Ersatz für ein Gespräch Auge in Auge oder erst recht kein Ersatz für eine Umarmung. 

Gerade jetzt, über die Feiertage, fühlen sich ganz sicherlich wieder eine Menge Menschen einsam. Menschen, die tatsächlich niemanden haben, mit denen sie sich austauschen können. Natürlich möchte man Weihnachten und den Jahreswechsel mit seinen Liebsten verbringen. Aber wäre es nicht schön, wenn man einfach mal den alleinstehenden Nachbarn, von dem man weiß, dass er niemanden hat, zumindest eine Stunde zu sich einlädt? 

Natürlich ist das leichter gesagt als getan. Aber einen Versuch wäre es doch einmal wert, oder?

 

Ich wünsche allen ein besinnliches, friedvolles und auch erholsames Weihnachtsfest. Ich wünsche allen, dass dieses angenehme, warme, freudige und zuversichtliche Gefühl, dass viele mit Weihnachten und ihrer Kindheit in Verbindung bringen, zumindest kurz wieder zu spüren ist. Ich wünsche allen, dass sie diejenigen, die nicht mehr unter uns sind, während der Weihnachtstage in Gedanken besonders nahe sein können. 

Ich wünsche allen, dass sie nicht alleine sind.

Herzliche Grüße

erlebnisreicher.de